Kapitel 9

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Wir warteten Minuten, ehe sich einer von uns rührte. Nick bewegte sich als erstes aus der Schockstarre. Ich sah es in seinen Augen, dass er auch Angst hatte. Wir standen auf. Ich schielte zu dem mit Blut übersätem Boden. Mir wurde schlecht.  „Wenn die uns finden sind wir auch tot!“, setzte ich an. „Sie werden uns nicht finden!“ Er ergriff meine Hand und wir rannten los. Egal wohin, Hauptsache weg.

Äste peitschten mir ins Gesicht, als wir durch den dicht bewachsenen Dschungel irrten. Meine Füße schmerzten bereits, doch ich lies mir nichts anmerken. Meine Wunde, war mir im Moment auch egal, das einzige, woran ich dachte war: Renn so schnell du kannst! Nick’s Knöchel, machte ihm auch zu schaffen, aber trotzdem rannte er weiter. Ich wollte unter keinen Umständen in den Armen von den Verrückten Menschen landen. Alle meine Gefühle waren ausgeschalten, nur auf meine Füße konzentrierte ich mich. Dann endlich nach gefühlten Stunden blieb Nick stehen. Er stemmte seine Arme auf die Knie und versuchte zu Atem zu kommen. Das gleiche versuchte ich auch, doch bei mir sah es sehr unbeholfen aus und ich kippte um. „Scheiße, Ally!“ Nick sah mich entsetzt an. „Alles ok!“, versuchte ich hervorzubringen. Doch eigentlich war es meine Wunde, die mir schwer zu schaffen machte. Lange würde ich das nicht mehr durchhalten. Ich verzog vor Schmerzen das Gesicht und von da an wusste auch Nick, dass nicht alles in Ordnung war. Er ging neben mir in die Hocke. „Lass mich mal sehen.“ Er griff an meinen Bauch. Schnell schob ich seine Hand wieder weg. „Nein…Bitte!“, flehte ich. „Ally, ich muss es sehen!“ Widerstand war zwecklos. Er zog mein dreckiges T-Shirt hoch, sodass mein Bauch frei lag. Seine warmen Finger auf meiner Haut taten gut. Ich drehte meinen Kopf weg, ich konnte einfach nicht hinsehen. „Es hat sich entzündet.“ Er berührte nur leicht die Stelle und doch fühlte es sich an, als würde er mit aller Kraft in die Wunde drücken. „Ich denke, es ist noch ein Stück Glas darin und wir müssen es rausholen!“ Nein! „Hier.“, er reichte mir ein Stück Rinde vom Boden. „Beiß da drauf!“ Nicht sein ernst oder? Ok ganz ruhig, ich muss da jetzt durch! Ich steckte mir das Stück Holz zwischen die Zähne und wartete auf den Schmerz. Als Nick dann mit zwei Fingern in meine Wunde fuhr, kreischte ich los, soweit wie das mit der Rinde im Mund möglich war. Es fühlte sich seltsam an. Ich spürte wie frisches Blut an meinem Bauch hinablief. Lichtpunkte tanzten vor meinen Augen herum. Wann ist es endlich vorbei? Eine Wärme stieg in mir hoch und ich hatte Angst, dass ich gleich explodieren würde. Dann war es auf einmal vorbei. Ich fühlte mich ganz schlapp und das Stück Holz viel mir aus dem Mund. Mein Atem beruhigte sich wieder, aber ich lag nur da und tat nichts. Nick’s Worte schienen von meilenweiter Entfernung zu mir zu gelangen. Ich wollte ihm antworten, doch dann breitete sich ein kleiner schwarzer Punkt vor mir auf. Er wurde immer größer und größer. Bis ich schließlich gar nichts mehr sah und mein Bewusstsein verlor.

Etwas raschelte. Etwas verfolgte mich. Etwas wollte mich töten. Schweißgebadet schreckte ich hoch. Verschwommen nahm ich die Umrisse der Bäume um mich herum wahr. Es war heiß, ich schwitzte stark. Nick. Er war nicht bei mir. Hilfesuchend tastete ich um mich. Der Schleier löste sich langsam und ich erkannte wieder, wo ich mich befand. Noch immer lag ich am Boden. „Nick?“, rief ich schwach. Dann sah ich ihn. Er kam hinter einem Baum hervor. Sein T-Shirt war zerrissen. Er ging auf mich zu. Was ist passiert? Hatten sie ihm wehgetan? „Ally!“, seine Stimme klang erfreut. Zum ersten Mal, obwohl ich nicht ganz bei Sinnen war, bemerkte ich, wie toll er eigentlich aussah. Er setze sich zu mir und tätschelte meine Hand. „Was ist passiert?“ „Deine Wunde…“ „Nein, ich meine mit dir!“ „Was sollte passiert sein?“, er sah mich verwirrt an. Meine Hand zeigte auf sein zerrissenes T-Shirt. „Sieh selbst nach!“ Dann spürte ich auch den Druck um meinen Bauch herum. Er hatte mir einen Verband aus Stoff gemacht. Ich war gerührt und mir stiegen Tränen in die Augen. „Nicht weinen, Ally, du hast in letzter Zeit zu oft geweint.“ Diese Bemerkung brachte ein schwaches Lächeln auf meine Lippen. „Hast du es geschafft?“ Nick ließ sich mit seiner Antwort Zeit und ich befürchtete schon schlimmes: „Es war schwer, aber…ja!“ Er grinste mich triumphierend an. Erleichtert atmete ich auf. „Hier sieh mal was ich hab!“ Er streckte mir seine Hand mit rotem Beeren entgegen. Zweifelnd sah ich ihn an. „Keine Sorge, ich lebe noch, sie sind nicht giftig!“ Gierig nahm ich ihm die Früchte aus der Hand und stopfte sie in meinem Mund. Ein süßlich-saurer Geschmack machte sich auf meiner Zunge breit, als die Haut der Beere aufplatzte. Schnell schluckte ich eine nach der anderen runter. Ich hatte solchen Hunger. Als ich fertig war drehte ich mich zu Nick. „Warum tust du das alles für mich?“ Seine blauen Augen sahen mich eindringlich an. „Weil ich will, dass du überlebst!“

Schließlich saßen wir da und redeten. Über die anderen Überlebenden und ob welche von ihnen noch lebten oder die Verrückten sie schon erwischt hatten. Da wurde mir bewusst, dass ich nicht einmal den Namen von dem kleinen Jungen kannte. Hoffentlich, ist er noch am Leben! „Wir müssen sie suchen!“, entschied ich. Nick war zwar meiner Meinung, aber sagte, dass ich mich noch ausruhen soll, ehe wir uns auf den Weg machen würden. Leicht ließ ich mich nicht von ihm überreden, doch sah am Schluss ein, dass es sonst zu gefährlich wäre. Wir beschlossen, noch eine Nacht hierzubleiben und bei Anbruch der Morgendämmerung loszugehen.

Die Sonne ging langsam unter und ich begann zu frieren. Meine Zähne klapperten heftig aufeinander. Nick legte schützend die Arme um mich, damit ich nicht frieren musste. Es wurde im Dschungel echt ungemütlich wenn die Sonne verschwunden war. Doch in Nick’s Armen fühlte ich mich sicher. Er war wie mein Fels in der Brandung, obwohl wir uns erst seit knapp 2 Tagen kannten, wusste ich, ich konnte ihm absolut vertrauen. Aber etwas anderes beschäftigte mich mehr. Mit Anbruch der Dunkelheit hatten wir keinen Schutz mehr, keine Waffen. In der Nacht waren wir blind. Was, wenn sie uns diese Nacht kriegen?

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