Insgeheim hoffte ich, dass der Kuss nie zu Ende gehen würde, doch wie wir schließlich alle wussten, gingen schöne Momente erst recht zu schnell vorbei. Und so war es auch bei Bill und mir.
Nachdem wir uns geküsst hatten und Arm in Arm im Zimmer standen, klopfte auch schon Tom an der Tür und sagte Bill, dass David derweil schon in der Tiefgarage angekommen war und die beiden so schnell wie möglich mit ihren Sachen, die sie für den heutigen Tag brauchten, runterkommen sollten. Bills und meine Verabschiedung fiel zwar kurz, aber in keinster Weise kalt aus. Es war ein kurzer Kuss, den Bill mir auf meine Lippen drückte, ein 'Ich freue mich auf später', als er sich von mir wegdrehte, um seine Tasche in die Hand zu nehmen und seine Jacke über seinen Arm zu werfen und ein zarter Kuss auf meiner Stirn, bevor er seinem grinsenden Bruder aus der Wohnung folgte.
Kaum fiel die Tür hinter den beiden ins Schloss und ihre Schritte waren verstummt, fing ich an zu grinsen und quiekte erfreut auf. Ich konnte nicht glauben, was gerade um mich herum passierte. Konnte nicht glauben, dass Bill und ich uns wirklich geküsst hatten. Es fühlte sich so neu, so fremd und gleichzeitig so gut an, dass ich von mir behaupten konnte, ich sei in Bill verknallt. Als mir allein diese Tatsache durch den Kopf ging, musste ich abermals aufquieken und hüpfte pfeifend und mit dem wohl breitesten Grinsen im Gesicht ins Badezimmer, um mich unter die Dusche zu stellen. Es war kurz vor elf und die Jungs würden bis mindestens 16 Uhr am Nachmittag wegbleiben. Ich beschloss, mich schick herzurichten, Pat anzurufen und zu fragen, ob er mich in die Stadt begleiten würde. Diesen wunderbar angefangenen Tag musste man so wunderbar weiterführen – auch wenn das schier unmöglich war -, wie er begonnen hatte, also beschloss ich, die Sonne zu genießen und mir noch Klamotten zuzulegen. Ich hatte in den letzten Wochen einiges zusammen gespart, wovon ich mir einige neue Sommerklamotten von kaufen könnte – es war allerhöchste Zeit, denn sogar jetzt war schon die T-Shirt-Zeit angekommen.
Frisch geduscht hüpfte ich aus dem Badezimmer in Bills Schlafzimmer und kramte in meinem Koffer nach einem sommerlichen Outfit. Entschieden hatte ich mich letztendlich für eine helle ausgefranste Hotpants mit braunen Stiefeln und einem weiten, hellbraunen Oberteil mit Blumen drauf. Um meiner Taille trug ich einen braunen Gürtel. Es war mein Lieblingsoutfit und auch das Letzte, was ich mir – seitdem Beccy tot war – aus meinem absoluten Lieblingsladen Vero Moda gekauft hatte. Doch genau das sollte sich heute ändern.
Schnell flitzte ich zurück in den offenen Wohnraum, der an die Küche grenzte, drehte die Anlage auf und goss mir einen Kaffee aus der Kanne in eine Tasse, um mich kurz darauf mit einer Zigarette in der Hand und dem Telefon bewaffnet auf den Balkon zu setzen und Pats Nummer zu wählen.
„Hallo?", meldete er sich gutgelaunt. Da schien ich mit meiner Laune wohl nicht die einzige zu sein.
„Ja, hi, ich bins Lynn.", begrüßte ich ihn freudig zurück. „Lust shoppen zu gehen?", im Wissen, wie seine eigentliche Antwort ausfallen würde, musste ich unwillkürlich grinsen und zog an meiner Zigarette.
„Naja, ich bin ein Mann, Lynn, von Lust ist hier also gar nicht die Rede", lachte der Manager am anderen Ende der Leitung auf, „aber weil du es bist: In zwanzig Minuten bin ich bei dir!", ich spürte sein Lächeln förmlich durch den Telefonhörer und bedankte mich noch mit einem Kichern, bevor ich auf den roten Hörer drückte und das Telefon mit einem weiteren Kichern und einem gefolgten Seufzen auf den Tisch vor mir ablegte.
Summend überbrückte ich die zwanzig Minuten, bis es an der Tür klingelte und ich mich erhob, um Pat in die Wohnung zu lassen. Wir tranken noch einen Kaffee zusammen auf dem Balkon, rauchten noch eine, überhäuften den anderen mit der guten Laune, die man besaß und machten uns dann nach einer weiteren halben Stunde auf den Weg in die Innenstadt Berlins. Unser direkter Weg führte erst einmal auf den Kurfürstendamm, die wohl bekannteste Shoppingstraße in Berlin. Schon nachdem wir all die dort liegenden Geschäfte durch hatten, waren wir mit Tüten bepackt. Ich war gar nicht mehr in der Lage dazu, meinen Shoppingwahn im Begriff von Tüten mit mir herumzutragen, weswegen Pat zum Tütenträger herhalten musste. Nachdem wir dort soweit durch waren, beschloss Pat mit mir noch ein wenig durch Berlin zu fahren und mir die ein oder andere Sehenswürdigkeit wie die Siegessäule, den Alexanderplatz, den Fernsehturm und auch die allseits bekannte Straße des 17. Junis fuhren wir einmal hoch und runter. Jetzt wusste ich, was alle damit meinten, dass diese Straße nie endete: Sie war wirklich lang und wenn man in die Gesichter der Fußgänger sah, sah man ihnen ohne große Mühe an, dass ihnen womöglich genau das gleiche durch den Kopf ging, wie mir. Doch ich hatte den Vorteil, dass ich den ganzen Weg nicht zu Fuß gehen musste, sondern ein fahrbares Unterteil hatte.
Es war wirklich ein wunderbarer Tag, den ich mit Pat verbracht hatte und ich war ihm mehr als dankbar, dass er mir einiges von unserer Hauptstadt gezeigt und sie mir noch schmackhafter gemacht hatte, als vorher. Zudem freute ich mich, dass er wirklich alles mit mir mitmachte – selbst das Shoppen, was für andere Männer sonst immer die Flucht bedeutete. Ich mochte Pat.
„So, machs gut, die anderen beiden kommen sicher auch gleich. Wenn sie nicht schon da sind.", grinste Pat und gab mir einen Kuss auf die Wange.
„Ich werde es ja gleich sehen. Und danke für den schönen Tag. Wir sehen uns.", ich schlug die Tür hinter mir zu und schnappte mir meine Taschen aus dem Kofferraum. Bedacht darauf, auch alle über dem Boden zu halten, stolperte ich zum Fahrstuhl und fuhr in die richtige Etage.
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Diagnose: Liebe - Mein erster Wunsch, der in Erfüllung geht
Fanfiction[2. Teil der Diagnose-Trilogie.] - »Sie hatten, seitdem sie im Krankenhaus aufgetaucht waren und meiner kleinen Schwester ihren letzten Wunsch erfüllt haben, so viel für mich getan, dass ich mich wahrscheinlich in meinem kompletten Leben nicht dafür...