Mitten in der Nacht schreckte der Junge auf und merkte, dass etwas anders war. Er streckte seine nackten Füße aus dem Bett und lief tapsend aus dem Zimmer. Seinen Großvater fand er im Wohnzimmer. Er war blasser als sonst und starrte auf eine halb abgebrannte Kerze. „Es wird Zeit." Sagte er, aber der Junge hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte. Die Schlacht war geschlagen, Drago Blutfaust besiegt. Es konnte nur besser werden, hatte er in seinem kindlichen Optimismus gedacht. Sein Großvater schien dies anders zu sehen. In seinen Augen erkannte der Junge das erste Mal richtige echte Angst und dies machte ihm mehr Angst, als jeder Albtraum und von denen hatte er viele zur Auswahl. „Was wird Zeit?" Fragte er mit zitternder Stimme und sein Großvater schreckte auf. Er hatte bisher wohl mit sich selbst gesprochen. Dann seufzte er kurz und setzte sich gerader hin. „Du hast es wohl auch gespürt." Meinte er, was dem Jungen allerdings keine Antwort war. Die Kerze auf dem Tisch flackerte und warf unheimliche Schatten auf die Wände.
Die Schlacht war vorbei, alles war gut.
Dieser Gedanke reichte schon lange nicht mehr um den Jungen zu beruhigen. Trotzdem versuchte er es immer wieder damit und immer wieder scheiterte er damit. „Kannst du mir vielleicht sagen was los ist?" Fragte der Junge erneut und in seiner Panik überschlug sich seine Stimme. Der Anflug eines Lächelns schlug sich auf das Gesicht des alten Mannes. Wie konnte er ausgerechnet in dieser Situation lächeln? „Alles," flüsterte der Großvater nur und wandte seinen Blick wieder auf die flackernde Kerze. „Alles und nichts." Die Worte könnten ja sehr philosophisch sein. Aber der Junge verstand immer noch nicht was gemeint war. In der kalten Nachtluft begann er langsam zu zittern und seine Zähne schlugen aufeinander. Der Großvater schaute ihn immer noch an. Sein Blick hatte etwas nachdenkliches . Es beruhigte den Jungen etwas, aber das Zittern hörte nicht auf. Es war einfach da und dem Zittern folgte der Schwindel. Die Welt begann sich zu drehen und der Junge stolperte zur Seite. Dabei bewegte der Boden sich überhaupt nicht. Der Junge wollte sich an einer kleinen Kommode neben ihm festhalten. Als er das kühle Holz berührte glaubte er für einen Moment hindurch zu rutschen. Wie konnte das sein? Seine Panik wurde verstärkt, was auch sein Großvater bemerkte. Es tat ihm leid den Jungen so zu sehen. Die Beiden waren such immer nahe gestanden. Nach dem Tod seines Sohnes, sogar noch mehr. Zu diesem Zeitpunkt war die Mutter des Jungen bereits eine ganze Zeit lang tot gewesen. Drago hatte seinem Enkel alles genommen, auch wenn dieser es nicht wusste. Er hielt sich immer noch an der Kommode fest und glitt nun tatsächlich einen Zentimeter in das Holz. Sein panischer Blick löste etwas in dem alten Mann aus. Er wäre gerne hingegangen und hätte den Jungen umarmt. Doch er glaubte nicht daran, dass er noch aufstehen konnte. Die Kerze vor ihm war nun fast abgebrannt, die Zeit, die ihm gewährt worden war, war zu Ende. Er wusste, dass er nichts mehr tun konnte außer den Jungen anzusehen. „Was hältst du nun von ihm?" Fragte der Alte den Jüngeren. Die Frage verfehlte ihre Wirkung nicht, denn der Junge dachte nun angestrengt darüber nach. Den weiteren Zentimeter, den er dabei in die Kommode glitt, bemerkte er nicht. „Er tut mir leid, wenn Drago nicht gewesen wäre, hätte sein Leben ganz anders verlaufen können." Sagte er schließlich. Sein Großvater lächelte erneut. Es war so unmöglich, wie durch eine hölzerne Kommode zu gleiten. Also wirklich nur in diesem einen Moment im Licht der fast abgebrannten Kerze möglich. „Es ist schön das du so denkst." Sagte der alte Mann nun. Seine Stimme hörte sich kratzig und unbenutzt an. Vielleicht wurde auch er krank. Der Junge konnte sich beim besten Willen keinen Reim mehr darauf machen. Dabei hatte ihm sein Großvater alles beigebracht, was er wissen musste um Zusammenhänge zu erkennen. Alles, was er wusste war von dem Älteren, dieser hatte ihm eigentlich immer alles erzählt, was er wusste. Das Gefühl, dass den Jungen überkam, als ihm klar wurde, dass sein Großvater mehr wusste, war neu von ihm. Es war bitter und irgendwie auch schmerzhaft. Die Welt hatte endlich aufgehört sich zu drehen und der Junge verlagerte sein Gewicht auf die andere Seite. Dabei zog er seine Hand aus der Kommode und schrie auf. Sie war ganz blass geworden, nur noch ein schatten der eigentlichen Hand. Es war gruselig, ein wenig fühlte der Junge sich wie in der Legende über den Werwolfflügler. Er fragte sich noch immer, wie sein Großvater so ruhig bleiben konnte. „Was passiert hier?" Fragte er mit hörbarer Panik in der Stimme. „Es wird Zeit", sagte sein Großvater erneut mit dieser ruhigen und doch sehr kratzigen Stimme. „Was wird Zeit?" Der Junge war es allmählich leid nicht bescheid zu wissen. Das bittere, schmerzhafte Gefühl verstärkte sich noch einmal. „Ich habe um diese Zeit gebeten..." Erwiderte der alte Mann und lehnte sich zurück. Auch seine Hände begannen sich nun aufzulösen. Wie konnte man dabei so ruhig bleiben? „Bei wem?" Fragte der Junge immer noch leicht überfordert. „Bei ihnen." Sagte der alte Mann. Dieses Mal fuhr er allerdings fort, bevor der Junge nachhaken konnte. „Sie sind die Leute, zu denen ich vor Jahren gekommen bin. Auch du standest schon vor ihnen aber nur wegen ihr waren wir noch hier. Jetzt ist diese Verbindung gekappt." In diesem Moment setzten die Erinnerungen auch bei dem Jungen wieder ein. Er verspürte Gefühle, die er bisher nicht in dieser Form gekannt hatte. Hass auf die Person, die verantwortlich war, Trauer, weil er nun gehen musste und Zuneigung zu der Person, die ihm dieses ermöglicht hatte. Dabei waren sie einander nicht persönlich bekannt. Aber sie würden einander bald sehen. Mit diesem Gedanken ergab sich der Junge seinem Schicksal, wie es schon sein Großvater getan hatte. Er begann nun schneller zu verblassen und der Gefühlssturm in seinem inneren kam langsam zur Ruhe.
So verschwanden die zwei Personen, die alte und die junge, langsam aus dem Raum. Denn sie waren Erinnerungen aus einer vergangenen Zeit, mit etwas Fantasie wieder lebendig gemacht. Nun, da diese Erinnerungen nicht mehr gepflegt wurden, verschwanden sie. In ihrer Welt brach ein neues Zeitalter an.
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Fünf Jahre - Was davon bleibt
FanfictionDas Schicksal geht manchmal komische Wege. Es ist nie ganz dasselbe, aber würdest du den Unterschied erkennen? Oder würdest du versagen? Dragos Armee wurde geschlagen, Berk und die Drachen wurden gerettet. Das ist die gute Nachricht. Die Schlechte...