Kapitel 35

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„Da hinten ist etwas Blaues.“ Erleichtert atmete ich auf, Nick war nichts geschehen. Nachdem die Worte von ihm bis in mein Gehirn vordrangen, wurde mein Körper mit Adrenalin überschüttet. „Du meinst?“ „Ja. Ally, da hinten ist das Meer, da bestehen keine Zweifel.“ Am liebsten hätte ich einen Sprung in die Luft gemacht, ließ es dann doch lieber bleiben. Das sind die besten Nachrichten, die ich je gehört habe. Ich kann es nicht glauben. Wir kommen hier raus. „Wie weit schätzt du ist es bis dorthin?“ „Kann ich nicht sagen, aber weit auf Jedenfall, es ist nur ein Bild am Horizont…“ Meine Freude konnte trotzdem nicht unterdrückt werden. Egal, wie weit es sein würde, wir würden es schaffen. „Ich komme wieder hinunter!“ Ich konnte es kaum erwarten, mit Nick diesen Weg einzuschlagen. Zwar wussten wir nicht, was uns beim Meer erwarten würde, aber es war ein Lichtblick am Horizont. Es raschelte und Nick stand wieder mit beiden Beinen am Boden. Sofort fiel ich ihm um den Hals. Auch er strahlte über das ganze Gesicht. „Wir können es schaffen, Nick!“, ich gab ihm einen Kuss und zog an seiner Hand. Wir beide dachten genau dasselbe, wir durften keine Zeit verlieren. Es wird Zeit, von hier zu verschwinden.

Unsere Schritte waren schnell. Vielleicht zu schnell für meine Körper, mir wurde schwindelig, aber das lag wahrscheinlich an der Freude. Ich fühlte mich gerade wie ein kleines Kind, welches sich über ein Geschenk freute, aber ich wusste auch, dass ich mir nicht zu vier erwarten durften. Immerhin wussten wir nicht, was wir beim Meer vorfinden würden. Wenn das wirklich unsere Rettung dort sein würde, was würde mit uns danach geschehen? Was passiert mit mir und Nick? Werden wir glücklich sein und wirklich irgendwann heiraten, so wie er es gesagt hatte? Oder wird es ganz anders kommen? Er hat das Meer gesehen, ich kann es nicht glauben. Ich begann laut zu lachen, woraufhin mich mein Freund von der Seite aus angrinste. „Du hast ein bezauberndes Lächeln!“, sagte er. „Dieser Moment gerade ist auch bezaubernd. Ich kann es gar nicht glauben…“ „Ally, ich will deine gute Laune nicht verblassen lassen, aber der Ozean ist groß. Was, wenn dort nichts, außer ein Strand ist? Keine weiteren Inseln weit und breit. Keine Hotels. Keine Menschen?“ „Du hast Recht.“, mein Lachen verstummte augenblicklich, „Was, wenn die Verrückten uns vorm Ziel erwischen?“ „Das wird nicht passieren, wenn wir uns beeilen!“ Nick beschleunigte seine Schritte, schnell holte ich wieder zu ihm auf.

Wir waren erschöpft, hungrig und durstig. Wir hatten nichts außer uns und das Messer. Keinen Beutel mit Essen und Trinken mehr. Mein Hals fühlte sich trocken an und mein Magen knurrte in regelmäßigen Abständen. Eine Nacht noch hier draußen und morgen erreichen wir hoffentlich den Strand. Die Sonne verabschiedete sich schon wieder von uns. Mir kam es so vor, als würden die Tage im Dschungel viel schneller vergehen, als zu Hause. Man verliert sein Zeitgefühl. Ich konnte nicht einmal sagen, wann genau eine Stunde vergangen war. Nick schien genauso planlos wie ich zu sein. Zwar meinte er immer, man könne an der Sonne die Uhrzeit ablesen, aber wir hatten keine Ahnung wie das ging. Eigentlich war es auch egal, wir gingen schlafen, wenn es dunkel wurde und standen auf, wenn es hell wurde. So haben das die Leute, vor der Zeit bevor es Uhren gab, auch gemacht. „Glaubst du wir schaffen es morgen bis zum Meer?“, fragte ich Nick. „Ich habe keine Ahnung, wirklich nicht, Ally!“ Ich bleibe einfach bei meiner Version, dass wir morgen das Meer erreichen. Ich glaube, ich werde sofort auf das dunkelblaue Wasser zustürmen und reinspringen und mich waschen. Meine Haut war übersäht mit Wunden, Dreck und Blut. Endlich würde ich mich säubern können und hoffentlich all die Erinnerungen von mir abwaschen. Ich konnte das salzige Meerwasser fast schon riechen.

Nick schlief wieder, wie jede Nacht, dicht neben mir und hatte seinen Arm um mich gelegt. Sein Herz pochte in regelmäßigen Abständen und doch hatte ich jede Minute Angst, er könnte wieder einen Anfall bekommen. Er sagte mir nie, wenn es ihm schlechtging. Jedoch hatte ich diese Nacht hatte ich keine Albträume, im Gegenteil, ich träumte von der Farm von meinen Großeltern. Wie ich händchenhaltend mit Nick im saftigen Gras lag und er mir Witze erzählte. Zum Glück verlief die Nacht gut, ohne irgendwelchen Unannehmlichkeiten und in der Früh kitzelten mich wieder die Sonnenstrahlen an der Nase. Ich weckte Nick auf. Wir hatten noch einen weiten Weg vor uns.

Noch immer hungrig und durstig marschierten wir durch das Grün des Dschungels. Wir müssen es heute schaffen, wir müssen einfach. Um mich abzulenken, erzählte mir Nick wieder von seinen Träumen und Ängsten. Ich dankte ihm dafür, denn ich selbst war viel zu aufgeregt, um auch nur irgendetwas zu erzählen. Nervös spielte ich mit dem Messer herum, welches ich in der Hand hielt. Nick meinte immer, ich solle das Messer nehmen, damit ich mich besser verteidigen konnte. Wenn ich daran dachte, dass ich früher immer schon Angst hatte, wenn wir meine Eltern sagten, dass ich Gemüse schneiden soll und sie mir ein Messer gegeben hatten, musste ich schmunzeln. Früher hatte ich Gemüse mit einem Messer geschnitten und heute bringe ich Menschen damit um. Ich bin total verrückt geworden. „Nick, weißt du was ich früher immer…“ Auf einmal drückte mich Nick gegen die Rinde eines Baumes und presste seine Lippen auf meine. Dann begann er meinen Nacken zu küssen und flüsterte mir dabei ins Ohr: „Da hinten ist jemand!“ „Was?“, mir gefror das Blut in den Adern.  „Shhhh.“ Er drückte seine Lippen wieder auf meine. „Er weiß nicht, dass wir ihn bereits entdeckt haben. Er hat eine Waffe. Ein Gewehr.“ Was? Einer der Verrückten hat ein Gewehr? Woher? „Du behältst das Messer. Wenn ich dir ein Zeichen gebe, springen wir hinter dem Baum hervor und du wirfst das Messer ohne Zögern, verstanden?“ „Kann ich nicht dir das Messer geben?“ „Dafür ist jetzt keine Zeit mehr.“ „Nick, ich habe so Angst! Wenn ich nicht treffe?“ „Ich glaub an dich. Du bist stark, du schaffst das!“ Ich umklammerte den Griff des Messers fester und machte mich auf das Bevorstehende bereit. Nick küsste mich noch ein letztes Mal, ehe er langsam zurückwich und mir das Zeichen gab. Du wirst diesen Mistkerl mit dem Messer treffen! Nick und ich sprangen gleichzeitig hinter dem Baum hervor. Der Verrückte keuchte erschrocken auf. Ich zielte und warf das Messer. Im gleichen Moment ertönte ein Schuss. Das Messer segelte durch die Luft und traf unseren Angreifer in der Bauchgegend. Er ließ das Gewehr fallen und sackte zu Boden. Nick und ich sahen uns erschrocken an. Sein Mund war zu einem stillen Schrei geöffnet. Dann sah ich ihn. Ein roter Fleck breitete sich auf Nicks Brust aus. Dann stürzte mein Freund zu Boden. 

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