Lukan

Kapitel 22

Etwas zu spät zog ich am Anfang der dritten Stunde die Tür des Klassenraumes auf. Als ich nach vorne an den Pult lief, sahen mich die Hälfte der Schüler verwirrt an, während die andere Hälfte "Wie krass! Freistunde!" riefen. "Da muss ich euch leider enttäuschen, ihr habt keine Freistunde und auch keine Vertretungsstunde oder sonstiges. Herr Klasing ist für eine längere Zeit im Krankenhaus und ich übernehme den Unterricht in der Zeit.", sagte ich. "Ich brauche von irgendjemand ein vollständiges Heft oder einen vollständigen Ordner. Ich habe nämlich so gut wie keine Kenntnisse darüber, was ihr schon alles gemacht habt und wo ihr aufgehört habt.", erklärte ich der Klasse und nahm den erstbesten Ordner, der mir zur Verfügung gestellt wurde, entgegen. Während ich den Ordner durch schaute, machte die Klasse das von mir erstellte Aufgaben Blatt, was überraschenderweise sogar ziemlich gut zum Thema passte.

Als wir eine kurze Pause zwischen der Doppelstunde machten, ließ ich meine Blick durch das Klassenzimmer schweifen und stellte fest, dass Lukas nicht anwesend war. Verwundert rief ich Max zu mir und fragte ihn: "Weißt du etwas von Lukas? Er ist nicht im Klassenbuch eingetragen." "Haben Sie das noch nicht mitbekommen? Lukas ist von der Schule gegangen. Gestern war sein letzter Tag an der Schule.", sagte er gelangweilt. Ich sah Max geschockt an. "Warum ist er gegangen?", fragte ich und versuchte die Traurigkeit in meiner Stimme zu unterdrücken. "Keine Ahnung. Es war so 'ne Aktion von einen Tag auf den Anderen. Er hat sich gestern eine neue Wohnung zugelegt und ist heute dorthin umgezogen.", antwortete er und ging dann einfach  auf seinen Platz zurück. Ich konnte es nicht glauben. Lukas hatte die Schule verlassen, war umgezogen und das ohne dass ich etwas davon mitbekommen hatte. Warum war er gegangen? Und warum so kurzfristig?
Nach der Pause setzte ich meinen Unterricht fort und versuchte mir nichts anmerken zu lassen, aber es machte mich fertig. Erst nutzt er mich aus um Befriedigung zu erlangen, bringt meine Gefühle durcheinander und haut dann einfach ab. Ich wollte wütend auf ihn sein, ich wollte ihn hassen, aber ich konnte es nicht. Ich hatte gehofft, dass sich alles aufklärt und dass wir dann richtig zusammen kommen können.

Nachdem ich den Unterricht beendet hatte, packte ich meine Sachen zusammen und machte mich dann auf den Weg zur Bahn. Mit gesenktem Kopf lief ich über den Schulhof, als ich von jemandem aufgehalten wurde. Ich hob meinen Blick und sah Nadja vor mir stehen. "Ich könnte jetzt zum Schulleiter gehen und ihm erzählen, dass du etwas mit einem Schüler hattest. Zu deinem Glück hat Lukas den ausdrücklichen Wunsch geäußert dies nicht zu tun. Ich glaube es einfach nicht. Nach der ganzen Scheiße, die du ihm vorgeworfen hast, will er dich immer noch schützen. Du verdienst das überhaut nicht. Du hättest auch ihn nicht verdient, so wie du ihn behandelt hast. Es war Ewigkeiten her, dass sich Lukas jemand neuem anvertraut hat. Er hatte so viele One-Night-Stands, weil er sich nie auf eine Beziehung einlassen wollte, um nicht verletzt zu werden. Dann hat er dich getroffen und du hast ihn verletzt. Das ist so widerlich von dir.", äußerte Nadja wütend und ließ mich dann einfach stehen. Langsam entfernte ich vom Schulgelände. Nadja hatte recht, das war alles meine Schuld. Ich bin Schuld, dass Lukas weg ist. Ohne zu überlegen, zog ich mein Handy aus meiner Hosentasche und wählte Lukas' Nummer. Immer wieder ging die Mailbox dran und immer wieder versuchte ich es erneut, schrieb Nachrichten über alle möglichen Messanger und klingelte an seiner früheren Wohnung, doch vergeblich. Traurig setzte ich mich auf die Treppe vor dem Haus, in dem er gewohnt hatte und stützte meinen Kopf auf meine Hände. So saß ich da, bis der Nachrichtenton meines Handys mich aus der Starre riss. Ich entsperrte es und las die Nachricht, die im Chatverlauf von Lukas und mir aufgetaucht war:
"Hör auf mich anzurufen oder mir zu schreiben. Du wolltest, dass ich gehe. Ich bin deinem Wunsch nachgegangen. Leb wohl, Stefan."