Ich hörte einem Mädchen beim Schreien zu. In ihrem Schrei lag Verzweiflung und Schmerz. Warum schreit sie? Warum hört sie nicht auf zu schreien? Meine Ohren tun schon weh! Dann begriff ich, dass das Mädchen, welches schrie, ich selbst war. Aus meinem Mund drangen diese fürchterlichen Geräusche. Wie in Trance griff ich an mir herab. Meine Finger umklammerten den Knochensplitter. Mit einem Ruck zog ich ihn aus meinem Oberschenkel hinaus und mein Schrei stoppte abrupt. Ich starrte das dunkelrote warme Blut an, welches aus der Wunde hinausschoss. „Halte durch!“, rief Nick von oben. Doch es war zu spät, ich kippte nach hinten und verlor mein Bewusstsein.
Ich weiß nicht wie lange ich bewusstlos war, aber als ich aufwachte, sah ich nur weiß. Ich lag auf dem Rücken und fühlte Schnee unter mir. Ich stand auf und sah an mir herab. Es waren keine Wunden zu sehen und ich hatte dieselbe Kleidung wie bisher an. Diese war jedoch nicht zerrissen und blutverschmiert, sie sah wie an dem Tag des Abfluges nach Sydney aus. Ein Windhauch fuhr mir durch die Haare und Schneeflocken kitzelten mich im Gesicht. Obwohl ich kurze Sachen anhatte, spürte ich keine Kälte, im Gegenteil ich fühlte eine angenehme Wärme, welche mich umgab und mich auf meinem Weg begleitete. Ich ging vorwärts durch den Schnee. Alles um mich war nur weiß. Überall nur Schnee, soweit meine Augen reichten. Ich ging eine kleine Böschung hinauf und dann erblickte ich ihn. Einen Berg. Sein Gipfel, war zum Greifen nahe und ganz oben schaukelte eine bunte Fahne im Wind. Ich machte mich auf den Weg, ich wollte den Gipfel erklimmen. Zwar bewegte ich mich vorwärts, doch es schien so, als würde der Berg immer weiter zurückweichen. Er wurde immer kleiner und kleiner, bis er schließlich ganz verschwand. Nun war ich wieder nur von dem vielen Weiß umgeben. Ich wollte nachdenken, aber es fühlte sich an als wäre ich nicht in der Lage zu denken. Das einzige was ich konnte, war, Sehen, Fühlen, Gehen. Ich versuchte zu sprechen, doch es kam kein Wort hinaus. Ich begann mich im Kreis zu drehen und tanzte feengleich über die Schneedecke. Mein Tanz wurde jäh unterbrochen, als mich etwas am Kopf traf. Ich wollte nachsehen, was es gewesen war, doch plötzlich schien alles zu explodieren. Das viele Weiß verschwand einfach und mit ihm auch ich.
Meine Augen öffneten sich. Mein Atem ging schnell. Panisch blickte ich um mich. Mein Bein pochte. Ich lag noch immer in der Spalte mit den ganzen Knochen. Schon wieder traf mich etwas am Kopf. Es war ein kleiner Ast, welcher von meinem Kopf abprallte und zu Boden ging. Ich blickte nach oben. Nick saß am Rand des Spalts und warf in regelmäßigen Abständen, Äste auf mich. Als er mich bemerkte, stoppte er damit. Er schien sichtlich erleichtert zu sein. „Ally, du kannst gar nicht glauben, wie schlimm die letzten Stunden für mich waren, ich bin so froh…Um dich hier rauszuholen brauche ich deine Hilfe, aber du warst bewusstlos…“ Leise begann ich zu flüstern: „Nick, ich halte es hier keine Sekunde länger aus, bitte hol mich hier raus!“ Wieder sah ich auf mein Bein. „Ja, ich habe einen Plan, hier habe ich eine Art Liane, du musst dich festhalten und ich ziehe dich hoch!“ Das Blut war inzwischen gestockt und war nur noch ein rotbrauner Fleck auf mir. „Ok.“ Nick verschwand kurz aus meinem Sichtfeld und kam gleich darauf mit einer Liane in der Hand zurück. „Am besten du bindest sie irgendwie um deinen Oberkörper.“ Er ließ das eine Ende zu mir hinunter und ich schnappte danach. Zum Glück war die Liane lang genug und so begann ich sie um meinen Oberkörper zu wickeln. Für einen Sekundenbruchteil, stieß ich bei meinem Bein an und ein schreckliches Gefühl durchfuhr meinen gesamten Körper. Auf einmal wurde mir ganz schlecht und ich musste mich übergeben. Nick war wieder in Alarmbereitschaft: „Wenn du es nicht schafft, komme ich zu dir runter!“ Ich wischte mir über den Mund: „Dann haben wir gar keine Chance mehr!“ Ich band die Liane weiter um mich und machte Knoten rein, damit sie auch festhielt. Als ich fertig war rief ich: „Zieh!“ Nick begann zu ziehen. Stück für Stück wurde mein Körper nach oben gezogen. Dabei schrammte er die ganze Zeit am Fels entlang. Doch das war mir im Moment egal, ich wollte einfach nur aus diesem Drecksloch hinaus. Du schaffst das, Nick! Ich spürte wie mein Körper die Kante passierte und ich wieder den Boden des Dschungels unter mir spürte. Mit einem Ruck blieb ich am Boden liegen. Wieder gab es einen Stich in meinem Bein und ich hätte mich fast schon wieder übergeben. Wo ist Nick? Ich hörte ihn hinter mir schweratmend am Boden sitzen. „Nick?“ „Ja? Geht es dir soweit gut?“ „Komm her!“ Er stand auf und lehnte sich über mich. „Was ist denn?“ „Näher.“ Sein Gesicht kam näher. „Noch näher!“ Unsere Nasen berührten sich jetzt. Ich gab ihm einen Kuss. Er erwiderte ihn und wollte sich auf mich legen, als ich aufstöhnte. Er ließ sofort von mir ab. „Mein Bein.“, presste ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. „Natürlich.“ Er begutachtete meine Wunde. „Die müssen wir auf jeden Fall säubern! Bleib ganz still hier liegen, ich suche irgendwelche Blätter oder so!“ Er bewegte sich wieder von mir weg. Was soll ich sonst tun, außer hier liegenbleiben? Ich sah den Blättern über mir zu, wie sie sich im leichten Wind bewegten. Erst jetzt war mir aufgefallen, dass es kälter geworden war, als vorher. Wenigstens ein Vorteil. Nick sorgt sich immer so um mich. Er hat mich schon öfters vorm Tod gerettet? Ob ich das gleiche für ihn machen könnte? Ich hoffe, dass wir nie in so eine Situation kommen, wo ich ihn retten muss. Ich könnte, dass mir nie verzeihen, wenn er wegen mir stirbt, weil ich ihm nicht helfen konnte… Ich hörte die vertrauten Schritte von Nick hinter mir und gleich darauf beugte er sich wieder zu mir herab. „Ich habe solche Blätter gefunden, die müssen reichen!“ Er begann zuerst den Rand der Wunde, vom Dreck zu befreien, schon das alleine tat höllisch weh. Doch als er dann in die Wunde fuhr, war der Schmerz von vorhin gar nichts dagegen. „Wie tief ist es?“ „Schwer zu sagen, deinen Knochen kann man jedenfalls nicht sehen, ich denke, dass ist mal ein gutes Zeichen!“ Er legte die Blätter beiseite, man konnte auf ihnen rötliche Spuren erkennen. „Ich bin fertig! Denkst du, du kannst aufstehen?“ Nein denke ich nicht! Er stütze mich, während ich aufstand, doch als er merkte, wie schwach ich war, legte er mich in seine beiden Arme und hob mich hoch. Ich war froh, dass er mich wegtrug. Weg von diesem Spalt und den menschlichen Kochen.
DU LIEST GERADE
The Island
HorrorEs sind 249 Passagiere an Board der Boeing 777, darunter eine Schulklasse aus Chicago. Was mit Spaß beginnt, endet in reinstem Horror, als das Flugzeug in ein heftiges Gewitter gerät und über einer Insel mitten im Pazifik abstürzt. Die Jagd kann beg...