Kapitel 5

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Irgendwann lehnte ich wieder an einem Baum und dachte an Nichts. Mein Kopf war leer. Ich fühlte Nichts. Ich wollte einfach nur aus diesem Albtraum aufwachen. Aber es war kein Traum. Es schmerzte zu sehr, ich hatte meine beste Freundin und meine Klasse verloren. Nichts war mehr wie vorher. Ich werde sowieso an meiner Verletzung sterben. Hoffentlich. Es fühlte sich an, als wäre die Erde für einen Moment stehen geblieben.

Später setzte sich der Fremde wieder zu mir. Unsere Schultern berührten sich. Ich war froh, dass er da war und ich nicht alleine sein musste. „Ich bin Nick.“, sagte er. Ich drehte meinen Kopf zu ihm und sah in seine Augen: „Ich bin Allison, aber alle nennen mich Ally!“ Er versuchte mich anzulächeln, aber ich wusste, dass keinem von uns im Moment nach Lächeln zu Mute war. „Wieso mussten unsere Freunde da drinnen sterben und wir sind noch am Leben? Womit haben wir das verdient Nick?“ Meine Augen füllten sich mit Tränen. „Ich weiß es nicht…Aber Ally, wir alle Überlebenden hatten mehr als nur einen Schutzengel!“ Ich sah seine Hände an. Sie wiesen starke Schürfwunden auf. „Wie viele Überlebende gibt es?“ „18, aber ich will ehrlich sein, es werden nicht alle die Nacht überleben und ich kann nichts tun wir haben keine Versorgung, das Wrack….“ „Ich muss es sehen!“ „Was?“ „Das Flugzeug!“ „Ich glaub das ist keine gute Idee, Ally!“ „Nick, ich muss es!“ „Ok.“ Er nickte und wir standen auf.

Er stützte mich auf dem Weg zu den Überresten der Boeing 777. Ich sah, dass er humpelte und fragte: „Was ist mit deinem Bein?“ „Ich hab mir irgendwie den Knöchel verstaucht.“ Weiter kamen wir nicht mit unserem Gespräch, denn ich sah schon von weitem den hochaufragenden Flügel des Flugzeuges. Nach ungefähr 100 Metern fand ich uns in einem reinen Schlachtfeld wieder. Überall lagen Trümmer der Boeing und die Leichen der Passagiere, oder zumindest was von ihnen übrig geblieben ist. „Wir hatten einfach Glück!“, murmelte Nick. Ich ignorierte ihn, zu sehr war ich von dem Anblick geschockt. Das Flugzeug war ein Wrack. Ich hatte nicht die Hoffnung, auch nur irgendetwas Brauchbares zu finden. „Wo sind wir verdammt noch mal hier gelandet?“ Ich wollte einen Schritt nach vorne machen, stolperte über etwas und Nick fing mich im letzten Moment auf. Als ich mich umdrehte, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Da lag ein Arm am Boden. Ich wäre fast über einen Arm gestolpert. Von dem Rest des Körpers fehlte jede Spur. Das war zu viel. Ich bückte mich nach vorne und musste mich wieder übergeben. „Hast du genug gesehen?“ Ich nickte Stumm. Nick zog mich weiter. Und dann gingen wir zu unserem Lager zurück. Keiner von uns sagte auch nur ein Wort, ich konnte einfach nicht glauben, was ich gerade gesehen hatte.

„Was passiert jetzt mit uns?“ „Ich schätze wir müssen irgendwie überleben!“ „Aber man wird doch sicher nach uns suchen!“ „Schon möglich, aber das kann Tage dauern, bis die uns finden wir sind hier irgendwo auf einer Insel im Pazifik gelandet, irgendwo im Dschungel. Ich werde hier nicht tatenlos herumsitzen und warten, bis uns vielleicht irgendwann irgendwer findet oder wir von wilden Tieren gefressen werden!“ „Es muss eine Zivilisation geben. Andere Menschen. Wir brauchen Hilfe, Nick.“ „Wer weiß, aber wir sind hier nicht in einer Fernsehsendung, wo um die Nächste Ecke ein Hotel ist, wir sind in der Wildnis!“ „Vielleicht liegst du falsch!“ „Ally, setz verdammt nochmal deine rosa Sonnenbrille ab, wir werden ums Überleben kämpfen müssen!“ Seine Worte taten weh, aber es war die Wahrheit.

Es dämmerte bereits, als wir zurückkamen. Nick und ich begannen, uns um die anderen Überlebenden zu kümmern. Sie hatten genau so viel Angst wie ich. Manche hatte es echt schlimm erwischt. Tiefe Wunden, Knochenbrüche und vieles mehr. Wir hatten nicht einmal Wasser. Nick ergriff das Wort: „Hört zu! Es wird bald dunkel und die erste Nacht bleiben wir dicht beieinander hier, verstanden? wir werden sehen, was uns der nächste Morgen bringt!“ Niemand protestierte, ich schätzte alle waren froh, jemanden zu haben, der das Ruder ergriff. „Wir müssen einen Funkspruch absetzen!“, sagte ein älterer Mann mit brüchiger Stimme. Er hatte eine große Platzwunde auf der Stirn. „Das Flugzeug ist ein Wrack, nichts funktioniert mehr…“, antwortete Nick.

Da wir alle erschöpft und am Ende unserer Kräfte waren, beschlossen wir, schlafen zu gehen. Die jungen und nicht so stark verletzten legten sich am Rand hin und die restlichen wurden eingekreist. Nick legte sich neben mich und hatte beschützend seinen Arm um mich gelegt. So sehr ich es auch versuchte, ich konnte nicht einschlafen. Zu viele Fragen schwirrten mir durch den Kopf? Was ist mit meiner Familie? Sie müssen krank vor Sorge um mich sein! Wurden wir schon für tot erklärt? Wird jemand nach uns suchen? Wo sind wir? Ich kann nicht mehr. Ich hab Schmerzen. Ich stehe das nicht durch. Meine Freunde sind tot. Meine beste Freundin ist tot. Irgendwann schaffte ich es doch, mich mit meinen Tränen in den Schlaf zu weinen.

Am nächsten Morgen wurde ich von lauten Rufen geweckt. Ich spürte, dass Nick nicht mehr neben mir lag. Schnell setze ich mich auf und musste im nächsten Moment zusammenzucken, da meine Wunde sehr wehtat. Irgendwie schaffte ich es aufzustehen und schlaftrunken auf die Traube von Menschen zuzuwanken. Eine Frau mittleren Alters schrie hysterisch. Ein Mann schlug seinen Kopf immer wieder gegen einen Baumstamm und der kleine Junge weinte hemmungslos. Ich verstand überhaupt nicht was los war. Mitten in der Gruppe der Überlebenden entdeckte ich Nick. Als er mich sah lächelte er nicht. Sein Gesicht wirkte wie versteinert. Dann erfuhr ich zwei Sachen. Erstens, John, ein  junger Mann, der nicht viel älter als Nick war, erlag in der Nacht seinen Verletzungen. Und zweitens, war Rose, wie ich herausgefunden hatte, verschwunden. Der verschwundenen Frau wurde mehr Beachtung geschenkt als dem verstorbenen Mann. Vielleicht lag das daran, dass es bei John schon vorherzusehen war und bei Rose nicht. „Vielleicht ist sie weggelaufen!“, sagte eine Frau. „Vielleicht hat sie sich umgebracht.“, das kam von dem kleinen Jungen, der inzwischen aufgehört hatte zu weinen. Eine junge Frau ging zu ihm und nahm ihn in den Arm: „Sag sowas nicht!“ Nick kam auf mich zu und zog mich ein Stück von der Gruppe weg: „Irgendetwas ist an der Sache faul. Niemand würde sich freiwillig von der Gruppe entfernen und mitten in der Nacht in den dunklen Wald laufen!“

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