6.

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Ich sitze oben in den Büroräumen am Computer, mein iPad habe ich an den kleinen Gehäuse des Macs angeschlossen.
Aufmerksam scrolle ich durch die Fotos, die ich mir für die Influencerin ausgesucht habe.
Heute morgen hatte sie mir bereits eine SMS geschickt, dass sie „schon sehnsüchtig auf die Fotos warte". Meinen Kaffee trinkend, hatte ich bloß die Augen gerollt.
Ungeduldige Kunden gehören nicht zu meinen Lieblingskunden, vor allem, da ich ihr bereits mitgeteilt hatte, dass ich aufgrund des Studiums etwas eingeschränkt bin.
Aus dem Fenster sehe ich, dass mein Onkel, Andrew und Shawn aus dem Büro kommen. Ich bin etwas verwundert, dass sie mich nicht zu sich gerufen haben - schließlich ging es ja um mich, aber wahrscheinlich ist Onkel Jim jetzt so etwas wie mein Manager. Ich schaue Shawn nach und als er die Tür nach draußen öffnet, gleitet sein Blick nach oben.
Er hebt die Hand an die Stirn, lächelt und verabschiedet sich so von mir.
Ich winke. Wie ein kleines, vierjähriges Kind, dass sich im Kindergarten von seiner Mama verabschieden möchte. Die Ellbogen auf den Tisch gestützt, lege ich mein Gesicht in die Handflächen und stöhne. Unwillkürlich muss ich mich fragen, ob Shawn mir seine Nummer wirklich nur aus beruflichen Gründen gegeben hat.
Meine Handy vibriert und fast glaube ich, dass es eine Nachricht von Shawn ist. Das es bloß Onkel Jim ist, ist etwas enttäuschend.

Ich muss jetzt los, Katie. Deine Mum hat ja heute Abend zum Essen eingeladen, dann sprechen wir über alles.

Aus dem Augenwinkel nehme ich Bewegungen von unten war. Ich wende den Kopf. Mein Onkel reckt beide Daumen in die Höhe, dann wendet er sich zum gehen.

*

Zuhause angekommen, werde ich von Jenny überrascht. Sie sitzt neben meinem Halbbruder auf der Couch und er zeigt ihr was in seinem Handy.
Ich mustere die beiden. Vielleicht haben sie ja endlich den Schuss gehört. Wobei ich zugeben muss, dass ich etwas beleidigt bin, dass ausgerechnet meine beste Freundin der Grund dafür ist, dass Spencer mich nicht abgeholt hat. Mit der Subway brauche ich eine halbe Stunde nachhause. Mit dem Auto sind es knapp zehn Minuten.
„Soso!", begrüße ich die beiden sarkastisch und lasse meinen Schlüssel auf den Wohnzimmertisch fallen. Das Geräusch ist so laut, dass die beiden voneinander weg Zucken.
Ich bereue meine Tat, als meine Mutter aus der Küche kommt. „Katie! Du machst den Tisch noch kaputt. Manchmal frage ich mich echt, was bei euch falsch gelaufen ist."
Meine Mum ist keine wirklich strenge Person (außer es handelt sich um Gabriellas Hausaufgaben), aber sobald es um ihre Möbel oder Klamotten geht, wird sie wütend.
„Tut mir leid, Mum."
Sie sieht mich finster an. „Dein Vater ist mit Jim oben. Sie wollten, dass du dazu kommst."
Ich werfe noch einen Blick auf Spencer und Jenny, die wieder enger zusammengerückt sind.
„Wo sind Tante Shannon und Zach?"
Jetzt liegt auch Mums Blick auf ihrem Stiefsohn und meiner besten Freundin. „Sie sind mit Jennys Hund Gassi."
Ich hebe die Augenbrauen hoch. Meine Mum schüttelt den Kopf. „Frag nicht. Ich weiß es doch auch nicht."
Rückwärts verlasse ich das Wohnzimmer, Mum schüttelt immer noch den Kopf. Die Treppe hochgehend, frage ich mich, was da letztens vorgefallen ist, als ich oben in meinem Zimmer war um Instagram zu checken und er da unten in Boxershorts stand.
Ich klopfe an der Tür des Arbeitszimmer meines Vaters an. „Komm rein.", ertönt es
Die zwei Brüder sitzen nebeneinander an dem langen Holzschreibtisch und schauen in den Computer. Dad blickt über die Ränder seiner Brille.
„Du sollst also diesen Kanadier fotografieren."
Ich lache über seine Aussage. Er verdreht die Augen. „Und ich habe gehört, dass du bei deinen Eltern Rücksprache halten wolltest?"
Mein Onkel sieht mich grinsend an.
„Du bist erwachsen, Katherine."
Momentan nennen mich alle zu oft bei meinem vollständigen Namen. Ich stemme eine Hand in die Hüfte.
„Wenn es das ist, was du willst, dann darfst du das selbstverständlich."
Ich weiß nicht, warum mir Tränen in die Augen steigen. Dad nimmt mich in den Arm. Onkel Jim beglückwünscht mich und sagt, dass er sofort Andrew benachrichtigen wird.
Dad fragt mich, warum ich weine. Ich antworte ihm, dass ich das selbst nicht so genau weiß.
Schließlich gehen wir runter und ich kann nur daran denken, dass ich fürs erste in Europa Touren werde. Das ich jeden Abend in der Nähe einer Bühne oder sogar auf der Bühne stehen werde, tausende von Mädchen im Rücken und ihn fotografiere.
Den wohl bestaussehendsten Sänger meiner Generation. Der nebenbei bemerkt, meine Nummer hat.
Während wir essen (es gibt Chicken-fried steak mit gravy), zücke ich mein Handy unterm Tisch hervor und blicke verstohlen auf Spencer, der mir gegenüber sitzt. Sein Blick ist auf seinen Schoß gerichtet. Er schaut ganz klar auf sein Handy, ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen. Meistens fällt ihm auf wenn ich am Handy bin und er petzt, aber diesmal bin ich wohl davor geschützt.
Nach dem Essen muss ich ihm unbedingt fragen, was da bei ihm und Jenny läuft. Vor allem muss ich aber Chase Bescheid sagen. Der wird sich gar nicht mehr einkriegen.
Ich checke endlich die eingegangene Nachricht, bevor ich doch noch erwischt werde und mein Herz setzt einen Moment lang aus. Erschrocken knalle ich mit dem Knie gegen den Tisch, nehme sofort die Hände nach oben, damit Mum nichts merkt (unsere Familienessen sind ihr heilig) und beiße mir auf die Innenseiten meiner Backen. Scheiße, tut das weh. Ich nehme eine Hand wieder unter den Tisch um zu schauen, ob mein Handy auch nicht droht von meinen Knien zu rutschen.
Alle Köpfe haben sich in meine Richtung gedreht, die Gespräche sind unterbrochen. Aus dem Augenwinkel schaue ich zu Spencer - auch er hat die Hände wieder an Messer und Gabel.
„Alles okay?", fragt mich Tante Shannon, die Gabel schwebt vor ihrem Mund.
„Hmm... ich muss... auf Toilette.", sage ich.
Der Stuhl gibt ein lautes Geräusch von sich, als ich nach hinten rücke und im nächsten Moment steht auch mein Halbbruder auf.
Verwundert schaut sich unsere Familie an, wir verschwinden in den Flur.
„Mit wem schreibst du die ganze Zeit?," flüstere ich Spencer aufgeregt zu, ehe wir in die Nähe des Badezimmers kommen. Mein Halbbruder öffnet die Tür und schließt sie wieder.
„Dasselbe könnte ich dich auch fragen, Kate."
Ich ziehe die Stirn kraus, hebe fragend die Brauen. „Shawn hat mir geschrieben."
Er sieht mich verwirrt an. „Shawn Mendes?"
Stöhnend drehe ich mich von ihm weg. „Nein, Shawn Ashmore, weißt du."
Er lacht trocken. Ashmore spielt in den X-Men Filmen mit, die wir immer zusammen gesehen haben.
„Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Was läuft zwischen Jenny und dir?"
Mit der Hand fährt er sich durch das schwarze Haar. „Das weiß ich noch nicht."
Er lehnt sich an die Wand und ich tue es ihm gleich, sodass wir gegenüber voneinander stehen.
„Sie mag dich. Ich hab mich immer gefragt, wann du das merkst."
Verlegen sieht er zur Seite. Während meiner High School Zeit habe ich selten meine Freunde mit nachhause gebracht. Wir - das umfasst Jenny, Chase und mich - waren oft draußen unterwegs oder eben bei Chase. Wenn wir dann mal bei mir waren, hat Spencer sie immer als meine Freundin abgestempelt, die logischerweise so alt ist wie ich. Als wir vierzehn waren, war er zwanzig, da hatte er keine Augen für sie. Wieso auch?
Sechs Jahre ist ein großer Altersunterschied. Aber Jenny fand ihn immer toll. Für sie war er ungefähr das, was Shawn Mendes jetzt für andere Mädchen ist und was Justin Bieber damals für unsere Klassenkameradinnen symbolisiert hat.
Der Mädchenschwarm.
Jetzt ist Jenny zwanzig und Spencer ist sechsundzwanzig. In dem Alter ist der Altersunterschied gar nicht mehr so gravierend. Ich wüsste zu gern, was Jenny jetzt empfindet. Sie kennt Spencers Exfreundinnen. Sie weiß wie er tickt. Ich habe mich hunderte Male bei ihr über ihn beschwert. Und trotzdem hat sie nie aufgehört für ihn zu schwärmen.
„Spence, ich kann dir nichts verbieten..."
Er unterbricht mich. „Seit ihrem Geburtstag hat sich etwas verändert. Sie ist nicht mehr die beste Freundin meiner Halbschwester... ich glaube, ich weiß erst jetzt, wer sie wirklich ist."
Aus irgendeinem Grund finde ich seine Worte sehr romantisch. Ich nicke ihm mit einem leichten Lächeln zu.
„Ich möchte sie besser kennenlernen und wer weiß, was sich noch daraus entwickelt."
Spencer stößt sich von der Wand. „Sollen wir wieder?", fragt er.
Herausfordernd grinse ich meinen Halbbruder an. „Du musst mir nur versprechen, nie mehr deinen Taxi Dienst ausfallen zu lassen."
Mit der Hand boxt er meinen Oberarm.

Shawn Mendes: We keep this love in a photographWo Geschichten leben. Entdecke jetzt