16.

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Nicht einmal im Traum hätte ich jemals daran gedacht, dass es normal für mich sein könnte durch Konzerthallen zu spazieren.
Geschäftig laufe ich mit meinem Ausweis um den Hals durch das große Gebäude und Grüße freundlich Mitarbeiter, die mir auf dem Weg begegnen. Auch jetzt bin ich wieder auf dem Weg zur Bühne, um mir anzusehen, welche Fotografie Möglichkeiten ich habe. Meistens sind es immer dieselben, aber niemals würde ich mich einfach so ins kalte Wasser stürzen, ohne wenigstens den dicken Zeh hineingehalten zu haben. Ich laufe ein paar Treppen runter um zum Innenraum zu gelangen. Die Türen stehen hier alle sperrangelweit offen, also durchquere ich die große Fläche auf dem Weg zu Bühne. Die Bühne ist schon komplett hergerichtet und ich bin aufs neue fasziniert davon, wie rasant hier alles von Statten geht.
Mit der Hand greife ich an meinen Hals als ich an der Bühne angekommen bin und stelle fest, dass ich meine Kamera nicht dabei habe.
Seufzend drehe ich mich wieder um, werde aber von einer leichten Berührung an meiner Schulter aufgehalten.
Shawn hält mir die Kamera vor mein Gesicht. „Ich wollte dir einen Besuch abstatten, aber ich hab Backstage nur deine Kamera gefunden."
Schmunzelnd nehme ich die Kamera entgegen und möchte gerade etwas erwidern, als Shawn einen Blick über seine Schulter wirft und ein wenig dichter an mich heran tritt. „Wegen gestern... das war...", er runzelt die Stirn und sucht nach Worten. Ich hingegen kann wieder nur an seine Lippen denken. Im übrigen habe ich die ganze Nacht und den ganzen Flug an nichts anderes gedacht.
„Es war keine... Absicht? Wobei das vermutlich das falsche Wort ist..."
Nett wie ich bin erlöse ich ihn von seinem völlig untypischen stammeln. „Ist schon okay. Es ist ja auch nicht so, dass du etwas total schlimmes getan hat."
Jetzt ist es an mir ihn nervös anzusehen. Mit diesem Satz habe ich definitiv eine persönliche Hemmschwelle überschritten. Ein schelmischer Ausdruck breitet sich in den braunen Augen aus. „Hat es dir gefallen, Katie?"
Die Art wie er diesen Satz akzentuiert und wie er meinen allgegenwärtigen Kindheitsspitznamen betont, lässt eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper entstehen. Er hat den Satz beinahe gewispert, rau und intensiv und ich weiß wirklich nicht wohin mit mir.
Unwillkürlich gleitet mein Blick zu seinem schönen Mund. Shawn befeuchtet seine Lippen, also blicke ich ihm schnell wieder in die Augen.
Seine Hand wandert langsam an mein Gesicht und entfernt etwas von meiner Wange.
Über uns geht plötzlich ein Scheinwerfer an. Ein greller Lichtkegel, mitten auf uns gerichtet. Wie gehen beide einen halben Schritt zurück und Shawn sagt lauter als nötig: „Du hattest da eine Wimper. Wünsch dir was."
Ich fixiere die schwarze Wimper auf seinem Finger, an der ich einen kleinen Krümel Wimperntusche erkenne. Ich puste einmal vorsichtig und bin erleichtert, dass sie sofort wegfliegt. „Gut, ähm... ich bin dann mal...", mit dem Finger deute ich hinter ihn, damit ich die Treppe von der Bühne runter in den Backstage Bereich gelangen kann. Shawn gibt mir den Weg frei, folgt mir aber ein paar Sekunden später und murmelt ein entschuldigendes „Hier muss ich auch lang."
Ich bin mir nicht so sicher ob er da wirklich lang muss, schließlich wollte er mich ja besuchen. Und das Gespräch haben wir schon geführt. Mehr oder weniger zumindest.
Die Gänge sind tatsächlich leer und unsere Schritte hallen an den Wänden wider. Shawn geht dicht neben mir her und so langsam weiß ich gar nicht mehr, wohin ich eigentlich möchte. Alles was ich bemerke, ist das Kribbeln in meinem Bauch und die Hitze, die mir in die Wangen steigt. Ich kann seinen Blick förmlich auf meinem Nacken spüren.
In der nächsten Sekunde greift Shawn nach meinem Handgelenk und zieht mich an sich.
Mein Körper prallt auf seinen, seine Hände umfassen mein Gesicht. Ganz automatisch, so als wäre mein Körper für diese Situation geschaffen, legen sich meine Hände auf seinen Rücken. Dann endlich spüre ich seine Lippen wieder auf meinen.
Ich habe das Gefühl das mein Körper in Flammen steht.
Shawns Mund öffnet sich leicht, meiner tut es ihm gleich und so bewegen sich unsere Lippen synchron. Ganz vorsichtig spüre ich seine Zunge, die ich willkommen heiße.
Der erst so zärtliche Kuss wird intensiver und vor allem stürmischer - Shawns Hände wandern auf meine Taille und obwohl ich es wirklich nicht will, muss ich es tun. Ich muss Luft holen.
Völlig außer Atem sehe ich ihn an. Unsere Gesichter sind einander immer noch nahe. Ich vermute, dass meine Lippen genau so gerötet sind wie seine. Eingehend betrachtet Shawn mein Gesicht und streicht mir schließlich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht, die sich aus meinem Zopf gelöst hast.
Er öffnet den Mund, so als wollte er etwas sagen, schließt ihn dann aber wieder.
Meine Stimme kann allerdings nicht anders, als sich zu Wort zu melden. „Das war unglaublich.", bringe ich hervor und meine es auch so. Das war tatsächlich unglaublich.
Mein ganzer Körper sehnt sich noch immer nach seiner Nähe und wahrscheinlich kann man mein Herz selbst draußen noch wummern hören. Ratlos stehen wir voreinander. „Ich musste einfach...", sagt Shawn plötzlich unvermittelt. „Du sahst so schön aus und es war... an der Zeit, schätze ich."
Wärme breitet sich in mir aus, aber irgendwie muss ich auch über seine Worte Lächeln. In all seinen Songs benutzt er so viele Wörter um seine Zuneigung auszudrücken, und hier vor mir kommt er mit einem „es war an der Zeit" an.
„Du küsst toll.", versichere ich ihm und fühle mich dabei wie ein kleines Kind. War es wirklich okay einen Kuss auf diese Weise zu kommentieren?
Scheinbar ist es in Ordnung, denn Shawn grinst mich jungenhaft an.
„Da seit ihr ja!"
Andrew Gertler kommt den Gang runtergelaufen. Mir wird klar, wie riskant der Kuss war. Ein Seitenblick auf Shawn verrät mir, dass er dasselbe denkt. Er ist ein bisschen blass um die Nase. „Wir suchen euch schon die ganze Zeit. Ihr werdet oben gebraucht."
Wortlos folgen wir dem Manager zurück auf die Bühne.

Endlich hebt Chase ab.
„Katieeee!", ruft er jubelnd. Mein Herz macht vor Erleichterung einen Satz. Ich werfe einen Blick auf die Hotelzimmer Uhr, die an der Wand hängt.
„Hey. Wie spät ist es bei dir?"
„Oh man, Kate. Das ist wirklich die erste frage die du stellst? Nachdem wir gefühlt monatelang nur getextet haben?"
Ich schüttele belustigt den Kopf und starre mein eigenes Spiegelbild an. Eigentlich sollte ich so langsam mal duschen gehen. Meine Haare sehen ganz fürchterlich von dem Schweiß aus, mein Make Up hat sich auf meiner Nase völlig verabschiedet und auch der rosafarbene Lidschatten ist etwas verschmiert. Einzig und allein der Lippenstift hält noch. Ein Hoch auf die Person, die Matte Lippenstifte erfunden hat. Der Braunton sitzt. Etwas schwächer vielleicht als zu Beginn, aber er ist noch da.
„Du übertreibst, Chase. Jetzt sag mir bitte wie viel Uhr ihr habt."
Im Hintergrund bei ihm knarzen ein paar Treppen und ich nehme an, dass er gerade in sein Zimmer läuft. Die quietschende Tür bestätigt mir das. Seit ungefähr einem halben Jahr erzählt Chase mir, dass er sie dringend mal Ölen muss. Sag bloß.
„Es ist 18:15 Uhr. Aber nur zur Info. Dein iPhone hat eine Weltuhr. Dafür musst du nur auf..."
Genervt unterbreche ich ihn. „Shawn und ich haben... geknutscht?"
Ich kann eine Schnappatmung am anderen Ende der Leitung hören. „Du willst mich verarschen, Katherine Reed!"
Ich beiße mir auf die Unterlippe um nicht zu stark zu Grinsen. „Nope. Und er hat den Anfang gemacht."
Mein bester Freund kommt gar nicht mehr aus dem fluchen raus. „Heilige scheiße. Shawn fucking Mendes. Ich werd bescheuert, Kat."
Ich kann mir förmlich vorstellen, wie er wild gestikulierend sein Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt hat und völlig aus dem Häuschen ist.
„Aber ich weiß gar nicht wie ich mich jetzt benehmen soll. Was war überhaupt seine Intention mich zu küssen...", ich stöhne auf.
„Warte mal...", bittet mich Chase und ich kann seinen Schreibtischstuhl zurückfahren hören. Ich stütze meine Füße gegen meinen eignen Tisch, der an der Wand steht. Direkt darauf, ein wenig versetzt, steht rechts ein Fernseher. Keine Ahnung wie lange ich schon nicht mehr Fernsehen gesehen habe. Stattdessen betrachte ich weiterhin mein Spiegelbild. Was findet Shawn an meinem Gesicht?
Die feinen Gesichtszüge meiner Mom, die braunen Augen und die schwarzen Haare. Die vollen Lippen. Das einzige, was ich wirklich an mir mag. Nicht, dass ich den Rest nicht mögen würde, das tue ich nämlich. Über die Jahre habe ich wirklich gelernt, mich so zu akzeptieren wie ich bin. Mittlerweile bin ich im reinen mit mir, obwohl diese Gewichtssache irgendwie immer über einem schwebt, ob man will oder nicht. Darauf zu achten was man isst, ist ohnehin nicht verkehrt. Ich muss an die Chips denken, die ich vor ein paar Wochen bei einem Gespräch mit meinem Halbbruder Spencer zurück in die Tüte hab fallen lassen und stelle fest, dass sich mein Gemütszustand seitdem verändert hat. Ich war gestresst von der Uni, gestresst, weil Dad nicht da war und hatte das Gefühl, das mein Körper sich verändert. Aber seitdem die Tour angefangen hat, bin ich glücklich. Wie glücklich war mir bis vor einer Sekunde gar nicht mal klar. Meine Arbeit macht mir Spaß. Ich fühle mich wohl in dieser Umgebung, obwohl ich natürlich trotz allem ein wenig übermüdet bin, da das Arbeitspensum sehr hoch ist.
Trotz allem zweifele ich dadurch nicht an meinem Körper. Mich überkommt der Verdacht, dass das an Shawn liegt. An seinen Blicken. Seinen Berührungen...
„Katie??"
Chase Stimme holt mich ungeduldig zurück in die Wirklichkeit und ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, wie meine Gedanken so abschweifen konnten.
„Chase. Ich glaube ich muss mal auflegen."
Bevor er etwas erwidern kann, lege ich auf und sehe mich noch mal im Spiegel an.
Jetzt gerade will ich nur noch zu Shawn. Ich durchquere mein Zimmer, stecke die Schlüsselkarte ein und mache mich auf den Weg zu seinem Zimmer. Glücklicherweise weiß ich, welches es ist.
Mein Herz wummert gegen meinen Brustkorb und ich muss die ganze Zeit schlucken, obwohl da gar kein Speichel in meinem Mund ist.
Ich atme einmal tief ein und aus, nehme all meinen Mut zusammen und klopfe.

Shawn Mendes: We keep this love in a photographWo Geschichten leben. Entdecke jetzt