Kapitel 17

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23.12.2013, 00:16 Uhr: Mein Handy läutete. Was? Ich musste wohl am Schreibtisch eingeschlafen haben, mein aufgeschlagenes Buch lag neben mir. Wer will so spät noch etwas von mir? Ich sah auf das Display, in weißen Buchstaben leuchtete der Name meines Bruders. Genervt hob ich ab: „Was ist denn, Mike?“ „Ich…Ich hab ein Problem.“ „Weißt du eigentlich wie spät es ist?“ „Ja und es tut mir sehr leid, aber bitte es ist wirklich dringend.“ „Was willst du?“ „Komm so schnell es geht zum Rosie’s!“ „Du willst was von mir? Ist das wieder eine Verarsche von dir und deinen Freunden?“ „Nein, Ally, tu es einfach.“ „Sicher nicht, gute Nacht!“ „Ich bin verletzt!“ „Was?“ „Ich hatte eine Prügelei, nicht so schlimm…Bitte komm und hol mich ab, aber sag Mum und Dad nichts davon!“ „Oh mein Gott. Wie soll ich dich abholen, wenn ich keinen Führerschein hab?“ „Ah, komm einfach so schnell du kannst, bitte!“ „Scheiße, soll ich einen Krankenwagen rufen?“ „Nur das nicht!“, mit diesem Worten legte er auf. Was soll ich jetzt machen? Moment mal, er hat sicher getrunken und weiß nicht was er redet. Aber was wenn nicht, wenn er wirklich verletzt ist? „Scheiße. Scheiße. Scheiße!“, rief ich durch mein Zimmer. Panisch sprang ich auf und überlegte was ich machen sollte. Ich muss meinem Bruder helfen, aber wie? Ich darf Mum und Dad nichts sagen, aber warum? Plötzlich hatte ich einen Lichtblitz und suchte hektisch nach der Nummer des besten Freundes meines Bruders. Es wählte, es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis sich endlich die Stimme von Brian meldete: „Hallo?“ „Brian, ist Mike bei dir?“ „Was, nein wieso? Was ist überhaupt los?“ „Keine Zeit für Erklärungen, bitte du musst mich zum Rosie’s fahren, sofort!“ An meiner Stimmlage entnahm er anscheinend, dass es wirklich ernst war, denn er sagte, er würde in fünf Minuten bei mir sein.

Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich die Stiegen runterrannte, meinen Mantel anzog und mir die Hausschlüssel schnappte. Dann öffnete ich so leise wie möglich die Haustür und schlüpfte in die Nacht hinaus. Die kalte Dezemberluft schlug mir entgegen. Kein Wunder, dass es kalt war, morgen war Weihnachten. Von einem Bein aufs andere hüpfend wartete ich am Straßenrand auf den Freund meines Bruders. Hoffentlich kommt er gleich. Erleichtert konnte ich aufatmen, als Sekunden später, der blaue Ford um die Ecke bog. Kaum war das Auto zum Stillstand gekommen, öffnete ich die Beifahrertür und stieg schwungvoll in das Innere des Autos.  „Los, fahr!“, drängte ich. Doch Brian sah mich nur unverständlich an und sagte: „Beruhig dich doch mal und erzähl mir was mit Mike los ist!“ „Nun gut.“, ich atmete tief aus „Ich hab vor ein paar Minuten einen Anruf von meinem Bruder erhalten. Er sagte, er ist verletzt und ich soll so schnell wie möglich zum Rosie’s kommen!“ „Und wieso verdammt nochmal ruft er seine kleine Schwester an, anstatt seinem besten Freund?“ „Das weiß ich doch auch nicht, aber bitte Brian, fahr schon!“ Brian trat aufs Gas und der Wagen brauste davon.

Das Rosie’s befand sich zum Glück nur ein paar Querstraßen weiter. Als wir dort ankamen, war alles Stockfinster. Das Restaurant hatte schon um 20 Uhr geschlossen, da morgen Weihnachten war. Brian ließ seinen Wagen fallen und wir stiegen aus. „Das ist doch wohl nicht war, hier ist niemand!“, meinte er. Meine Augen späten durch die Dunkelheit und schließlich erkannte ich die Umrisse eines Körpers. „Hier Brian, schnell!“ Wir rannte  auf die am Boden liegende Gestalt zu. Brian leuchtete mit seinem Handy auf den Boden. Ich erkannte sofort, dass es sich um meinen Bruder handelte. Doch sein Anblick ließ mich nach Luft schnappen. Seine Lippe war aufgesprungen, sein rechtes Auge war zugeschwollen und aus seiner Nase tropfte Blut. Sie sah gebrochen aus. „Mike!“, ich ließ mich auf die Knie fallen und nahm den Kopf meines Bruders in die Hände. Mir stiegen Tränen in die Augen, die ich sofort wieder runterschluckte. „Scheiße, wir müssen ihn ins Krankenhaus fahren!“, sagte Brian. Plötzlich stöhnte Mike auf. Sein linkes Auge, öffnete sich langsam und starrte mich an. Gleich darauf, wurde er von einem Hustenanfall erschüttert und spuckte Blut. „Ally!“, kam es heiser von seinen Lippen. Brian war sofort zur Stelle und half meinem Bruder auf. Wir beide stützten ihn, auf dem Weg zum Auto. Dort angekommen legten wir meinen Bruder sachte auf die Rückbank. Anschließend startete Brian das Auto und wir fuhren Richtung Krankenhaus.

Ich wusste nicht weshalb, aber diese Nacht kam mir in dem Moment in Erinnerung. Ich musste würgen. Noch immer lag ich halb in diesem Etwas. Quer über den Boden waren Fleischstücke verteilt und das Blut bildete eine riesengroße Pfütze. Ich zog mich nach vorne, weg von hier. Neben mir hörte ich Nick, wie er sich übergab. Danach kam er auch zu mir gekrochen. Wir sahen beide aus, als hätte man uns in Blut getunkt. Es klebte überall an mir. Meine Hose und mein T-Shirt hatten sich damit vollgesogen. Jetzt kam mir auch dieser widerliche Gestank in die Nase, welcher mich wieder würgen ließ. Nick lag schwer atmend neben mir am Boden und murmelte etwas Unverständliches. Meine Augen fanden wieder das viele Blut. Wie gebannt starrte ich auf dieses Schlachtfeld. Zuerst dachte ich, es handelte sich um ein zerfetztes Tier, doch dann musste ich voller Grauen feststellen, es war ein Mensch. Ein Mensch, der in unzählige kleine Stücke zerhackt worden war. Ein paar Zentimeter von mir entfernt lag ein abgetrennter Finger. Nick hatte sich anscheinend wieder gefasst und starrte mit mir gemeinsam das Blutbad an. „Das ist ein Mensch…“, stotterte ich ungläubig mit weitaufgerissenen Augen. „Fuck.“ „Glaubst, du das waren die Psychopathen?“, ich fühlte mich wie in einem Film. „Nach einem Tierangriff sieht es nicht aus.“ „Was, wenn das eine Falle ist?“ „Wir müssen hier weg!“, befahl Nick. Doch in dem Moment tauchten zwei von den Verrückten in unserem Sichtfeld auf. Sie hatten wieder ihr unmenschliches Grinsen im Gesicht. „Verschwindet!“, brüllte Nick. Wo ist mein Messer? Voller Entsetzen bemerkte ich, dass es mir, als ich gegen Nick gerannt war, aus der Hand gerutscht war. Jetzt lag es irgendwo Mitten unter den Menschenteilen. Die zwei Männer sprangen auf Nick zu und hielten ihn fest. Ich wusste was Nick von mir wollte, ich sollte wegrennen. Aber kaum war ich aufgesprungen, kam ein weiterer Mann aus dem Hinterhalt gesprungen und stürzte sich auf mich. 

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