Lap 19

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Da ist Sie. Die Haut so blass wie das Bett. Die Haare wirken fettig und völlig zerzaust. Auf dem Kopf sind ausserdem noch überall kahle Stellen. Ich wage noch einen Schritt näher an das Bett. Auf meinen Wagen spüre ich kalte Tränen die sich einen Weg hinunter bahnen. Das darf nicht wahr sein. „Es tut mir so leid Nathan..." – „Sag so etwas nicht! Es... sie schläft sicher nur!", flüstere ich beinahe hysterisch. Meine Hände beginnen zu zittern, während ich neben das Bett trete. Mit meinen Händen nehme ich die Hände meiner Mutter. Die Haut ist kalt, nichts zeigt auf leben hin. „Nathan...", ich schlage Auroras Hand weg, die sie mir auf die Schultern legt. Ich will kein Mitleid! Das alles ist sicher nur eine verdammte Täuschung. „Mom...", sage ich leise, während immer mehr Tränen meine Sicht einnehmen. Das kann nicht wahr sein. Ich hätte ihr noch so viel zu sagen gehabt. „Nathan... du zerstörst dich noch selbst", ich spüre die zarte Hand von Aurora die mich mit Gewalt von dem Anblick meiner Mutter wegdreht. „Ich...", meine Stimme geht unter einem Schluchzer unter. Stumm nimmt mich Aurora in den Arm, während ich mich einfach an ihrem T-Shirt kralle. Ich kann das nicht! „Lass alles raus", kommt es leise von Aurora die ihren Kopf auf meinen Kopf legt. Ihre Hand fährt sorgfältig über meinen Rücken, der alles andere als eine gute Haltung hat. „E... I", ich kann einfach nicht reden. Gefühlt tausende von Tränen bahnen sich einen schrecklichen Weg aus meinen Augen. Aurora ist noch mein einziger Anker. Ich kann es nicht glauben! Ich weiss echt nicht, wie ich ohne meine Mutter leben kann, sie ist die Person, die mich immer wieder aufs Neue aufgemuntert hat und überall geholfen hat. „Schhhht..."

„Nathan Johnson am anderen Ende?" Ich zögere kurz, bevor ich ein langgezogenes Ja sage. Zum Glück habe ich überhaupt mein Handy gehört, meistens höre ich es nämlich beim Motorradfahren nicht. „Es geht um Ihre Mutter", mein Herz setzt einen Schlag auf. Meine Mutter. „Was ist mit ihr?", frage ich die Frau am anderen Ende. „Es tut mir leid es Ihnen sagen zu müssen, sie ist tot. Ihre Schwestern sind schon benachrichtigt", ich lege das Telefonat auf und schaue direkt auf das Motorrad unter mir. Das kann nicht sein, es muss ein Fehler sein. Gestern ging es ihr noch prima. Ich muss es mit meinen eigenen Augen sehen. „Nathan, was ist?", Alec kommt neben mich gefahren und schaut mich neugierig an, nachdem er seine Brille hochgeschoben hat. „Nichts", sage ich langsam. Ich will es mir selbst ansehen. „Verdammt!", seufze ich und schiebe meine Brille wieder nach unten. „Nathan, verdammt! Du gehst nirgends in diesem aufgebrachten Zustand hin!", sagt Aurora neben mir mit lauter Stimme. „Ich muss es", sage ich leise und schiebe ich mein Handy in meine Hosentasche. „Nein, du musst nicht!" – „Dann komm doch mit, wenn es dir besser passt!" Da ist schon das kleine, zarte Mädchen am Aufsteigen und unbeholfen ihre Finger an meinen Pullover zu krallen, um nicht runterzufallen. Sobald sie einen sicheren Griff gefunden hat, fahre ich sofort Vollgas los. Ich darf keine Sekunde verlieren!

Meine Hände habe ich in auf der Matratze ineinander verkrallt und mein Kopf liegt auf ihnen. Es kann nicht sein. „Nathan... ich weiß nicht wie es ist seine Mutter zu verlieren, aber ich denke nicht, dass es dir gut tut so lange hier zu sein. Du machst nur noch alles schlimmer!" Ich schluchze kurz auf. Ja, ich zerstöre mich so selber. „Ich... ich kann es noch nicht...", flüstere ich und hebe meinen Kopf von der Matratze, meine Hände kralle ich in meinen Nacken. Aurora legt sachte eine Hand um meine Schulter und zieht mich an sich. Ich kann das einfach nicht. Ich kann einfach nicht ohne meine Mutter leben. Das geht einfach nicht. Meine Mutter ist einfach die Person, die mir immer half und für mich da war.

„Mr. Johnson. Es tut uns leid, aber wir müssen die Leiche verlegen und das Zimmer ausräumen", eine junge Assistentin des Krankenhauses reisst die Türe auf. Ich hebe meinen Blick und nicke leicht. „Klar...", sage ich leise und stehe schwach von Bett auf. „Wir haben ihren Schwestern gesagt, dass Sie hier oben sind. Sie warten in der Cafeteria auf Sie", erklärt mir eine andere Assistentin und wieder nicke ich leicht. „Nathan... willst du nicht zuerst dich irgendwo hinsetzen, bevor du zu deinen Schwestern gehst?", ich schaue kopfschüttelnd zu Aurora die mich besorgt mustert. „Gut... Dann Danke für ihre schnellen Benachrichtigungen", bleibt Aurora höflich während ich wortlos zur Türe schlürfe. Ich will einfach nichts sagen. Kraftlos öffne ich die Türe und lasse sie einfach an die Wand prallen. Mit genau so wenig Motivation wie vorher schlürfe ich den Weg in die Cafeteria, den ich schon so gut kenne wie den Weg in mein Zimmer. „Nathan! Verdammt! Du zerstörst dich noch selbst!", kommt Aurora neben mich gejoggt. Bin ich gerade so schnell gegangen, dass Aurora mir nach joggen muss? Sofort verringere ich mein Tempo und schaue desinteressiert auf den Boden. Was soll ich sonst tun? Ich weiß momentan nicht über meine Gefühle bewusst. Ich habe einfach gerade keine Lust mehr zum Leben! „Verdammt Nathan! Wart einmal!", Aurora zieht mich mit solcher Gewalt an der Schulter zurück, die ich ihr niemals zugetraut hätte. Ich schließe kurz die Augen während ich gegenüber von ihr stehe. „Nathan. Ich kann mir denken, wie scheiße es gerade für dich ist, aber bitte mach jetzt nichts Dummes. Du musst irgendwie stark bleiben", die kleine Brünette schlingt einfach ihre Arme um meinen Oberkörper, und drückt ihren Kopf an meine Brust. „Ich... ich kann nicht mehr Aurora...", schluchze ich und lasse meinen Kopf nach unten sinken. Mit meiner Stirn komme ich noch gerade so an Auroras Haaren an. „Jetzt gerade musst du auch zuerst wieder Kraft und Energie aufbauen, Nathan", murmelt Aurora leise gegen meine Brust. Ich bin ihr so verdammt dankbar, dass sie mir gerade Kraft gibt.

„Aurora?", ich hebe meinen Blick auf Hope, die neugierig Aurora anschaut. Von wo kennen sich die beiden denn? „Hope", nickt Aurora Hope zu und presst die Lippen zusammen. „Du hättest das Ganze nicht sehen sollen Nathan...", sagt Sky leise und steht von ihrem Stuhl auf. Mit schnellen Schritten kommt Sky auf mich zu und nimmt mich in den Arm. Bin ich echt so ein Muttersöhnchen, dass ich der bin, der am meisten trauert? „Ich musste es mir beweisen", seufze ich leise und schaue meiner kleinen Schwester in die Augen. „Du musst dir immer alles beweisen, bevor du es glaubst", kommentiert Summer das Ganze kalt. Trauert sie nicht um unsere Mutter? „Wieso Sky?", frage ich leise meine kleine Schwester die mir ab diesem Zeitpunkt direkt in die Augen schaut. „Wir haben uns schon als die Therapie anfing von ihr verabschiedet. Wir wussten sie wird es nicht schaffen", sagt Sky leise und hält durchgehend den Blickkontakt. Sie haben schon so früh aufgegeben? Wieder läuft mir eine Träne die Wange hinunter. „Nathan...", flüstert Sky und nimmt mein Gesicht in ihre Hände. Sanft wischt sie mit den Daumen die Träne weg. „Es ist einfach alles gerade... scheiße", sage ich zu meiner kleinen Schwester und vergrabe meinen Kopf in ihren Haaren. „Das Leben ist Scheiße Nathan." Meine kleine Schwester lässt mich langsam los, schaut mich aber dennoch besorgt an. „Kann ich noch einmal zu ihr gehen? Alleine.", sage ich leise und weiche den Blicken der Mädchen aus. „Willst du es dir ernsthaft noch einmal antun?", fragt Sky sofort nach. Ich nicke einfach nur, ich fühle mich unfähig zu sprechen und weiß nicht, wie ich auf die Idee gekommen bin, wieder ins Zimmer zu gehen und mir noch einmal den Herzschmerz anzutun. „Dann mach es, komm aber bald wieder", sagt Sky und fährt mir sanft mit der Hand über den Arm und lächelt mich aufmunternd an. Dankend schaue ich sie kurz an, bevor ich mich wieder auf den Weg zu dem Zimmer mache.

„Mom", ich ziehe meinen Stuhl näher zu dem Bett und falte die Hände ineinander. Mein Blick fährt immer wieder über den leblosen Körper von diesem wundervollen Menschen. „Wieso musste nur so ein wundervoller Mensch wie du sterben? Solche Menschen sollten länger leben und nicht so früh aus der Welt gerissen werden!", sage ich leise und senke kurz meinen Blick auf ihre Hand. „Mom... ich werde dafür sorgen, dass es deinen Töchtern gut geht", sage ich leise und stockend, schon wieder fliesst mir eine Träne über die Wange, aber diesmal finde ich nicht schlimm, ich habe ja alle Rechte traurig zu sein. „Und ich werde dafür sorgen, dass ich mein Leben auch ohne dich in den Griff bekomme und es irgendwie geniessen kann. Der Tod gehört dazu", ich schliesse schmerzhaft meine Augen. Mein Herz schmerzt. Der Mensch, den ich am meisten liebe ist jetzt einfach weg. „Auch, wenn du mich nicht mehr hören kannst und es jetzt nichts mehr bringt, ich will dir einfach gesagt haben, wir alle waren und sind stolz auf dich und wir alle lieben dich mehr als uns selbst, auch wenn wir es dir kaum gezeigt haben." Sie muss es einfach noch wissen, wie viel sie uns bedeutet hat. Nach einem kurzen Augenblick, in dem ich einfach geschwiegen habe und sie angeschaut habe stehe ich auf. Der Stuhl quietscht auf dem Boden während er durch meine Knie nach hinten geschoben wird. „Danke, dass du das alle auf dich genommen hast, nur, dass es mir gut ging. Danke, dass du dich vernachlässigt hast, nur, weil du wolltest, dass es mir gut geht. Die ganze Geburt und die Erziehung", ich atme kurz auf bevor ich ein Gebet aufsage, dass schon bei der Beerdigung von meinem Grossvater gesagt wurde. „Der Tod ist dein Geburtsrecht. Er ist ein Geschenk, auf das jeder Anrecht hat. Er ist eine Ruhestätte für die Erschöpften, eine Zuflucht für Gejagte, eine Lehre für diejenigen, die auf Abwege geraten sind. Ein Meilenstein für den Pilger und ein Paradies für die Gläubigen." Ich schließe kurz die Augen und sage noch leise Amen bevor ich noch ein letztes Mal meine Mutter anschaue und dann den Weg zur Türe gehe. Das war es. Ich muss von meiner Mutter wegkommen. Jeder Mensch stirbt einmal, und meine Mutter hat die Menschen halt früher verlassen. Das Schicksal wollte es so und nicht anders, dann muss man es akzeptieren. Für jeden kommt einmal der Zeitpunkt.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 01, 2019 ⏰

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