9. Kapitel

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Astrid

Während Hicks mit seinem Vater redet stromere ich ohne Ziel über die Insel. Im Dorf wuseln überall Wikinger herum, die fleißig am Aufbau mitwirken. Kaum einem sieht man an, dass sie vor kurzem eine so schreckliche Schlacht gesehen haben. Aber keiner von ihnen war so nah dabei wie wir, wie ich es war.

Während ich durch abgebrannte und neue Gebäude wandere werde ich von allen Seiten gegrüßt. Das war eigentlich schon immer so, aber jetzt fühle ich mich unwohl dabei. Früher wurde ich gegrüßt weil ich die Beste im Drachentraining war oder weil ich dem ein oder anderen schon einmal geholfen hatte. Heute werde ich gegrüßt weil ich eine Drachenreiterin bin oder weil ich eine Beziehung mit Hicks führe, der es inzwischen auch zu einiger Berühmtheit gebracht hat.

Meine Füße tragen mich jedoch aus dem Dorf hinaus in den Wald. Ohne darauf zu achten schlage ich den Weg zu unserem Treffpunkt ein. Diesen könnte ich inzwischen um Mitternacht im Halbschlaf und mit verbundenen Augen finden. Natürlich weiß ich das Hicks nicht dort sein wird, es dauert noch eine Weile bis Sonnenuntergang und er muss ja noch das Gespräch mit seinem Vater hinter sich bringen. Doch als ich auf die Lichtung komme, sehe ich doch jemanden. Für einen Moment glaube ich, dass es Hicks ist, aber er ist es nicht. Für einen Moment verliere ich den Glauben an meinen Verstand. Es ist Viggo Grimborn, der nun auf dieser Geschichtsträchtigen Lichtung sitzt und mit dem Stock Figuren in den Sand zeichnet. Er kann nicht wissen, dass er damit nicht der erste ist. Doch ich werde sofort von Erinnerungen heimgesucht. An das Gefühlschaos das damals in mir getobt hat, als ich in diesem Wald Figuren in den Boden gezeichnet habe. Bei mir waren es damals Drachen, dabei war damals noch alles anders. Ich bin irgendwie durchgedreht, dieser ganze Druck während des Drachentrainings. Ich wollte gewinnen, für mich aber auch für alle Anderen. Ich wollte ihnen beweisen das ich gut war, dass ich es wert war eine von ihnen zu sein. Dann kam Hicks und war auf einmal viel besser als ich. Es sollte sich zwischen uns entscheiden und Rotzbacke hat sich darüber echauffiert und dann sind bei mir die Sicherungen durchgebrannt. Heute kommt mir das Ganze so unwirklich vor. Als wäre es schon Jahre her...
Dabei erinnere ich mich gleichzeitig noch gut daran wie Lydia danach zu mir gekommen ist und meinen Glauben an die Drachenjagd das erste Mal ins wanken gebracht hat.
Lydia...

„Wer ist da?" Fragt Viggo im selben Moment, das Schicksal geht an manchen Tagen komische Wege. Ich trete noch etwas näher an ihn heran und sehe, dass er eine Karte gezeichnet hat. „Ich habe nicht vor dich umzubringen." Sage ich aus einer Eingebung heraus. Lydia hätte das sicher gefallen. Der ehemalige Drachenjäger entspannt sich wieder. Noch immer scheint er mit einem Feind zu rechnen. Für ihn muss das noch schlimmer sein als für uns, die wir zumindest irgendwas/irgendwen vertrautes haben. „Das ist gut zu wissen. Ich hätte nicht gedacht das hier so schnell jemand vorbei kommt." Meine restliche Anspannung löst sich in einem fast hysterischen Lachen. „Da bist du nicht der Einzige." Ehrlich gesagt weiß ich nicht einmal selber, wieso ich so mit dem Mann rede, bei dem ich mir vor kurzem noch nicht einmal sicher war ob ich ihn hasse. Aber wir werden bald zusammen eine weitere Reise machen, da kann es ja nicht schaden sich etwas zu unterhalten. „Wie meinst du das? Es ist nicht so das diese Lichtung in dem Teil des Waldes liegt, in dem ihr Berkianer oft zu Gange seid." Damit hat Viggo natürlich nicht unrecht. Aber vertraue ich ihm wirklich so sehr um ihm diese Geschichte zu erzählen? Will ich unseren Platz wirklich verraten, den Platz der inzwischen nur noch für mich und Hicks da war?

Ich erkenne die Tränenspuren in Viggos Gesicht. Mir wird bewusst, dass wir jetzt eine gemeinsame Geschichte haben und einen gemeinsamen Verlust. „Siehst du den Baum dort?" Ich zeige auf den Baumstumpf, der in der Mitte durchgebrochen ist und seit Jahren einfach so vermodert. Erst vor Kurzem habe ich erfahren, wieso er so aussieht. Viggo schaut mich verwirrt an. „Natürlich, mein Augenlicht hat nicht gelitten." Sowas ähnliches hätte Hicks auch gesagt. Mir war nie bewusst wie ähnlich sie sich sind. Ob Lydia das einmal bemerkt hat. Bestimmt, sie hatte immer eine gute Menschenkenntnis. „Den Baum hat Ohnezahn abgeknickt, als Hicks ihn vor vier Jahren getroffen hat. Die beiden sind sich mehr als einmal auf dieser Lichtung begegnet und Lydia war auch schon einmal hier." Bei ihrem Namen verdunkelt sich Viggos Gesicht. Auch wenn ich die Geschichte eigentlich ziemlich gut kenne überrascht mich das. „Ihr seid euch zum Schluss wieder näher gekommen." Das Oder hängt in der Luft, ich traue mich nicht es auszusprechen aber mein Satz hat auch nicht wie eine Feststellung geklungen. Er lacht ironisch auf. „Was bedeutet schon näher gekommen." Inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass niemand Viggo Grimborn den unerschütterlichen Drachenjäger je so emotional gesehen hat. Zumindest niemand lebendes. Ich fühle mich schuldig. Einfach nur, weil ich ihm seine Maske nehme und ich weiß was die Maske für manche Leute bedeutet. Lydia hat es mir erklärt. In einem der wenigen Gespräche, die wir geführt haben. „Ich habe ihr einen Antrag gemacht. Zweimal in meinem Leben. Das erste Mal haben wir uns am selben Tag getrennt, dass zweite Mal war es eher eine Tarnung damit sie mit hierher kommen konnte. Es war eine Tarnung, damit sie hier sterben konnte! Aber ich habe es beides Mal ernst gemeint." Dann bricht Viggos Stimme. Mir wird das erste Mal bewusst, welche Last wohl auf ihm liegt. Ich weiß wie die Schlacht mich beeinflusst, wie sie Hicks beeinflusst. Ich weiß bis zu einem gewissen Grad auch, wie sie die anderen Drachenreiter verändert hat und wie sie unsere Drachen verändert hat. Aber für ihn muss die Last noch viel schwerer sein. Denn viele seiner Entscheidungen haben dazu geführt, dass es zum Schluss so gekommen ist. Als mir dieser Gedanke kommt möchte ich glatt mitweinen und muss doch stark sein. Ich muss stark sein für alle, die es nicht sein können.

Fünf Jahre - Was davon bleibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt