„Ich geh hoch, ich bin müde.", rief ich schon fast in Runde, um das allgemeine Gegacker übertönen zu können. Natalie, Bill und Tom waren alle drei schon sichtlich angetrunken; nur Bill hatte es besonders erwischt, ganz zu meinem Nachteil.
Ich wurde kaum beachtete, saß die meiste Zeit wie ein Anhängsel, das alles andere als willkommen war, daneben. Tom warf mir hin und wieder viel aussagende Blick zu und bemerkte, dass es mir ganz und gar nicht gut mit dieser Situation ging. Ununterbrochen hatte ich eine Zigarette zwischen meinen Fingern und nuckelte gelangweilt an meinem Strohhalm, der in meinem Cocktailglas steckte. Ich hätte wahrlich auf diesen Abend verzichten können.
„Wieso das denn? Sei doch nicht so ein Spielverderber.", kicherte Natalie und sah Bill grinsend an. Auch sein Blick heftete automatisch in meinem Gesicht. Zwar hatte die Visagistin sich den ganzen Abend über schon relativ unbeliebt bei mir gemacht, da sie den ein oder anderen Spruch gegen mich raus preschte. Ob es um meine Person oder mein Aussehen ging, das war Natalie egal, sie war direkt. Vielleicht musste ich einfach nur lernen, damit umzugehen. Doch die Tatsache, dass es Bill ganz und gar nicht auffiel, schmerzte doller, als ich es zulassen wollte.
„Ich bin müde. Habe in letzter Zeit nicht allzu viel Schlaf bekommen.", entschuldigte ich mich und sah in Natalies Richtung, während ich nebenbei in meiner Tasche nach meinem Portmonee kramte. Meine Worte überging die blonde Frau mir gegenüber anscheinend gekonnt und war schon wieder in dem neusten Klatsch und Tratsch mit Bill vertieft.
„Hier.", ich legte einen 20 Euroschein auf den Tisch, was auf alle Fälle für meine zwei Cocktails reichen müsste und verabschiedete mich mit einem leisen 'Gute Nacht' und einem enttäuschten Blick in Richtung Bill von der Runde. Dass Letzterer nicht mehr viel davon mitbekam und das ganze nur mit einem verunsicherten Blick abstempelte, war mir in diesem Moment egal. Schlimmer konnte es schließlich fast gar nicht mehr werden.
Als ich auf dem Weg nach oben war, kamen mir Zweifel über Zweifel auf. War es wirklich die richtige Entscheidung, mein Leben – falls man das davon übrig gebliebene so nennen konnte – einfach so zurück zu lassen und mit den Jungs in ihre zweite Welt zu tauchen? In eine Welt, in der ich eventuell überhaupt gar keinen Platz hatte? Ich wusste nicht, ob ich noch gebraucht wurde, oder ob Natalie nicht doch ein guter Ersatz für mich war...oder, ob ich nicht ein guter Ersatz für Natalie war.
Die ganze Enttäuschung, die sich die drei Stunden unten in der Hotelbar in mir aufgestaut hatte, rann plötzlich wie in Sturzbächen über meine Wangen. Die Enttäuschung war so groß, dass es einfach nur noch schmerzte.
„Lynn, ey...", ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich blieb nicht stehen, ging einfach weiter. Ich hatte keine Lust auf stundenlange Diskussionen oder Erklärungen, Rechtfertigungen oder irgendwelche Worte, dass irgendetwas bereut wurde.
„Lynn, bleib stehen...", die Schritte hinter mir kamen immer näher und irgendwann umfasste mich eine Hand am Oberarm. „Bleib stehen.", Toms Stimme klang fast wie ein Fauchen. Ich war genervt davon, dass er mich festhielt und wahrscheinlich noch mit mir reden wollte, aber wenigstens war es nicht sein Bruder. Traurig, dass ich so etwas dachte.
„Lass mich, ich bin müde. Ich will ins Bett!", ich versuchte standhaft zu bleiben, meine weinerliche Stimme in den Hintergrund zu schieben.
„Du bist traurig und hast geweint.", stellte er fest. Ich sagte nichts, senkte meinen Kopf einfach gen Boden. Nicht einmal seinen Griff versuchte ich abzuschütteln. Ich war einfach zu enttäuscht.
„Komm, lass uns erst mal reingehen.", er nahm mir meine Zimmerkarte aus der Hand, zog sie durch den Schlitz an der Wand neben der Tür und öffnete sie mit einem Klacken.
Drinnen angekommen schmiss ich meine Tasche in die Ecke, zog meine Stiefel von meinen Füßen und schmiss mich im Schneidersitz auf das große Bett.
Es war nicht fair. Ich wusste nicht, was ich Bill getan hatte, dass er mich den ganzen Abend über nur beachtet hatte, wenn es wirklich sein musste und er keinen anderen Ausweg fand, als mir zuzuhören oder mir gar schon zu antworten. Ich kannte ihn so nicht. In den letzten Wochen war er so unendlich viel für mich da, hatte mich immer in den Arm genommen und mir aus den Augen abgelesen, was ich brauchte und was mir fehlte. Er wusste immer, wann es mir schlecht ging, wann ich mich in einer Situation unwohl fühlte war er da und rettete mich, wenn möglich, aus dieser Situation. Er hielt mich immer wenn ich fiel...und was war jetzt?
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Diagnose: Liebe - Mein erster Wunsch, der in Erfüllung geht
Fanfic[2. Teil der Diagnose-Trilogie.] - »Sie hatten, seitdem sie im Krankenhaus aufgetaucht waren und meiner kleinen Schwester ihren letzten Wunsch erfüllt haben, so viel für mich getan, dass ich mich wahrscheinlich in meinem kompletten Leben nicht dafür...