Kapitel 11

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Schweigend gingen wir querfeldein durch den Dschungel. Ich konnte das Singen der Vögel hören.  Es klang tröstlich, genau, dass was wir im Moment am meisten brauchten. Meine Blicke wanderten über die Bäume um uns herum. Die meisten waren mit Moos bewachsen und sahen schon sehr alt aus. Wäre da nicht wieder die erdrückende Hitze gewesen, hätte ich vielleicht klare Gedanken fassen können, doch es fühlte sich an, als würde die Sonne mein Gehirn wegbrennen. Wie lange dauert es wohl, bis vermisste Menschen für tot erklärt werden? Tage, Wochen oder sogar länger? Aber eigentlich ist es total egal, wir werden diese Insel sowieso nie mehr verlassen. Entweder wir verrecken im Dschungel oder die verrückten Menschen bringen uns um. Wieso gehe ich dann eigentlich noch weiter? Ich kann genauso gut jetzt auf den Tod warten. Was macht das schon für einen Unterschied? Ich blieb abrupt stehen. Nick, welcher sehr blass wirkte, sah mich fragend an. „Was ist?“ „Nick, ich kann das nicht mehr…“ „Was?“ „Das alles hier! Es gibt keine Hoffnung, dass denkst du doch auch? Also können wir gleich hier sterben!“ Betreten sah er zu Boden. „Vielleicht ist es Schicksal gewesen, dass wir auf dieser Insel landen, ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich bestimmt, wir haben überlebt. Uns wurde die Chance gegeben nicht aufzugeben und weiterzumachen. Wir schaffen das Ally!“ „Nein. Du vielleicht aber ich nicht!“ „Gemeinsam schaffen wir alles!“ Er wollte meine Hand nehmen, doch ich schlug sie weg. „Es ist nur eine Frage der Zeit…“ „All…“ „Ich halte dich doch nur auf. Wir wissen beide, wenn es einer von uns schafft, dann du!“ Nick begann wie wild den Kopf zu schütteln. „Wie kannst du nur so etwas sagen? Ich lasse dich hier nicht zurück!“ „Ich bin am Ende, Nick, ich gehe keinen Schritt weiter!“ Meine eigenen Worte, brachten wir Tränen in die Augen. Bleib stark! „Geh uns such die anderen!“ Kraftlos ließ ich mich zu Boden gleiten. Sofort setze er sich neben mich. „Nick, ich habe schrecklichen Durst und Hunger! Außerdem tut mir alles weh!“ „Ich weiß…“

Eine Weile saßen wir schweigen nebeneinander. Nick schien nachzudenken. Er ballte seine Hände zu Fäusten und seine Kiefermuskulatur spannte sich an. Die nächsten Worte brachte er sichtlich schwer hervor: „Ich werde die anderen Suchen gehen. Du bleibst hier und rührst dich nicht vom Fleck, ehe ich nicht wieder zurück bin, verstanden?“ Seine Worte machten mich sprachlos. Aber ich wollte schließlich, dass er mich zurückließ. Er wird nicht wieder kommen. Trotzdem fragte ich: „Wie willst du mich wieder finden?“ „Ich werde dich wieder finden!“ Skeptisch sah ich ihn an. Wenn ich nicht tot bin, bis er wieder zurückkommt… Falls er zurückkommt. Schließlich nickte ich. Noch immer schien er mit sich zu kämpfen. Doch dann sprang er ohne ein weiteres Wort auf. Ich sah weg, ich konnte ihn nicht ansehen, es schmerzte zu sehr. Ich wartete auf die davonlaufenden Schritte, aber er blieb stehen. Geh schon! Bitte! Auf einmal beugte er sich wieder zu mir runter und ich befürchtete schon, dass er es sich anders überlegt hatte. Doch er beugte sich vor und küsste mich. Als seine Lippen meine berührten, kribbelte mein ganzer Körper. Für einen Moment vergaß ich alles.

Der Kuss dauerte nicht lange und Nick stand auf. Nun steckte ich wieder in dieser scheußlichen Realität fest. In dem Moment wurde mir bewusst, dass ich eigentlich viel mehr für Nick empfand, als ich geglaubt hatte. Und jetzt muss ich ihn gehen lassen. Er macht ein paar Schritte, blieb dann stehen und drehte sich noch einmal um: „Wir sehen uns wieder!“ Mit diesen Worten verschwand er zwischen den Bäumen. Werden wir uns wirklich wieder sehen?

Die Tränen flossen mir nur so an den Wangen herab. Fast hätte ich es mir anders überlegt und wäre Nick nachgelaufen, aber ich konnte nicht. Ich muss stark bleiben! Ich konnte keinen Schritt weitergehen. Ich war an meinem Ende angelangt. Irgendetwas in mir hielt mich zurück, Nick nicht nachzulaufen.

Aufgeben ist nur für Schwache! Eine Stimme in meinem Kopf hämmerte gegen die Schädeldecke. Ich stand auf. Aufgeben ist nur für Schwache! Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Aufgeben ist nur für Schwache! Ich sagte diese Worte laut vor mir her. Ich hatte einen Entschluss gefasst, ich würde hier und jetzt nicht sterben.

Mit stapfenden Schritten ging ich los, in die Richtung, in welche Nick gegangen war. Ich liebe ihn. Ich verdrängte alle meine anderen Gefühle und setzte einen Fuß vor den anderen. Mein Herz klopfte schnell. Aufgeben ist nur für Schwache! Ich atmete ein und aus. Mein Körper mochte zwar schwach sein, aber mein Verstand nicht. Ich lebe noch und das werde ich nicht so einfach wegwerfen. Mein Vorhaben, gelang mir ganz gut, bis ich plötzlich mit voller Wucht von der Seite gerammt wurde.

Ich kippte um und mein Kopf schlug hart am Boden auf. Jemand saß auf mir. Vor meinen Augen war ein Schleier, doch ich konnte erkennen, dass es ein Mann war. Einer von den Verrückten! Ich begann wie wild zu kreischen, verstummte aber sofort, als er mir sein Messer an die Kehle legte. Er lachte auf. Sein Körper war schwer und ich konnte kaum atmen. Der Mann sah widerwärtig aus. Ich hatte Todesangst. Am liebsten hätte ich nach Nick geschrien, doch, das Messer drückte mir allmählich die Luftröhre zu. Seine schiefen, gelben Zähne blitzten mir entgegen. Er sagte etwas, doch ich konnte es nicht verstehen. „Bitte!“, flehte ich. Der Druck von dem Messer verringerte sich. Erleichtert atmete ich auf, doch dann nahm er meine Hand und setzte dort das Messer an. Nein!“ schrie ich. Ohne zu zögern rammte er mir das Messer in die Handfläche. Ich brachte einen erstickten Schrei hervor. Das Messer steckte in meiner Hand und an der Klinge lief mein dunkelrotes Blut entlang. Anscheinend haben diese kranken Leute Spaß daran, ihre Opfer zu foltern! Genüsslich zog er seine Waffe aus meiner Hand heraus und betrachtete die Klinge. Das Blut tropfte dabei auf mich. Anschließend widmete er sich wieder meiner Kehle. Ich lag still da und würde es über mich ergehen lassen. Mach schon, du Schwein! Aber er hatte sichtlich Spaß daran, mich warten zu lassen. Das Messer legte sich wieder an meine Kehle und schnitt in mein Fleisch. Mit einem plötzlichen Adrenalinschub bäumte ich mich auf und stieß ihn mit aller Kraft von mir weg.

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