3. Kapitel

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Astrid

Um mich herum ist Feuer. Sturmpfeil und ich gleiten über die Wasseroberfläche. Ein Schiff nach dem Anderen wird Kampfunfähig. Doch es wollen einfach nicht weniger werden. Wir haben uns mit dieser Schlacht zu viel vorgenommen. Unser Untergang ist Nahe.
Um mich herum ist Feuer. Ich spüre, wie die letzte Kraft aus mir heraus strömt. Die Hoffnung auf einen Sieg habe ich längst aufgegeben. Nur ein niederer Überlebensinstinkt hält mich nun noch am Leben. Ohne ihn und ohne Sturmpfeil wäre ich bereits gestorben.
Um mich herum ist Feuer. Da sind auch die Schreie. So viele Schreie. Sie kommen von überall her und künden von unserem baldigen Ende. Selbst wenn ich einzelne Stimmen heraushören könnte, was würde es mir bringen? So viele Leute finden hier ihr Ende. Bald werde ich eine von ihnen sein.
Um mich herum ist Feuer. Der Gestank des Feuers ist überall. Er durchdringt meine Kleidung und meine Haut. Er durchdringt mich, mein ganzes sein. Ich bin das Feuer, sein Geruch ist ein Teil von mir. Ich bin der Tod, den das Feuer bringt. Ich brenne und um mich herum knistern die Flammen und hallen die Schreie.
Um mich herum ist Feuer. Sein Rauch versperrt mir meine Sicht. Rechts von mir sind Schiffe, links von mir sind Schiffe. Der Rest versinkt im Rauch. Ich bin froh darüber, denn so muss ich nicht mehr von dieser Zerstörung sehen. Sturmpfeil gleitet immer noch über das Wasser, während meine Augen vom Qualm tränen. Doch da ist noch mehr.
Um mich herum ist Feuer. Doch vor mir sehe ich nun ganz deutlich einen Drachen. Es ist ein Nachtschatten. Hicks sitzt auf dem Rücken seines Freundes und lächelt mir zu.
„Ich liebe dich" flüstert der Wind. In der Ferne sehe ich einen Weiteren Drachen. Etwas fällt von ihm herunter. Ich sehe rote Haare im Wind flattern.
Um mich herum ist Feuer. Die Person, Lydia, schlägt auf dem Wasser auf. Ich kann diesen Anblick nicht verarbeiten. „Du hättest sie retten müssen!" Sagt eine Stimme in meinem Kopf. Ich schaue wieder nach vorne. Meine Augen Tränen nicht mehr nur von dem Qualm, dessen Gestank nun ein Teil von mir ist.
Um mich herum ist Feuer, aber Hicks ist immer noch da. Sein Blick ist nicht mehr so freundlich und liebevoll wie noch vor wenigen Minuten. Ich sehe etwas abweisendes darin. Diese Schlacht hat auch ihn bereits verändert. Sie hat auch mich bereits verändert. Diese Veränderungen können nicht mehr rückgängig gemacht werden, doch ist das nicht egal, wenn wir sowieso bald alle tot sind?
Um mich herum ist Feuer. Ein Pfeil gleitet wie in Zeitlupe auf Ohnezahn zu. Ich will ihn aufhalten, kann mich aber nicht bewegen. Ohnezahn und Hicks stürzen ins Meer. Nicht einmal schreien können sie mehr. Sie fallen und ich kann sie nicht aufhalten. Sie fallen, wie Lydia gefallen ist. Werde auch ich fallen? Dann sind sie im Meer verschwunden und ich und Sturmpfeil sind wieder allein. Ich hätte sie retten müssen.
Um mich herum ist Feuer. Hat das Leben überhaupt noch einen Sinn? Ich sehe keinen mehr. Da ist nur noch der unbändige Wunsch, ebenfalls zu fallen. Ich kann nichts dagegen tun. Er ist einfach da und ich bin gewillt ihm nachzukommen.
Um mich herum ist Feuer, ich bin Feuer. Doch das kümmert mich nun nicht mehr. Ich lasse mich von Sturmpfeils Rücken fallen. Für einen Moment bin ich schwerelos. Es füllt sich an, als würde ich fliegen, ganz ohne einen Drachen. Ich fühle mich wie auf dem Flug damals mit Hicks und Ohnezahn. Ob sie sich in ihrem letzten Moment auch so gefühlt haben?
Um mich herum ist Feuer und auch die Schwerkraft setzt nun wieder ein. Ich falle. Ich falle und frage mich nun doch, ob es die richtige Entscheidung war. Hätte ich nicht eigentlich um mein Leben Kämpfen sollen? Aufgeben entspricht so gar nicht dem, was Astrid tun würde. Es ist auch so gar nicht heldenhaft. Früher hätte es sowas nicht gegeben. Aber was kann ich schon über früher sagen?
Um mich herum ist immer noch das Feuer. Noch immer hallen die Schreie durch den anbrechenden Morgen. Die Welt interessiert sich nicht dafür, wer stirbt. Sie interessiert sich auch nicht dafür, dass überhaupt jemand stirbt. Sie dreht sich einfach weiter, als hätte es diese Personen nicht gegeben.
Um mich herum ist Feuer. Der Qualm und die Flammen sind überall, wo das Wasser nicht ist. Sie bereiten mich darauf vor, was mich erwartet, wenn ich tot bin. Noch immer falle ich, dies ist kein heldenhafter Tod. Ich werde nach Hellheim kommen. Ewig Trostlosigkeit, Qualm und Rauch. Was kann es schöneres geben?
Um mich herum ist Feuer. Die Schreie werden immer lauter, während ich falle. Sie klingen mir in den Ohren und dann merke ich, dass auch ich schreie, während die Wasseroberfläche immer näher kommt.
Ich schreie, so viele andere schreien, ich spüre wie das Adrenalin in mir Klopft.
Ich will die Augen schließen und doch meinem Ende entgegensehen.
Ich falle und ich schreie, ich schreie bis eine Hand mich an der Schulter packt. „Astrid!" Ruft eine Stimme. Ich kenne sie, weiß aber nicht wem sie gehört. Außerdem ist hier doch nichts mehr, nur das Feuer. „Astrid!" Ruft die Stimme wieder, die Hand rüttelt an meiner Schulter. Da ist doch niemand!
Um mich herum ist Feuer. Feuer, Rauch, Qualm und Gestank. Sonst ist da nichts. Ich schlage auf der Wasseroberfläche auf. Der Schmerz durchzuckt mich wie ein Blitz. Ich sterbe.



Dann schlage ich meine Augen auf und sehe in das besorgte Gesicht von Hicks. Die Erleichterung durchzuckt mich, es war alles nur ein Traum. Ein Albtraum wohl gemerkt. Seit der Schlacht sind zwei Tage vergangen und es gibt immer noch kaum bewohnbare Hütten. Die meisten Wikinger schlafen in der Arena. Alle gehen mit den Wunden, die die Schlacht ihnen zugefügt hat unterschiedlich um. Tagsüber geht es mir gut, doch in der Nacht wache ich immer wieder schreiend auf, weshalb ich auch nicht mehr bei den anderen Wikingern schlafe. Ich würde sie aufwecken aus ihrem Schlaf, der so viel erholsamer als meiner ist.

Fünf Jahre - Was davon bleibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt