Kapitel 29

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Jack

Meine Finger glitten über seine bärtige Wange. Sein Atmen war regelmäßig, ich hörte einfach nur zu. Obwohl seine Augen geschlossen waren, sah man deutlich, dass er geweint hatte. Mitten in der Nacht war er hier aufgekreuzt. Er weinte so bitterlich. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Und so wollte ich ihn auch nie wieder sehen. Ich hatte ihn heimlich in mein Zimmer gebracht und ihn einfach in meinen Armen gehalten, während er still all seine Tränen vergoss. Was los war, wusste ich nicht. Er hatte kein Wort gesagt und war irgendwann einfach eingeschlafen. Es wühlte mich auf, zu wissen, dass es ihm schlecht ging. Noch mehr wühlte es mich auf, dass ich nicht wusste, warum es ihm schlecht ging, denn so konnte ich ihm nicht helfen.
Ich betrachtete meinen Geliebten besorgt. Hatte Ryan etwa doch Recht gehabt? Stimmte da irgendetwas nicht? Betraf es mich? Oder hatte ich mit Wills Gefühlslage nichts zu tun? In der letzten Woche hatten wir außerhalb der Schule kein Wort gewechselt. Nicht einmal am Telefon. Es tat weh. Natürlich tat es weh. Dennoch verstand ich es. Schließlich war er noch mein Lehrer und es wäre nicht fair, wenn er meinetwegen seinen Job verlieren würde.
Liebevoll küsste ich seine Schläfe. „Was ist nur passiert, hm...?" Ich vergrub mein Gesicht in seinen Locken. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Zu große Sorgen machte ich mir um meinen Liebsten.

So lag ich die ganze Nacht wach und blieb an seiner Seite. Es war Wochenende, also ließ ich ihn schlafen. Am Morgen löste ich mich vorsichtig von ihm und verließ mein Zimmer.

„Schläft er noch?", fragte Ryan mich, als ich in die Küche trat.

„Woher...?"

„Sein Auto steht vor der Toreinfahrt." Er wandte mir den Rücken zu. „Mag er Pfannkuchen?"

Ich überlegte. „Keine Ahnung, warum?"

„Weil es ziemlich unhöflich wäre, seinem Gast kein Frühstück anzubieten." Ryan sah mich kurz etwas komisch an. „Keine Sorge, von mir erfährt niemand, dass er hier ist."

„Danke..." Ich setzte mich an die Theke und sah ihm dabei zu, wie er sich um die Pfannkuchen kümmerte. „Tut... tut mir leid, was ich letztens zu dir gesagt hab."

Er schenkte mir ein sanftes Lächeln. „Schon vergessen, Kleiner."

Ich betrachtete den Butler eine Weile schweigend. „Heute Nacht war er völlig aufgelöst, er hat gar nicht aufgehört zu weinen. Ich hab keine Ahnung, was passiert ist. Ich mache mir schreckliche Sorgen. Ob es etwas mit mir zu tun hat?"

Der junge Mann wuschelte mir durch die schwarzen Haare. „Du solltest aufhören zu spekulieren. Warte einfach ab, bis er mit dir redet. Vielleicht machst du dir ja völlig umsonst Sorgen." Er lächelte mich an, dennoch konnte er nicht verbergen, dass er sich selbst Sorgen machte. Dafür kannten wir einander zu gut.

„Ich hab Angst..." Ich legte den Kopf auf die Mamorplatte. „Ich will ihn nicht verlieren. Nicht wieder... Ich will nicht wieder einsam sein..." Tränen stiegen mir in die Augen.

Liebevoll zog Ryan mich in eine Umarmung. „Egal, was passiert, du wirst nicht einsam sein. Das verspreche ich dir, Bleichnase..."

„Wie kannst du das so einfach versprechen?" Ich schniefte leise und drückte mich an ihn.

„Ich weiß es einfach. Ich weiß es..." Er drückte mir einen Kuss aufs Haar, ehe er wieder von mir abließ und sich weiter ums Frühstück kümmerte. „Geh doch wieder zu ihm, ich bring euch die Pfannkuchen hoch, wenn sie fertig sind."

Ich ließ mich vom Barhocker gleiten. „Ist gut. Danke..."

Oben machte ich mir kurz im Bad fertig, ehe ich wieder zu William ging. Er war inzwischen aufgewacht. Ich kroch zu ihm ins Bett und schmiegte mich an meinen Freund. „Hey...", hauchte ich und küsste seine Wange. „Wie gehts dir?" Ich strich ihm sanft durch die wirren Haare.

Er brummte leise. „Ich weiß nicht..." Er drückte mich leicht an sich. „Du...?"

Ich betrachtete ihn besorgt. „Hm?"

„Wir müssen über etwas wichtiges reden. I-Ich weiß noch nicht genau, wie ich dir das sagen soll. Aber bitte versprich mir, dass du mir zuhören wirst. Ich hab riesigen Mist gebaut. Aber, Jack, ich will dich nicht verlieren." Seine Stimme zitterte etwas.

„Ich verspreche es dir, Will", versicherte ich ihm und streichelte seine Wange. „Du kannst mit mir über alles reden, hörst du? Es ist wichtig, dass wir ehrlich zueinander sind."

Er nickte und sah mich an. Ich konnte nicht deuten, was genau in ihm vorging. „Ich gestehe, dass einen zu großen Teil verheimlicht habe, um sagen zu können, dass ich immer ehrlich zu dir war. Und es tut mir wirklich schrecklich leid. Ich hatte nie vor, dass es so weit kommt. Ich wollte niemanden belügen. Es ist einfach alles verdammt schief gelaufen... Es tut mir so leid, Jack!"

Ich sah ihn besorgt aber auch ernst an. „William, bitte sag mir, was los ist. Sprich mit mir."

Wir setzten uns auf. Einige Minuten schwieg er, ehe er endlich das Wort ergriff. „Jack, ich..." Er zögerte. „Ich bin verheiratet und hab eine Tochter."

My Teacher [boyxman]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt