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Als ich 6 Jahre alt war, bekam ich zu Weihnachten einen kleinen Hasen. Ich nannte ihn „Spotty" und er war für 2 Jahre mein allerbester Freund. Spotty stand an der Stelle der Freunde, die ich verloren hatte, da wir so oft umgezogen waren. Mit 3 Jahren wurde er furchtbar krank. Meine Eltern sagten mir, ich müsse mich nun von ihm verabschieden, ihm für immer „Leb wohl" sagen. Ich verstand sie nicht. Ich verstand nicht warum ich das tun sollte, warum Spotty gehen musste. Spotty, mein bester Freund, wurde eingeschläfert. Er war mein erstes und mein letztes Haustier. Nie wieder, wollte ich etwas oder jemandem für immer „Leb wohl" sagen.

———

Das Weiß der Wände brannte sich in mein Sichtfeld wie eine Erinnerung. Es war stickig, es roch nach Desinfektionsmittel und der Boden, der mich zu Raum 101 führte, glänzte genauso wie alles andere in diesem Krankenhaus weiß. Meine Schritte fühlten sich schwerer als sonst an. Meine Locken fielen mir noch nerviger ins Gesicht. Meine Kleidung war schwitziger als sonst.

Meine Hand zitterte, als ich die Türklinke umgriff. Die beiden Polizisten, die vor dem Raum saßen, störten das Weiß und somit meine Ruhe. Etwas Wind kam mir entgegen, als Zero mir aufmunternd auf die Schulter klopfte und ich die Tür somit öffnete.

Licht fiel durch die Fenster des kleinen Zimmers auf sein Bett. Chase lag ganz ruhig da, seine Haut war blass, sein Gesicht war friedlich. Seine Haare waren zurückgekämmt, etwas länger geworden und glänzten ein wenig in der Sonne. Die Gravitation schien immer stärker zu werden, je näher ich dem Bett kam.

Zero hatte die Tür hinter mir geschlossen, ließ mich allein mit ihm, so wie ich ihn gebeten hatte. Sofort nahm ich seine Hand, als ich mich auf einen Hocker neben ihn setzte. Je länger ich ihn ansah, desto mehr trieb sein Anblick mir die Tränen in die Augen. So schutzlos, so hilflos, so ruhig, hatte ich ihn das letzte Mal bei mir zu Hause gesehen. Auf meiner Couch, schwitzend, fiebernd.

„Hallo Chase", sagte ich leise, führte seine Hand an meine Mund um einen sanften Kuss darauf zu platzieren. „Ich habe auf dich gewartet, Chase. Du bist nicht gekommen", ich presste die Lippen aufeinander, Tränen liefen meine Wangen herunter und ich wendete meinen Blick einen Moment von seinen geschlossenen Augen ab.

„Weißt du, ich habe viele neue Freunde gefunden", ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen. Chase liebte es, wenn ich lächelte. „Sie sind alle ein bisschen eigen, aber sie haben gut auf mich aufgepasst und mir immer geholfen dich zu finden", murmelte ich.
„Du hättest sie gemocht", fügte ich mit einem Zittern hinzu und legte meine Stirn an seine Wange.

„Ich habe dich gefunden, Chase.", flüsterte ich in sein Ohr, gab ihm einen Kuss auf die Wange und lächelte erneut:"Jetzt kannst du dich nicht vor meinen Küssen verstecken", lachte ich und streichelte ihm dann über seine Wange.

„Du bist wunderschön, Chase. Aber das weißt du ja eh schon", ich lachte wieder etwas, eine Träne fiel ihm auf die Lippe, die ich sofort wegwischte. „Ich vermisse dich sehr. Du fehlst mir", murmelte ich, strich erneut über seine Wange und musterte seine geschwungenen Lippen. Ich richtete mich auf, gab ihm einen Kuss auf seine Nasenspitze, beugte mich dann zu seinen kühlen Lippen und schloss meine Augen, als ich ihn küsste.

Die Zeit spielte gegen uns und auch wenn ich mich am liebsten Tage lang nicht mehr bewegt hätte löste ich mich von seinen Lippen und lächelte:"Ich liebe dich, Arthur".

———

Ich hatte mich strikt geweigert die Worte auszusprechen, die meine Eltern damals von mir verlangten. Sie klangen falsch in meinem Kopf, wie etwas, das man nicht aussprechen sollte. Zero hatte mich nach draußen getragen, nachdem ich, dicht an Chase gekuschelt, eingeschlafen war. Schon seit einer Ewigkeit saß ich nun draußen an ihm gelehnt, neben uns die Polizisten. Vor ein paar Minuten waren die Ärzte in seinem Zimmer verschwunden, seitdem war die Tür vor mir geschlossen.

Zero hatte die ganze Zeit über nichts anderes getan als geweint. Ich wusste, wie sehr er Chase liebte. Auch ich schluchzte seit einiger Zeit gegen seine Brust, verschwendete keinen Gedanken an die Polizisten neben mir.

„Sind Sie Charles? Von dem uns ihr Freund hier erzählt hat?", ein Arzt, der aus dem Zimmer gekommen war, zeigte auf Zero und sah mich dabei an. Ich nickte langsam, wischte mir über die Augen. „Was genau haben Sie getan, als Sie gerade da drinnen waren?", er nickte zu dem Zimmer, in dem Chase lag und sah mich dann wieder ernst an.

„I.. ich habe mit ihm gesprochen, mit ihm gekuschelt.. wa.. warum?", fragte ich verwirrt und der Arzt nickte nur ein wenig nachdenklich, zuckte dann überfordert die Schultern:"Seine Werte haben sich stabilisiert. Seine Herzfrequenz ist in Ordnung. Seine Sättigung ebenfalls. Egal was sie gemacht haben, es sieht so aus als möchte er gerne noch hier bleiben. Bei Ihnen".

Einen Moment lang konnte ich die Worte des Arztes nicht fassen, sah ihn nur überfordert an. Dann, als mir das Denken wieder gelang und ich Zero sah, der nun keine Tränen der Trauer mehr vergoss, konnte ich nicht anders als zu lächeln. „Natürlich ist er nicht vollständig über den Berg...", unterbrach der Arzt unsere aufkommende Freude. „Wir sind hier immerhin nicht in irgendeiner fiktiven Romanze auf irgendeiner Platform wie zum Beispiel Twitter oder dieses Wattpad".

Verwirrt zog ich kurz die Augenbrauen hoch, nickte dann aber verständnisvoll mit dem Kopf und spielte wieder mit zwei Fingern an meinem Ärmel, wartete gespannt auf die nächsten Worte des Anästhesisten. „Ich denke wir müssen noch mit ein paar Wochen Komazeit rechnen. Dass ihr Freund ohne jegliche Beeinträchtigung aufwacht halte ich ebenfalls für unwahrscheinlich."

„Ist mir egal", schrie ich schon fast, ließ den Arzt somit etwas zurückweichen und räusperte mich dann kurz entschuldigend:"Ist mir egal", sagte ich etwas leiser, etwas ruhiger als vorher und sah zu dem Arzt hoch:"Hauptsache er lebt"

———

Ich habe es nicht übers Herz gebracht Chase gehen zu lassen, obwohl ich es stark in Erwägung gezogen habe.

Kommt mir nun bitte nicht mit:"Ey yo lol rofl yolo is ja voll unlogisch". Das ist es tatsächlich nicht. In meiner medizinischen Laufbahn hatte ich bereits zwei solcher Fälle, welche meine Inspiration für dieses Kapitel waren.

Lucy.xx

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