Kapitel 14

3K 114 41
                                    

Erstellt am 19.04.2019

- Kamarias Sicht -

Noch immer irre ich durch die Straßen auf der Suche nach Itona. Meine Orientierung habe ich inzwischen schon gut sechs mal verloren. Mir ist kalt und ich bin müde, aber ich denke gar nicht erst daran, nach Hause oder irgendwo anders hin zu gehen, bevor ich Itona nicht gefunden habe. Noch immer sehe ich vor mir die Szene, kurz bevor Itona verschwunden ist. In dem Moment, in dem Itona völlig ausgerastet ist, sind meine Emotionen eingefroren und mein Gehirn hat sämtliche Denkprozesse eingestellt. Was von diesem Moment an bis jetzt überhaupt passiert ist, liegt so ziemlich im Nebel. Mein Körper lief also überwiegend auf Autopilot und erst jetzt gewinne ich allmählich die Kontrolle zurück. Einen klaren Gedanken kann ich auch jetzt kaum fassen, geschweige denn festhalten. Der einzige Gedanke in meinem Kopf ist Itona zu finden. Dieser Gedanke hat sich festgesetzt. Ansonsten ist mein Kopf leer und außer Schmerz, Trauer und natürlich Sorge um Itona, spüre ich noch immer rein gar nichts.
Als ich so gedankenverloren und gefühllos durch die Gegend stolpere, höre ich plötzlich einen ziemlich lauten Krach nicht weit von mir entfernt, der meine Sinne ein Stück weit weckt, sodass sie ihre Funktion langsam wieder aufnehmen. Es hört sich so an, als würde jemand ein Gebäude abreißen. Genau darauf habe ich gewartet, denn ich könnte mir gut vorstellen, dass es sich um Itona handelt, der in der Stadt Amok läuft und alles zerstört, was er findet. Ich brauche einen Moment, um die Richtung, aus welcher der Krach kommt, zu bestimmen. Als ich mir endlich sicher bin, renne ich so schnell ich kann in eben diese Richtung und dem Lärm entgegen, in der Hoffnung, Itona zu finden.
Tatsächlich finde ich schließlich Itona vor, der mit seinen Tentakeln gerade einen Handyladen zu Kleinholz und dessen Inhalt zu Schrott verarbeitet. /Ein Handyladen... Natürlich! Bei seiner Vergangenheit ist das kein Wunder./, stelle ich fest und hätte mein Gehirn nicht alle Denkprozesse eingestellt, wäre ich wahrscheinlich auch schon früher darauf gekommen und hätte gleich alle Handyläden der Stadt abgeklappert. „ITONA!", schreie ich seinen Namen so laut ich kann, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Tatsächlich dreht er sich zu mir um und hält in seinem Tun inne. „Verdammt nochmal! Itona, hör auf hier alles zu demolieren!", schreie ich ihn an. Wortlos starrt er zu mir.
„Erkennst du mich noch, Itona?", frage ich ihn dann, habe aber gleichzeitig ein wenig Angst vor der Antwort, die kommen könnte. „Ja. Wie könnte ich dich vergessen, Kamaria. Du und Samantha ihr wart die Ersten, die sich wieder ehrlich für mich interessiert und sich um mich gesorgt und gekümmert haben, seit meine Eltern verschwunden sind. Du warst vom ersten Tag an wie eine Schwester für mich.", antwortet er mir, was mich innerlich etwas beruhigt. Gleichzeitig bin ich doch sehr überrascht, dass er so normal mit mir redet und währenddessen ziehen sich sogar seine Tentakel wieder etwas zurück, sodass er wieder menschlicher wirkt. /Vielleicht wird das hier nicht ganz so schwer, wie ich befürchtet hatte.../, keimt in mir die Hoffnung auf.
„Dein Körper stößt die Tentakelzellen ab.", stelle ich fest. Dessen bin ich mir ziemlich sicher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Zellen seinem Körper gut tun. Außerdem scheint doch etwas von Shiro's Worten in meinem Kopf hängen geblieben zu sein. Zumindest glaube ich, dass er etwas in dieser Richtung erwähnt hatte. „Hast du sehr starke Schmerzen?", frage ich ihn besorgt und gehe direkt zu ihm. „Wenn ich mit dir rede, wird es besser.", lächelt er mich matt an.
„Bitte Itona, komm mit mir mit. Wir müssen diese Zellen aus deinem Körper raus bekommen.", versuche ich ihn zu überreden, während ich mit aller Mühe meine Tränen zurückhalte. „Kamaria hat recht, Itona. Hör besser auf sie. Und wenn ich dir die Zellen entfernt habe, wirst du Teil der Klasse und ich unterrichte dich.", steht auf einmal Korosensei einige Meter hinter uns, gefolgt vom Rest der Klasse. Ich brauche keine zwei Sekunden, um Karma auszumachen, allerdings zwinge ich mich dazu, meine gesamte Aufmerksamkeit Itona zu widmen. Ich lege ihm meine Hände auf die Schultern und rede weiter auf ihn ein. „Bitte Itona, Sam ist auch in der 9-E. Du bist bei uns doch viel besser aufgehoben. Ich bin für dich da und Samantha auch. Das weißt du doch. Lass dir die Zellen von Korosensei entfernen."
Offensichtlich zeigen meine Worte bei ihm Wirkung. Doch bevor er etwas sagen kann, zünden neben uns einige Rauchbomben. Anschließend tritt Shiro wieder auf den Plan, der Itona offensichtlich noch immer ausnutzt. Und nun stecke ich auch mit drin. Mit einem Netz lässt er Itona einfangen. Da ich aber direkt vor ihm stehe, erwischt mich das Netz dummerweise auch. Zusammen mit Itona werde ich auf ein Fahrzeug verladen. Natürlich wehre ich mich. Itona ist hingegen verdächtig still. Erst langsam realisiere ich, dass das Netz Itona's Tentakel blockiert und ihn so offensichtlich nicht nur schwächt sondern auch ziemlich zusetzt. Meine Wut in meinem Inneren steigt.
Korosensei folgt uns natürlich, was Shiro auch definitiv so geplant hat. Allerdings geht sein Plan wieder einmal nicht auf, da er wohl nicht damit gerechnet hat, dass sich die gesamte E-Klasse gegen ihn richtet. Kurzerhand holen Yuma und Hiroto Itona und mich aus dem Netz. Auch Karma kommt schnell zu mir, was ich allerdings völlig ignoriere. Mein Geduldsfaden ist nämlich in dem Moment gerissen, als Shiro uns das Netz über den Kopf hat werfen lassen. Und nun bricht meine ganze Verachtung für ihn auf einmal aus mir heraus und ich handle wie von einer fremden Macht gesteuert. Blind vor Wut stapfe ich direkt auf Shiro zu, der gerade Korosensei gegenüber steht. Was dieser gerade zu Shiro sagt, ist mir dabei herzlich egal. Im Gehen halte ich für eine Sekunde an, um aus meinem Stiefel die Waffe zu holen, mit der ich schon Charik gegenüber stand und ihn schließlich auch mit genau dieser Waffe erschossen habe. Seit diesem Vorfall habe ich sie nun so ziemlich immer bei mir. Alasdair hat auch darauf bestanden.
„Shiro!", schreie ich ihn an und richte meine Waffe genau auf ihn. „Kamaria! Was tust du da, um Himmels Willen!?", ruft Korosensei entsetzt. Wenige Meter von Shiro entfernt, bleibe ich stehen. „Ich beende das hier und jetzt! ES REICHT MIR NÄMLICH!!", raste ich nun völlig aus. „Tu das nicht, Kamaria!", höre ich Yuma hinter mir schreien. „Ist das wirklich dein Ernst? Willst du wirklich für diesen Jungen zur Mörderin werden?", wendet sich Shiro an mich. „Ich bin schon längst eine Mörderin! Also was spricht sonst noch dagegen?!", schreie ich weiter. „Sag mal bist du übergeschnappt?!", schreit mich Ryoma an. „Klappe!", sehe ich kurz zu ihm. Als ich meinen Blick wieder zurück auf meine Hand richte, um weiter auf Shiro zu zielen, ist meine Hand leer. Korosensei hat mir meine Waffe blitzschnell abgenommen. „Gaben Sie mir meine Waffe wieder!", schreie ich ihn an. „Nein, das werde ich ganz sicher nicht machen und ich finde, du solltest dich jetzt wieder beruhigen, Kamaria.", widerspricht er mir. „Ich will, dass er büßt für das, was er getan hat. Er soll zahlen und ich bin der Sensenmann!", schreie ich. „Kamaria Emilia Karasuma!", ertönt plötzlich eine Stimme neben mir. Ich drehe mich um und kassiere eine Ohrfeige. Geschockt sehe ich Karma ins Gesicht. „Jetzt krieg dich verdammt nochmal wieder ein!", schreit er mich verärgert an und holt mich damit langsam auf den Boden der Realität zurück. Wie versteinert stehe ich da und fühle mich, als wäre ich bereit für die Psychiatrie. Shiro hat sich mittlerweile schon aus dem Staub gemacht. Langsam drehe ich mich von Karma weg zu Korosensei. „Bitte holen Sie die Tentakelzellen aus Itona raus.", meine ich monoton mit einem emotionslosen Gesichtsausdruck, bevor ich wie auf Autopilot davonlaufen will. Allerdings hält mich jemand an der Hand fest. Ich muss die Person nicht ansehen, um zu wissen, das es Karma ist. Ich schlage seine Hand weg und renne so schnell ich kann los auf direktem Weg nach Hause.
Dort angekommen klingle ich Sturm bis mir mein Vater öffnet. Ohne ein Wort zu sagen falle ich ihm heulend in die Arme. Geschockt über mein Verhalten trägt er mich kurzerhand in sein Schlafzimmer und legt mich dort aufs Bett. Damit schlafe ich seit knapp fünf Jahren das erste Mal wieder bei meinem Vater. Erst jetzt wird mir langsam bewusst, dass es schon längst wieder dunkel und somit Nacht ist. /Wenn ich nicht einmal das bemerkt habe, wie geistig verwirrt bin ich dann eigentlich?/, frage ich mich, bevor ich auch schon vor Erschöpfung einschlafe.

Karasumas Tochter (Oc) x KarmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt