Kapitel 23

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Diese Hitze. Immer diese Hitze. Verdammte Insel. Ich hechelte beinahe wie ein Hund, um genügend Sauerstoff zu bekommen. Nick zog mich hoch und ich stand mit wackeligen Beinen da. Auf seiner Stirn vermischten sich die Schweißperlen, mit dem neuen Blut, aus seiner wieder offenen Wunde. Wir beide sahen jämmerlich aus. Abgemagert. Verletzt. Zerstört. Seelisch und körperlich eigentlich am Ende. Eigentlich, denn unser Überlebensinstinkt war stärker und trieb unsere kraftlosen Körper an. Wir nahmen den Beutel und das Messer. Nick ging voraus und ich folgte ihm. Ich versuchte mich auf seine Füße zu konzentrieren, auf irgendetwas musste ich mich konzentrieren, sonst hätte ich es nicht ausgehalten. Mit aufgerissenen Augen gingen wir voran. Bei dieser Hitze war das Gehen noch unerträglicher. Ich fragte mich, wie es überhaupt möglich war, dass es so heiß war. Es fühlte sich an als würden wir in der Hölle braten. Ich wette in der Hölle ist es noch angenehmer als hier. Meine unsinnigen Gedanken verwirrten mich nur noch mehr. Wenn es einen Gott gäbe, würden wir hier nicht festsitzen! Sogar das Denken strengte mich an und so beschloss ich, an nichts zu denken. Aber das war leichter gesagt als getan, man konnte einfach nicht nicht denken. An irgendetwas musste man immer denken. Deshalb grub ich alte Erinnerungen aus. An das schöne Haus am Land meiner Großeltern. Früher hatten wir dort den Sommer verbracht, mein Bruder und ich. Es war ein wunderschönes weißes Haus mit vielen Zimmern. Draußen gab es unendlich weite Grasflächen. Meine Großeltern hatten eine große Anzahl an Schafen. Oft lag ich einfach nur im Gras und beobachtete die vorbeiziehenden Wolken am Himmel. Dort draußen hatte ich mich schon immer so frei wie noch nie gefühlt. Was meine Großeltern wohl gerade machen? Wahrscheinlich kümmern sie sich wieder um ihr Land, wie immer. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, meinem Großvater war sein Land wichtiger als die Familie. Oder sie sind bei meinen Eltern und meinem Bruder und versuchen ihnen beizustehen. Was mein Bruder wohl gerade macht? Da ich nicht wusste, ob Wochentag oder Wochenende war, konnte ich auch nicht wissen, ob er gerade in der Schule saß und dem langweiligen Unterricht zuhörte. Aber ich konnte mir auch gut vorstellen, dass mein Bruder wieder mit einem Mädchen zusammen war. Das letzte Jahr hatte er oft die Schule geschwänzt und sich mit seiner Freundin Lorraine getroffen. Ich fand sie passten echt gut zusammen und mochte sie auch sehr gerne. Sie war oft bei uns zum Abendessen eingeladen und erzählte immer lustige Geschichten. Ich mochte es wie mein Bruder sie ansah, er liebt sie wirklich.

„...hier oder da lang?" Ich ließ meinen Kopf sinken. „Hey, Ally! Sag was!" „Tut mir leid, ich war gerade so in Gedanken vertieft, dass ich nichts mitbekommen hab." „Kein Problem. Siehst du? Wir sind an einer Lichtung angekommen, bist du eher für links oder rechts zum Weitergehen?" Da erkannte ich es auch. Hier waren die Bäume nicht so dicht beieinander und es sah fast so aus, als würden zwei verschiedene Wege weiterführen. „Entscheide du!" „Ich hab dich aber gefragt, weil ich wissen will, für welchen Weg du bist.", sagte er geduldig. „Gut, dann gehen wir den linken Weg weiter." Bitte, lass es die richtige Entscheidung sein. „Ist wirklich alles ok?" „Naja, diese Hitze macht mir echt zu schaffen und mir ist schwindelig, ich hoffe nur ich kippe nicht jeden Moment um." „Ok, lass uns eine Pause machen!" Ich setzte mich auf einen großen Stein, der gleich neben mir lag. „Wir brauchen wieder dringend Wasser!", meinte Nick. Er hat Recht. Sonst breche ich gleich zusammen. „Ja, aber lass uns noch kurz ausruhen!" Mein Gehirn spielte mir Streiche. Überall sah ich Wasser von den Bäumen tropfen. Ich streckte mich um mich groß zu machen und stand auf beiden Beinen. Ich wollte einen Schritt nach vorne machen und trat ins Leere. Ich rutschte bergab und blieb schließlich eigezwängt irgendwo liegen. Ich verstand überhaupt nicht, was gerade passiert war. Schon hörte ich die Stimme von Nick: „Ally!" Ich öffnete meine Augen und erkannte ungefähr zwei Meter über mir wieder den Dschungel. Ich musste anscheinend durch einen engen Spalt in eine Art kleine Höhle gefallen sein. „Hier bin ich! Ich...Ahhhhhh!", hörte ich mich selbst entsetzt aufschreien. „Oh Gott!", Nick kam angerannt und stürzte sich vor der Spalte auf den Boden. „Rede mit mir!", seine Hand griff nach mir, doch sie erreichte mich nicht mal annähernd. Mein Atem ging schnell und ich hustete. Ich blickte ihn an, ich hatte meine Worte verloren. Ich begann wie wild zu schreien und versuchte mich nach oben zu drücken, doch ich schaffte es nicht, ich rutschte an dem feuchten Stein ab. „Hol mich hier raus!" Meine Hand versuchte seine zu erreichen, doch sie trafen sich nicht. Ich vergrub meine Hände in dem, was ich gerade entdeckt hatte. Knochen. Der Spalt war voll von ihnen. Schädelknochen, Schienbeinknochen, Oberschenkelknochen,... In meiner Panik, versuchte ich mich noch einmal nach oben zu stoßen, doch ich landete immer wieder auf den Knochen. Nick verfolgte die ganze Aktion, mit weit aufgerissenen Augen und entsetztem Gesicht. Er konnte mir nicht helfen. Jedenfalls nicht so. Ich schnitt meine Beine und Arme an den spitzen Teilen der Knochen auf. Und langsam wurden die elfenbeinfarbenen Überreste mit roten Tropfen übersäht. Ich schrie, ich hatte höllische Schmerzen. „Nick!", meine flehenden Rufe drangen nach oben. „Beweg dich nicht!" Ich sackte wieder auf den Knochen zusammen. „Ich lehne mich soweit es geht nach vorne und wenn ich jetzt sage, drückst du dich mit aller Kraft ab und versuchst meine Hand zu erreichen!" Ich nickte monoton. Er lehnte sich langsam über den Rand, so weit, dass ich dachte, er würde gleich zu mir hinabstürzten, das wäre unser Todesurteil. Wobei ich durch sein Gewicht wahrscheinlich zuerst gestorben wäre, da er mich gegen die Spitzen Knochen gedrückt hätte. Seine Hand kam immer näher und näher, diesmal dachte ich, dass wir es schaffen würden. Kaum schrie er „jetzt", stemmte ich mich mit aller Kraft vom Untergrund ab und segelte nach oben. Mit ausgestreckter Hand, versuchte ich Halt zu finden. Doch Nicks und meine Hand trafen sich nie. Ich rutschte wieder zurück in den Spalt und mit aller Wucht, traf ich auf den Knochen auf. Mein Körper wurde von Schmerzen durchzuckt. Ich schrie mir die Luft aus der Lunge und als ich wieder Luft holen musste, sah ich an mir herab. Ein Knochensplitter hatte sich in meinen Oberschenkel gebohrt.

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