„Ich kann mir nicht erklären, was mit Bill den ganzen Abend los war. Aber...dass diese Nähe zwischen euch beiden nicht vorhanden war, das...das liegt sicher daran, dass es in der Öffentlichkeit war.", versuchte Tom mich ein wenig zu beruhigen und strich mir leicht über meinen Arm, als er sich neben mich auf das Bett gesetzt hatte. Doch ich schüttelte seine Hand von meinem Körper, sprang auf und tigerte wie eine Bestie durch das Zimmer.
„Man, Tom! Dass diese Nähe nicht da war...okay! Aber dass er mich nur dann beachtet hat, wenn es wirklich nur nötig war und es unbedingt sein musste, ist die Höhe. Außerdem hat er mich angelogen, als ich ihn vorhin gefragt habe, ob er heute Abend schon was vorhat. Was habe ich ihm bitte getan? Er will anscheinend lieber seine Natalie, als sich mit mir abzugeben.", im Gegensatz zu meinem hysterischen Schreien am Anfang, endete der Satz eher in einem leisen Flüstern.
„Lynn, das ist quatsch, das weißt du!", baute Tom sich vor mir auf. Als ich neben ihm vorbei gehen und auf den Balkon zusteuern wollte, hielt er mich am Arm zurück. „Bezieh nicht immer alles auf dich, Lynn!"
Seine Worte taten unglaublich weh. Alles auf mich beziehen? Irgendetwas musste ich doch falsch gemacht haben, sonst hätte Bill mich den Abend über anders behandelt...oder etwa nicht? Ich verstand die Situation nicht mehr. Fand Tom das Verhalten seines Bruders etwa gut? Wenn ja, wieso ist er mir dann überhaupt erst hinterher gelaufen? Und wieso hat er dann gesagt, dass er sich Bills Verhalten nicht erklären kann?
„Wenn du das Verhalten von deinem Bruder okay findest, dann...dann geh doch einfach! Dann hättest du auch bei ihm bleiben können.", meine Stimme wurde lauter.
„Wann habe ich denn bitte gesagt, dass ich sein Verhalten okay finde?", er drängte mich mit seinen Fragen und Argumentationen immer weiter in die Ecke. Ich schwieg, wusste nichts darauf zu sagen. Ich musste mir innerlich eingestehen: Er hatte recht.
„Hör einfach auf zu denken, dass du Schuld bist. Du bist halt einfach nicht die einzige Person in Bills Leben.", er ließ meinen Arm los und drehte sich um seine eigene Achse und wendete sich zum Gehen. „Du kannst dich ja melden, wenn du irgendwie verstanden hast, dass ich dir nichts Böses will, Lynn.", hauchte er noch in die Stille, als ich mich zum Fenster bewegte und mit verschränkten Armen vor eben dieses stellte, um auf die Stadt zu sehen.
Wieder liefen mir Tränen die Wange hinunter. Ich fühlte mich allein gelassen und unverstanden. Ich wusste, dass er im Endeffekt Recht hatte, aber eingestehen wollte ich es mir nicht. Ich lebte schon so lange alleine, hatte nie eine wirkliche Bezugsperson, seitdem ich meine Mutter verloren hatte und jetzt? Jetzt hatte ich das Gefühl und die Angst, dass ich Bill verlor. Er war seit langem so etwas wie ein Vertrauter. Wir standen uns so nahe, hatte nichts anderes Positives in den letzten Wochen gespürt, als seine Nähe. Und jetzt...jetzt war ich einfach nicht mehr sein Mittelpunkt. Ich wusste nicht, wie ich damit umzugehen hatte.
Eins wusste ich jedoch: Tom hatte Recht und auch wenn ich es mir noch nicht eingestehen wollte, vielleicht war es auch einfach nur eine Gewohnheitssache, musste ich ihm schreiben. Ihm sagen, dass ich es verstanden hätte, dass mir alles andere als etwas Böses wollte.
Sofort griff ich nach meinem Handy. Erstens wusste ich gar nicht, welches Zimmer er hatte und zweitens traute ich mich nicht, ihm jetzt gegenüber zu treten. Ich war schon immer feige, wenn es um so etwas ging.
»Tom, es tut mir leid. Auch wenn ich enttäuscht von Bill bin, dass er mich angelogen hat, ist mir klar geworden, dass ich nicht die einzige Person in seinem Leben bin. Auch wenn ich mich an diese völlig neue Situation wohl erst einmal gewöhnen muss...ich weiß, was du meinst und dass das alles andere als böse gemeint war. Sorry!«
Als ich die Sms mit zittrigen Fingern abgeschickt hatte, warf ich mich rücklings und mit voller Wucht auf das Bett. Es sollte zurück schreiben. Er sollte mir antworten.
Starrend lag ich da und sah an die weiße Decke, als mein Handy in meiner Hand auf meinem Bauch zu vibrieren begann. Sofort öffnete ich die angekommene Sms von Tom.
»Es ist okay. Vielleicht habe ich auch einfach nur ein wenig überreagiert. Bill hat wirklich mit seinem Auftreten dir gegenüber übertrieben; und dass er gelogen hat ist die Härte. Auch wenn es noch andere Menschen in seinem Leben gibt, hätte er sich mehr um dich kümmern sollen. Ich würde aber am liebsten gar nicht mehr drüber reden. Magst du noch rüber kommen? Bin direkt gegenüber von euch.«
Unwillkürlich musste ich lächeln, als ich die Sms von Tom gelesen hatte. Ich war erleichtert; so sehr, dass man eigentlich schon fast den Stein, welcher von meinem Herz gefallen war, auf dem harten Boden aufkommen hören müssen. Zwar war die ganze verzwickte Situation noch lange nicht geregelt, schließlich war da immer noch diese Enttäuschung von Bill, die man leider nicht einfach so abstellen konnte.
Schnell schrieb ich Tom zurück, dass ich in fünf Minuten bei ihm sein würde, bevor ich mich aus meiner Kleidung schälte und mich in eine Jogginghose und einen Kapuzenpullover schmiss. Das dürfte für den restlichen Abend wohl reichen.
Schnell schnappte ich mir noch meine Zigaretten und steckte diese mitsamt meines Handys und Zimmerkarte in meine Hosentasche, um das Zimmer zu verlassen und Tom noch einen Besuch abzustatten.
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Diagnose: Liebe - Mein erster Wunsch, der in Erfüllung geht
Fanfic[2. Teil der Diagnose-Trilogie.] - »Sie hatten, seitdem sie im Krankenhaus aufgetaucht waren und meiner kleinen Schwester ihren letzten Wunsch erfüllt haben, so viel für mich getan, dass ich mich wahrscheinlich in meinem kompletten Leben nicht dafür...