Kapitel 15

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Das muss unsere Rettung sein, es muss einfach so sein. Aber was wenn das alles nur eine Täuschung unserer Sinne ist, was dann? Ich drehte mich zu Nick und fragte: „Wie weit schätzt du, ist es bis dorthin?“ „Schwer zu sagen, vielleicht einen oder zwei Kilometer!“ „Und was, wenn es noch weiter ist?“ „Dann schaffen wir das auch.“ „Ich hoffe du behältst Recht!“                                                                 

Ich würdigte den Tier keines Blickes mehr, ich konnte einfach nicht hinsehen. Das einzige, was wir bei uns hatten, war der Speer und das Messer. Dann machten wir uns auch schon auf den Weg.

Ich hatte noch nie einen guten Orientierungssinn. Als kleines Kind, spielte ich mit meinem Bruder einmal in einem Wäldchen in der Nähe verstecken. Ich lief immer weiter und weiter, bis ich nicht mehr wusste wo ich war und meinen Bruder konnte ich auch nicht mehr hören. Die Bäume sahen plötzlich gespenstisch aus und ich hatte schreckliche Angst. Mein Körper rollte sich am Boden zusammen und ich schrie nach Mike, doch er kam nicht. Weinend verharrte ich Stunden an meinem Platz, ehe mich meine Familie gefunden hatte.

Damals war ich sechs Jahre alt und inzwischen sind zehn Jahre vergangen. Mein Orientierungssinn, hatte sich bis jetzt zwar noch immer nicht verbessert, aber Nick war an meiner Seite. Ich vertraute ihm, dass er uns zu dem Wasser führen würde.

„Wie lange glaubst du sind wir schon hier?“, fragte ich Nick. „Ich hab nicht mitgezählt aber ein paar Tage sicher schon!“ „Ich hätte nie gedacht, dass ich auch nur einen Tag in der Wildnis überleben würde!“ „Meine Familie und ich, wir waren früher öfters Campen, aber das ist kein Vergleich zu dem hier!“ „Ich dachte, du kommst auch aus Chicago?“ „Nein, ich komme eigentlich aus Wisconsin, meine Mutter, meine Schwester und ich sind erst letztes Jahr nach Chicago gezogen…“ „Eine ziemliche Umstellung, was?“ „Ja total, ich habe schon die ganze Natur vermisst, aber wenn ich mich hier umsehe, könnte ich schon kotzen. Ich stehe nicht so auf tropisches Klima. Und du lebst schon immer in Chicago?“ „Ja, schon immer!“

Mit jedem Meter, den wir zurücklegten, wurde das Rauschen immer lauter und meine Muskeln immer schwächer. Ich hoffe es ist nicht mehr weit. Vor uns erstreckte sich auf einmal ein Hügel. Schnaufend erklommen wir ihn und am letzten Stück, zog mich Nick regelrecht bergauf. Er stand schon oben und pfiff. Was bedeutet das? Mit letzter Kraft stand ich schwungvoll auf und Nick hielt mich zum Glück zurück, denn vor unseren Füßen ging es ein paar Meter senkrecht nach unten. Mitten aus dem Hügel schoss ein Wasserfall. Überglücklich warf ich mich Nick um den Hals und fast hätten wir das Gleichgewicht verloren. „Wir haben es geschafft!“, hauchte ich ihm zu. „Fast!“, er zeigte auf das tiefe Becken unter uns. So viel glasklares Wasser. „Jetzt müssen wir nur einen Weg nach unten finden! Los wir dürfen keine Zeit verlieren, ich habe so Durst!“, ich zog an Nicks Hand doch er blieb stehen. „Ich hab eine bessere Idee.“ „Und die wäre?“ „Springen!“ „Was? Bist du verrückt?“ „Das ist der schnellste Weg.“ „Nein, Nick, ich kann das nicht, nicht da runterspringen.“ „Komm, ich halte deine Hand ganz fest und zähle von drei hinunter.“ „Nein!“ Er drückte meine Hand ganz fest und begann zu zählen. „Drei…“ „Nein, Nick, bitte!“ „Zwei…“ „Wir wissen nicht einmal wie hoch das ist, bitte!“ „Eins…“, Nick ließ sich nach vorne fallen. „Neeeiiin!“, von seinem Gewicht wurde ich mit nach vorne gezogen und fand mich im freien Fall wieder. Mein Körper wurde mit Adrenalin durchzuckt und ich schrie aus vollem Leib. Ein paar Sekunden später tauchte Nick in das Wasser ein, gleich darauf ich.

Das erste, was ich spürte war diese Kälte. Ich öffnete meine Augen und sah nur blau um mich herum, Nick musste anscheinend schon aufgetaucht sein. Schnell strampelte auch ich mich nach oben und konnte nach Luft schnappen. Wir waren in einer wunderschönen Lagune gelandet. Überall üppiges Grün und glasklares Wasser. Hinter uns hörten wir das Rauschen des Wasserfalls. Nick strahlte bis über beide Ohren. Anschließend musste ich auch zu grinsen beginnen. „Es ist wunderschön hier!“ „Ja!“ Auf einmal bemerkte ich etwas Rotes neben mir. Was ist das? Etwas fadenartiges bewegte sich durch Wasser. Blut. Ich sah, dass ich in meiner einen Hand das Messer so fest umklammerte, dass es sich in mein Fleisch reingeschnitten hatte. Schnell legte ich es in meine andere Hand und begann zum Rand des Beckens zu schwimmen. „Hey, warte!“, Nick schwamm mir nach.

Wieder mit festem Boden unter den Füßen, legte ich mich auf den Rücken und saugte die warme Luft ein. Nick legte sich neben mich. Ich begutachtete meine Hand. Der Schnitt war zum Glück nicht sehr tief, aber trotzdem tat es weh. Schnell säuberte ich ihn im Wasser, ich wollte unter keinen Umständen Nick beunruhigen.

Mit meinen Handflächen konnte ich endlich Wasser zu meinem Mund führen und trinken. Es tat so gut. Nick tat es mir gleich. Zum ersten Mal war ich glücklich und verdrängte die anderen schrecklichen Gedanken. Ihm ging es anscheinend genauso. Wir tranken beide, bis wir nicht mehr konnten. Danach legten wir uns in die Sonne um uns ein bisschen auszuruhen. Eigentlich wollte ich nicht einschlafen, trotzdem entglitt ich der realen Welt und tauchte in meine Traumwelt ein.

Ich schreckte hoch und merkte sofort, dass ich eingeschlafen war. Doch meine Panik, war unbegründet, denn alles war in Ordnung. Nick schlief neben mir, seine Brust hob und senkte sich in gleichmäßigen Abständen. Die Sonne strahlte noch immer vom Himmel und es war keine Gefahr in Sicht.  Ich beschloss mich ein bisschen umzusehen, ehe Nick wieder aufwachte. Immerhin konnten wir nicht ewig hier an diesem wunderschönen, fast zu schönen Plätzchen, verweilen. Wir mussten die anderen Überlebenden finden und endlich von dieser Insel verschwinden, sofern das möglich war. Dann gab es auch noch diese kranken Psychopathen, die wir notfalls kaltmachen mussten.

Ich wollte einen Ausweg aus diesem Paradies finden, einen Weg wieder in den Dschungel, aus dem wir gekommen waren. Ich ging los und drehte mich immer wieder um, um sicher zu gehen, dass Nick noch da war. Er lag noch immer an derselben Stelle wie zuvor. Plötzlich stolperte ich über etwas, aber fand zum Glück sofort meinen Halt wieder. Ich sah zu Boden und entdeckte etwas Glitzerndes. Als ich näher hinsah, bemerkte ich, dass es die Sonne war, die sich darin spielgelte. Dieses Ding war im Boden vergraben und ich begann die Erde rundherum wegzuschaufeln. Was zum Vorschein kam, war ein alter Spiegel.

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