Kapitel 6

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Unser Gespräch wurde abrupt durch den Schrei einer der Überlebenden beendet. Nick und ich rannten sofort los um nachzusehen, was passiert war. Es war Isabell, die sich ein Stück weiter von unserem Lager, über etwas beugte und nicht mehr aufhörte zu schreien. Plötzlich stand sie auf und taumelte auf mich zu. Ihre Hände waren blutverschmiert, als sie sich auf mich stürzte. „Wir werden hier alle sterben!“ Wie eine Irre starrte sie mich mit ihren weit aufgerissenen Augen an. Ich hatte wirklich Angst vor Isabell. Schnell war Nick bei mir, schubste sie weg und zog mich wieder auf die Beine. „Reißen Sie sich zusammen!“, zischte er in die Richtung von der Frau. Zu mir gewandt fragte er: „Alles in Ordnung?“ „Ja, aber was hat sie denn gesehen?“ „Komm, wie gehen zu den anderen zurück!“ Ich riss mich von ihm los und sah zu der Stelle, wo Isabell gehockt hatte. Auf das, was ich anschließend erblickte, war ich nicht vorbereitet. Zuerst erkannte ich dieses etwas nicht, doch als ich näher hinging, entdeckte ich unter all dem Blut zwei Augen. Rose’s Augen. Sie waren gebrochen und sahen mich vorwurfsvoll an. Sie ist tot. Rose ist tot. Überall hingen Fleischstücke herab und ihr Gesicht war kaum wiederzuerkennen. Ihr Mund war zu einem stummen Schrei erstarrt. Doch das Schlimmste an all dem war, dort am Boden lag nur ihr Kopf. Ihr abgetrennter Kopf mit einem Stück Hals. Man konnte sogar noch ein bisschen von der Wirbelsäule erkennen. Wer hatte sie so zugerichtet? Oder besser gesagt, was? Ich spürte wie ich zu würgen begann und mich schnell wegdrehte. Nick nahm mich in die Arme. Seine Körperwärme beruhigte mich ein wenig. Dann gingen wir wieder zu der Gruppe zurück.

Inzwischen hatten alle erfahren, was vorgefallen war und es wurde heftig diskutiert. „Es muss ein wildes Tier gewesen sein!“ „Oder der Mörder ist unter uns!“ „Wir können niemanden mehr vertrauen!“ „Wir brauchen Waffen!“ Die Worte der anderen prallten an mir ab. Zu geschockt war ich von dem, was ich gerade gesehen hatte. „Beruhigt euch alle mal!“, sagte Nick laut. Gemurmel in der Menge: „Wer sagt eigentlich, dass du das Sagen hast? Vielleicht hast du sie ja umgebracht!“ Der Mann stand auf und ging dicht an Nick heran. „Ich habe sie nicht umgebracht. Wir müssen zusammenhalten.“, meinte Nick nur tonlos. „Achja und wieso sollten wir dir vertrauen?“ „Das reicht!“, ich stand auf und starrte den Mann an. „Er ist kein Mörder! Keiner hier ist ein Mörder!“ „Schon gut.“ Der Mann beruhigte sich wieder und ließ von Nick ab. Nick kochte vor Wut, dass sah ich ihm an. Kurz darauf stapfte er davon. Ich wollte ihm folgen, doch er meinte nur: „Bitte lass mich alleine.“ Verwirrt ging ich zu der Gruppe zurück und erkannte, dass wir ernsthafte Probleme hatten.

Ich hab so Durst. Und Hunger. Da ging es mir genauso wie den anderen. Doch wir hatten kein Wasser und kein Essen. Wir werden wirklich alle sterben. Drei Männer machten sich auf den Weg, John zu begraben und nach Nahrung zu suchen. Mir war gar nicht aufgefallen, dass er noch bei uns lag. Eine Frau sagte zu ihnen, sie sollen nicht zu weit weggehen. Gute Entscheidung, wir konnten nicht noch mehr Tote gebrauchen. Nicht noch mehr Tote. Wie das klingt. Aber es stimmte, es waren nur noch 16 Überlebende übrig. Ich fühlte mich elend, hatte kaum Kraft und wollte nach Hause. Das wollte sicher jeder von uns. Aber ich wusste, dass ich nie wieder nach Hause zurückkehren würde. Dies wurde mir heute bewusst. Ich werde hier auf dieser Insel sterben. Genauso wie Nick. Ich wollte ihn nicht verlieren. Er war unsere einzige Hoffnung, wenn es überhaupt Hoffnung gab.

Die Sonne brannte unerträglich vom Himmel, obwohl es über uns ein Blätterdach gab. Die drei Männer waren noch nicht zurück und Nick auch nicht. Langsam machte ich mir Sorgen. Hoffentlich geht es ihm gut. Ich hatte keine Kraft ihn suchen zu gehen. Meine Wunde schmerzte noch immer höllisch. Ich beschloss, sie zu untersuchen. Langsam strich ich mein blutbeflecktes T-Shirt hoch und sah sofort, dass sich die Wunde entzündet hatte. Das war kein gutes Zeichen. In den letzten Stunden, bekam ich immer wieder Bauchkrämpfe. Auf einmal kam der kleine Junge zu mir und setzte sich neben mich. Er konnte nicht älter als zehn sein. Er deutete auf meine Wunde und fragte: „Tut es sehr weh?“ Ich nickte. „Ich hab auch Schmerzen.“ Seine Hände zogen sein T-Shirt hoch und zum Vorschein kamen lauter Blutergüsse und Schnitte auf seinem Rücken. Dann ging er wieder. Ich hab nicht nur körperliche Schmerzen. Meine Seele schmerzt auch. Ich dachte an Olivia und an die Zeiten in denen wir gemeinsam gelacht und geweint hatten. Vielleicht ist sie jetzt da oben und schaut auf mich herab. Dieser Gedanke brachte mich zum Lächeln. Wie aus dem Nichts tauchte Nick plötzlich vor mir auf. Genau in dem Moment kamen auch die drei Männer wieder zurück. Aber leider mit leeren Händen.

„Wir müssen weiter!“, Nick sah mich an. „Wohin?“ „Egal wohin, hier werden wir alle sterben.“ Er stand auf und verkündete die gesagten Worte in der Gruppe und erklärte ihnen warum. „Ich werde gehen, egal ob ihr mitkommt oder nicht!“ Der kleine Junge rannte sofort zu ihm und sagte, er komme mit. Nick sah mich fragend an. Meine Gefühle waren gespalten, aber natürlich würde ich mitkommen.  Ich ergriff seine Hand und stand auf. „Aber was ist mit Abigail, sie kann nicht laufen!“ Nick sagte nichts. Blicke sagten wohl mehr als tausend Worte. Ich wusste, dass wir sie zurücklassen mussten, damit wir überleben. Zu meiner Überraschung gingen alle bis auf die schwer verletzte Frau auf Nick zu. Abigail sah uns entsetzt an: „Ihr…Ihr könnt mich nicht einfach zurücklassen!“ „Uns bleibt keine andere Wahl!“, sagte Nick. Da uns nichts anderes übrig blieb, machten wir uns auf den Weg und ließen die schreiende Frau zurück. Ein paar verabschiedeten sich noch von ihr und schlossen dann zu uns auf. Nick ging voran. Ich hatte Angst, große Angst. Aber von all dem ließ ich mir Nichts anmerken. Wir entfernten uns immer weiter von dem Flugzeugwrack und mussten alles zurücklassen. Jetzt waren wir nur noch 15. 

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