Ein schrilles Geräusch riss mich aus meinem nicht ganz so gemütlichen Schlaf auf der Matratze. Ich sah Männer auf den Fluren vor meiner Zelle rennen. Jungs, die ich aus dem Unterricht oder vom Hof kannte wurden wüst in alle Himmelsrichtungen gezerrt. Ehe ich mir überhaupt Gedanken darüber machen konnte, was hier los war, knallte meine Zellentür auf, ein Mann in Uniform packte mich an den Haaren, zog mich von der durchgesessenen Matratze auf die Beine und schliff mich hinter sich her. Widerstand war zwecklos, das wusste ich, weswegen ich versuchte Schritt zu halten und meine Gedanken zu sortieren. Das Geräusch der Sirene brannte sich in meinen Kopf, verhinderte es mir nur einen klaren Gedanken zu fassen.
Ich hörte Schreie, sowohl von Menschen, die Befehle rumschrieen, als auch von Jungs und Mädchen wie mir. „Wir bringen die in die Vans, in ein neues Lager, die Bullen kommen, erschießt die, die sich weigern", das waren Wörter, die ich aufschnappte. Panik stieg in mir auf: Wo würden die uns hinbringen? In was für Vans? Und vor allem, was war mit Chase? Würde er auch deportiert werden? Als die Tür nach draußen aufgestoßen wurde, brannte mir das helle Sonnenlicht fast meine Augen weg. Auf dem Hof war es noch schlimmer: Menschen wurden in riesige schwarze Vans gedrückt, deren Türen zugeknallt wurden, wenn niemand mehr reinpasste und die durch die offen stehenden Tore in den Wald fuhren.
„Charlie! Charlie!", seine Stimme drang durch all das Geschrei an mein Ohr. Sofort drehte ich panisch meinen Kopf in alle Richtungen, bevor ich ihn sah, sich gegen den Zaun, der uns trennte, schmeißend. Ich überlegte nicht lange, eigentlich gar nicht, da trat ich dem Mann, der mich vorwärts schupste schon zwischen die Beine und sprintete los, Chase kam ich immer näher bis ich mich vor dem Zaun auf die Knie schmiss und meine Hände gegen die Eisendrähte knallte:"Chase!", ich versuchte mich irgendwie an ihm festzuhalten, versuchte ohne Kopf und Verstand die Drähte zu verbiegen. „Shhhh. Charlie du tust dir nur weh", er bekam meine Hände zu fassen und verschränkte seine Finger fest mit meinen:"Charlie ich werde dich dort finden. Ich werde dich retten. Ich werde dich da raus holen. Ich werde einfach alle umbringen. Ich werde...", ich drückte mein Gesicht gegen den Zaun, legte meine Lippen auf seine und Schloss kurz die Augen, vergaß kurz all den Lärm um uns. Chases angespannter, verkrampfter Körper lockerte sich etwas. „Chase", ich sah ihm in die Augen, nachdem ich mich von seinen Lippen gelöst hatte:"Wir sind beide erwachsen. Wir werden sterben. Früher oder später werden sie uns umbringen. Nach all dem, das wir gesehen haben, werden sie uns nie wieder freilassen", Chase sagte nichts zu meinen Worten. Er sah mich nur aufmerksam und schwer atmend an:"Ich bin zu schwach. Ich würde sie nie besiegen können. Aber du", ich legte meine Hand auf seine Wange:"Du bist stark. Verstehst du? Du bist du. Du bist nicht unsterblich, klar, aber...", ich atmete durch, sah ihn in die Augen.
Du wirst stolpern. Du wirst hinfallen. Du musst auf dein Herz hören, Chase."
Mit Tränen in den Augen sah ich mein Gegenüber an. Niemals hätte ich erwartet Chase so zu sehen. Zitternd, weinend. Doch dort war er, keine zehn Zentimeter von mir entfernt. Er biss sich auf die Unterlippe, schüttelte energisch seinen Kopf.
„Charlie, du bist mein Herz"
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Schmerz. Schmerz war das einzige, das ich zu diesem Satz fühlen konnte. Der Knall des Schusses war völlig in all dem Chaos untergegangen. Die Kugel hatte mein linkes Schulterblatt durchbohrt und war spürbar tief in mir stecken geblieben. Keinen Ton bekam ich über meine Lippen, nichts. Chase riss seine Augen auf, seinen Schrei hörte ich längst nicht mehr. Alles was ich hörte waren die letzten Schläge meines Herzens, sie hallten in meinem Kopf wieder wie Pauken.
Dabei gab es so viel, das ich ihm noch sagen wollte. So viel, was ich ich noch hören wollte. Mein Körper sackte zusammen, mein Kopf schlug seitlich auf dem Asphalt auf und somit war der Aufprall das letzte, was mein Körper fühlte.
Man sagt man sieht sein Leben an sich vorbeiziehen. Man sagt man sähe seine Liebsten nochmal vor sich, bevor man für immer ging. Ich sah Chase, ich sah wie er weggezogen wurde, wie es mehr als 5 Wachen brauchte um ihn nur ein kleines Stückchen vom Zaun wegzubewegen. Die Schwärze, die schon seit dem ersten Tag, an dem ich diesen Ort kennengelernt hatte, meinen Geist getränkt hatte, legte sich nun auch auf meine Sicht. Ich blickte gegen eine schwarze Wand. Sie bot die Leinwand für den Film, der plötzlich vor meinen Augen erschien. Ich sah Ian an meiner Seite, wie wir Chase durch die engen Gassen jagten. Ich sah den Wolf mit dem Stacheldraht um seinen Hals. Ich sah Chase, der fiebrig auf meiner Couch saß, Molly, die versuchte mich zu vergewaltigen und Simon, der schüchtern auf Zeros Fragen antwortete.
Und als ich in die vollkommene Schwärze abdriftete war ich froh, dass das nicht mein Leben war, das gerade an mir vorbeigezogen war.
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Nur sehr aufmerksame Leser werden nun wissen, wie es weitergeht ;)
Lucy. x
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RomanceACHTUNG Das hier ist die Fortsetzung eines Buches Lest zuerst:" beauty in the beast" , bevor ihr das hier anfangt. ---- "Du wirst stolpern. Du wirst hinfallen. Du musst auf dein Herz hören, Chase." "Charlie, du bist mein Herz!" Chase wird weiter v...