15 Jahre später...

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Tief sog ich die kühle Morgenluft ein. Die Sonne begann gerade damit durch die Wolken zu brechen und versprach einen wunderschönen Tag. Bald war Sommeranfang und schon jetzt war es überraschend warm.

Ich hatte mir ein Stück Wald zu meinem Zuhause gemacht und sah mich jeden Morgen um, ob sich etwas verändert hatte. Oft blühten neue unbekannte Pflanzen, oder es wurden Tierjungen geboren. Manchmal fungierte ich sogar als Geburtshelfer, oder zog verwaiste Babys wie Vögel oder Rehkitze auf. All das wollte ich nicht verpassen. Ich pflegte mein Zuhause mit viel Liebe, was auch jeder sehen konnte. Der Wald pulsierte mit so viel Leben, dass man nicht anders konnte, als sich davon mitreißen zu lassen.

Ich band meine Hüftlangen, rot goldenen Haare zu einem Dutt und begann mit meinem Rundgang. Der Frieden den ich hier geschaffen hatte, erfüllte mich jedes mal mit Freude und steckte mich mit tiefer Ruhe an. Er ließ die Erinnerungen, die mich nachts heimsuchten, verblassen.
Sanft strich ich über die Narbe die sich quer über meinen rechten Arm zog. Bevor das Wetter umschwang schmerzte sie oft. Ich wollte meine Vergangenheit hinter mir lassen, doch meine Narben erinnerte mich jedes mal aufs neue an jene Nacht, in der ich meine Familie verlor. Die Verletzungen zog ich mir zu, als ich damals vor dem Tod floh. Sie brauchten lange, bis sie endlich verheilt waren. Vielleicht lag das auch an meinem seelischen Zustand.

Der Krieg war seit über 10 Jahren beendet, doch des nachts quälten mich noch immer Albträume. Die Drachenwandler die noch übrig waren, beschlossen damals ihre Streitigkeiten hinter sich zu lassen und sich zusammen zu schließen. Selbst einige von Moldovan's Soldaten wechselten die Seite. So war es nach großen Verlusten gelungen, Moldovan zu stürzen.
Ich habe an diesem Krieg nie mitgewirkt und immer versucht, mich fern zu halten. Ich hatte kein Verlangen danach, mich selbst ins Verderben zu stürzen. Außerdem hatte dieser verdammte Krieg mich schon zu viel gekostet. Mutter und Vater hätten gewollt, dass ich Lebe. Und das tat ich.

Meine nun 30 Lebensjahre waren für einen Drachenwandler nicht mal ein Wimpern schlag. Viele konnten tausende von Jahre alt werden. Ich hatte also noch genug Zeit meine Wunden, körperlich wie geistig heilen zu lassen.

Kopfschüttelnd kam ich wieder ins hier und jetzt zurück. Der Wald begrüsste mich wie immer mit freundlichem Vogelgezwitscher, in der Nähe plätscherte ein Bach der beruhigend auf meine wirren Gedanken wirkte.
Langsam schlenderte ich unter großen Eichen und Fichten hindurch. Der Waldboden schluckte meine Schritte und so lauschte ich nur den Vögeln, die gerade ihr Lied anstimmten und den Füchsen, die durch durchs Unterholz huschten. Wieder sog ich tief die frische Waldluft ein. Heute Nacht hatte es geregnet und ein leichter Wasser Geruch vermischte sich mit dem Duft nach Kiefernnadeln und Holz. Hier gefiel es mir sehr. Diese Ruhe und der Frieden war aus meinem Leben nicht mehr weg zu denken. Doch etwas war heute Morgen anders...

Erst wusste ich nicht was, dann dämmerte es mir. Der Geruch war anders! Mit meiner feinen Nase schnüffelte ich wie ein Hund in der Luft. Die Spur des Geruchs war schwach, aber ganz eindeutig! Ein fremder Drache hatte es gewagt in mein Territorium einzudringen! Dies war noch nie passiert, seit ich hier lebte. Die Drachen ließen sich vor allem seit dem Krieg in Ruhe. Mist, ich hatte die Markierungen an den Bäumen um mein Revier herum doch erst vor kurzem erneuert.

Wütend entledigte ich mich meiner Kleidung und begann die Verwandlung. Meine Glieder streckten und verdrehten sich. Dieser Schmerz war mir schon mehr als vertraut. Meine Haut wich feinen goldenen Schuppen, zwei Flügel bahnten sich ihren Weg aus meinem Rücken. Ich landete auf allen vieren und wuchs, bis ich knappe fünf Meter groß war. Nach einem kurzen Moment stand ich als ausgewachsener Drache in der Sonne. Meine goldenen Schuppen glitzerten im Licht. Nach der Verwandlung zum Drachen, hatte sich nicht nur mein Körper verändert, sondern auch meine persönliche Einstellung. Drachen waren unglaublich selbstsicher und besaßen so viel Solz, dass es für zwei gereicht hätte. Somit war man auch wesentlich warghalsiger, da bildete auch ich - die die Konfrontationen hasste - keine Ausnahme.

Mit einem kräftigem Satz stieß ich mich vom Boden ab, und nahm die Verfolgung des Eindringlings auf. Die Wut kochte in mir und trieb mich schneller an. Das ist mein Revier! Der Wald schrumpfte unter mir immer weiter, bis nur noch die grüne Farbe zu erkennen war. Die Luft hier oben war eisig und das Atmen viel schwerer, doch als Drache war dies nebensächlich, da mein Körper wesentlich robuster war, als bei anderen Lebewesen.

Da ich nicht wusste, wer mich erwarten würde, entschied ich mich für den Überraschungsangriff. So schraubt ich mich lautlos immer höher in den Himmel und suchte mit den Augen meine Umgebung ab. Ich drehte mich zu Seite, damit der Wind meinen Geruch in die andere Richtung blies. So blieb ich vorerst für den Eindringling unsichtbar.
Nach kurzer Zeit kam dieser in Sicht. Plötzlich verrauchte sämtliche Wut aus meinen Gliedern und wurde ersetzt durch Staunen. Jeder konnte diesem Drachen ansehen, dass er einst im Krieg gedient hatte. Er war riesig, bestimmt fünf Köpfe größer als ich. Seine schwarzen Schuppen waren ganz anders als meine. Sie waren matt und hatten keinen Glanz. Viele Narben zogen sich über seinen Körper, vor allem an der feinen Flügel haut. Zwei große Hörner ragten hinten aus seinem Kopf, an dem linken war die Spitze abgebrochen. Mächtige Stacheln zierten seinen Rücken. Alles an ihm war auf's kämpfen ausgerichtet. Eine kleine - und vernünftige - Stimme in meinem Kopf riet mir vom Angriff ab, da er bestimmt viel stärker war als ich. Immerhin hatte ich nie ein wirkliches Training für's kämpfen erhalten, geschweige denn selbst trainiert. Auch meine Kondition war eher ... naja, nicht so gut. Doch natürlich lies mein drachen Ego, in der Größe eines Lastwagens, sich nicht aus der Ruhe bringen.

Ich flog weit über ihn, er hatte mich noch nicht entdeckt. Ich war schon lange keinem männlichen Drachen mehr begegnet und auch, wenn ich wütend über sein Eindringen war, so war er doch unübersehbar attraktiv. Ein leichtes prickeln zog sich über meinen Rücken. Das war komplett Verrückt! Ich kannte diesen Drachen doch gar nicht! Und er ist in mein Revier eingedrungen! Und doch... War ich eben auch nur eine Frau.
Ich schüttelte meinen massiven Kopf und setzte zum Sturzflug an. Der wird es sich nochmal überlegen, bevor er wieder in jemandes Territorium einbricht!

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