Kapitel 1

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Nervös von den einen auf dem anderen Fuß springend wartete ich auf meinen besten Freund. Ben, der sich wie immer Zeit ließ, meinte er wüsste einen guten Ort, an dem wir uns niederlassen konnten. Einen Sicheren, zumindest sagte er mir das gefühlt tausendmal. Wir hatten ausgemacht, dass wir uns am östlichen Waldrand treffen würden. Tja, ich wartete jetzt schon eine halbe Stunde und dies allein war schon gefährlich genug. Gut, zu Tag waren wenige Dämonen unterwegs allerdings würde bald die Sonne untergehen und ich wusste nicht wie weit es war bis wir zu diesem Ort gelangen. Oder ob er wirklich so sicher war wie dieser Chaot es behauptet? Ein knacksen riss mich aus meinen Gedanken. Auf das Schlimmste bereit, drehte ich mich um und sah erleichternd den allbekannten blonden Lockenschopf vor mir. „Endlich, verdammt es wird bald dunkel!" zischte ich ihn an. Mit einem milden Lächeln auf den Lippen zuckte er die Schultern ehe er seine Hand hob und sie durch meine dunklen Haare wuscheln ließ. „Tut mir leid, Fia." Seine Stimme erinnerte mich jedes Mal an den Sommer, so verrückt es auch klingen mag. Sie war warm und strahlte pure Freude aus, selbst in Zeiten wie dieser. Allgemein erinnerte er mit seinen blonden Locken, den grauen Augen und den vereinzelten Sommersprossen an einen Engel. Engel, Geschöpfe des Guten, welche die Menschheit dem Bösen ausgeliefert hatten. Ein mancher Gläubiger glaubte, wir befanden uns in der Zeit des jüngsten Gerichts und da wir mehr gesündigt hatten als jedes andere Wesen, wandte sich das Göttliche von uns. Ich schüttelte diese Gedanken ab und musterte den jungen Mann, welcher nun lächelnd voran in den Wald ging, genauer. Er trug ein enges rotes Shirt, dank dem ich die Bewegung seiner Rückenmuskulatur beobachten konnte. Ohne es kontrollieren zu können wanderte mein Blick weiter herunter und ja die schwarze Jeans betonte seinen Hintern sehr gut. Gerade als ich darüber nachdachte, welche Form sein Hintern hatte, drehte er sich um. Ben zog mit einem schiefen Lächeln die linke Augenbraue hoch und musterte mich mit funkelten Augen. Verdammt. „Man starrt anderen nicht auf den Hintern," triefend vor Spott musterte er mich. Früher hätte ich ein Kribbeln gespürt und eine Röte hätte sich ausgebreitet. Wie viel sich ändern konnte. Man darf mich nicht falsch verstehen. Er war wunderschön, bis auf die Narbe, in Form von drei Striemen, welche sich unter seinem linken Auge quer über die Wange zog, makellos. Wir beide hatten aber schmerzlich lernen müssen, dass wir besser als Freunde funktionieren. Hätten wir es damals gelassen, dann wäre vieles anders gelaufen und manche Fehler erst gar nicht entstanden. Er verlangsamte sein Tempo, bis er neben mir stand, und legte einen Arm um meine Schultern. Als wäre es das normalste der Welt lehnte ich meinen Kopf an seine Brust und so schlenderten wir weiter. Noch immer kein Kribbeln, stellte ich nüchtern fest. „Ist es noch weit?" fragte ich ihn, mehr um mich selbst von meinen Gedanken abzulenken. „Zwanzig Minuten, schätze ich." Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass es in fünfzehn Minuten dunkel werden würde. „Verdammt, wir müssen uns beeilen." „Mach dir keine Sorgen Fia. Wir werden rechtzeitig dort sein." Manchmal fragte ich mich wirklich, ob ich mit einem Idioten unterwegs bin. Wütend boxte ich ihn unter die Rippen ehe ich hastig zwei Schritte nach vorne ging. „Beeil dich!" schnauzte ich ihn an. „Man boxt andere auch nicht außerdem solltest du vielleicht nicht voran gehen." „Wieso nicht?" „Weil du den Weg nicht kennst?" Am liebsten würde ich ihn für seine unbeschwerte Art vermöbeln, wusste aber, dass er natürlich Recht hatte. Grinsend holte er mich ein, nahm meine Hand in seine und zwinkerte mir zu. Spinner. „Komm wir sollten langsam Joggen." „Ich hasse dich." „Du liebst mich." Ich erwiderte nichts darauf, denn auch da hatte der riesen Idiot recht. Er war die einzige Familie, die ich je hatte, der einzige Mensch, der mir noch geblieben war und mein bester Freund seit Kindertagen. Für ihn würde ich einen Pakt mit Satan selbst eingehen. Stumm lies ich mich von ihm mitziehen, bedacht nicht hinzufallen. Später müsste ich mich mit ihm über die Definition vom langsamen Joggen unterhalten. Es dämmerte bereits und langsam beschlich mich ein ungutes Gefühl. „Ben" „Ich weiß," unterbrach er mich. Von Minute zu Minute scheint er sich mehr zu verspannen. Langsam wurde es echt knapp. „Wenigstens sind wir fernab der Stadt," nuschelte er mehr zu sich selbst. Wir zuckten beide erschrocken zusammen als ein Heulen die Stille Durchschnitt. Als wäre irgendein Knopf gedrückt worden, drückte der grauäugige meine Hand etwas fester und begann ohne Vorwarnung zu laufen. „Ich kann nicht so schnell" murmelte ich konzentriert nicht der Länge nach hinzufallen. „Wir sind bald da." Gerade als ich meckern wollte entdeckte ich sein Ziel. Will er mich verarschen. Sein sicherer Ort war eine Waldkapelle, eine ziemlich herunter gekommene Waldkapelle. Etwas weiter vor der Kapelle waren vereinzelt größere Steinhaufen und erinnerten an- wenn das Gräber waren, würde ich ihn sowas von verprügeln. Erst als wir im Inneren unserer Bleibe ankamen, ließ Ben meine Hand los. „Geschafft," brachte er außer Atem über seine Lippen ehe er sich auf eine der verstaubten und dreckigen Bänke niederließ. Angewidert verzog ich mein Gesicht als ich die vielen Spinnennetzte sah. Hoffentlich würde er gebissen werden. „Ich hoffe du willst mich auf den Arm nehmen und das ist nicht der Ort, den du meintest." Den Kopf schüttelnd sprach ich weiter. „Nein, bestimmt nicht. Morgen würden wir wahrscheinlich noch tiefer in den Wald gehen." Als ich Ben ins Gesicht sah, glaubte ich durchzudrehen. „Nicht dein Ernst! Das soll unser Zuhause werden? Hier könnten wir uns sicher niederlassen? Sag einmal bist du noch bei Trost!" schrie ich. „Wir haben schon an schlimmeren Orten gelebt." „Verdammt das da draußen sind Gräber oder?" „Fia" „Zombies werden uns fressen und du bist schuld!" „Fia!" Bei seinem Ton zuckte ich zusammen. Den hatte er früher immer bei Rhiannon drauf. „Was?" „Dieser Ort ist das Beste, was uns passieren konnte. Geweihter Boden, weit entfernt von anderen Menschen und wenn man hier etwas aufräumt könnte es sogar gemütlich werden." „Solange es nicht einstürzt." Ben atmete genervt aus bevor er aufstand und mir sagte, dass ich ihn folgen sollte. Er führte mich zu einer schmalen Treppe, die den Augenschein machte bei dem kleinsten Windstoß zusammen zu brechen. Meine Aussage, dass ich dort nicht hinaufgehen würde, ignorierte er einfach. Stur stand ich noch immer unten, als er von oben hinunter nuschelte. „Zombies können keine Stiegen gehen." Ich warf einen Blick zur Tür der Kapelle. Es gab Dämonen, wieso sollten dann nicht auch Zombies existieren? Ohne weiter darüber nachzudenken, entschied ich mich ebenfalls den Glockenturm einen Besuch zu gestatten. Die Stufen knarrten unter meinen Füßen und ließen mich verunsichert nach oben starren. Irgendwann wurde mir eine Hand gereicht, welche ich dankend annahm. In der nächsten Sekunde wurde ich, als wäre ich nichts als Luft, von Ben nach oben gezogen. Er kniete am Boden und zog mich von dort in eine Umarmung. Als sich seine starken Arme um meinen Körper geschlungen hatten und ich die Wärme, welche von ihm ausgestrahlt wurde, willkommen hieß, spürte ich es endlich. Ein Kribbeln, kaum bemerkbar und doch da. Der Beweis, dass wir tatsächlich in Sicherheit waren, zumindest für diese Nacht. Dieses Kribbeln, durfte man nicht mit Verliebtheit verwechseln, es war mehr das Kribbeln der Erleichterung. Einst dachte ich, es hätte mehr zu bedeuten und diese Fehlentscheidung hatte uns unsere dritte Hälfte gekostet. „Gemeinsam" flüstert Ben in die Stille. „Gemeinsam", wiederholte ich unser abendliches Ritual. Ben hatte anscheinend bereits vorgeplant. Der Fenstersims war voller Kerzen, unterhalb lag eine Matratze, welche er aus unserem alten Versteck mitgeschleppt hatte. Auf ihr befanden sich dünne Decken und sein Schlafsack. Ich schmiss meinen Rucksack neben seinen und warf mich anschließend erschöpft auf unser Bett. Es war definitiv nicht das bequemste. Ich versuchte mich auf meine Umgebung zu konzentrieren, während ich meine Augen geschlossen hielt. Im Hintergrund hörte ich Grillen und Ben der irgendwas durchwühlte. „Wasser?" fragte er so sanft wie Seide. Ich schüttelte den Kopf, meine Augen noch immer geschlossen. Erst als sich die Matratze seitlich neben mir vertiefte öffnete ich sie und sah ihn direkt ins Gesicht. Er lag dicht an mir, stütze mit seinem rechten Arm seinen Kopf und sah so auf mich herab. Ein zaghaftes Lächeln zierte seine Lippen als ich die Hand hob um ihm eine seiner widerspenstigen Locken aus dem Gesicht zu streichen. Als ich meine Hand wegziehen wollte legte er die seine auf meine, welche nun auf seiner Wange ruhte. Mein Herz begann schnell zuschlagen, als er sich langsam noch vorne zu beugen begann und als seine Lippen meine berührten, drohte es zu zerspringen. Uns beiden war bewusst wie falsch es war und doch ließen wir uns fallen. Ohne es richtig wahrgenommen zuhaben lag ich binnen Sekunden unter ihm. Unser Kuss vertiefte sich, Sanftheit wich dem Gefühl der Dringlichkeit. Meine Hand wanderte unter sein Shirt, strich ihm über die Rückenmuskeln, welche unter meiner Berührung zu tanzen begannen. Rhiannon. „Stopp," keuchte ich. Ohne etwas dagegen unternehmen zu können blitze das Gesicht meiner besten Freundin auf und zwang mich ihren entsetzen Gesichtsausdruck ein weiteres Mal anzusehen. „Stopp," murmelte ich erneut, obwohl Ben bereits aufgehört hatte und mich besorgt musterte. Seinem Blick zu urteilen, wusste er wohl an wen oder besser gesagt an was ich dachte. Schmerz flackerte in ihm auf, als er sich auf seinen Rücken fallen ließ. „Fia, sie-," „Ja" schnitt ich ihn das Wort ab. Wir begannen beide gleichzeitig zusprechen und während ich nuschelte, dass ich sie vermisse gab er gebrochen zu, dass er mich brauchte. Die Tränen herunterschluckend drehte ich mich zu meinem besten Freund, beobachtete wie auch er selbst versuchte die Fassung zu bewahren und tat dann das gleiche wie immer. Ich verdrängte den Gedanken an sie und gab Ben das was er brauchte, mich. Es war nicht richtig, vielleicht sogar gegen jede Moral aber alles was wir hatten. Dieser Akt hatte nichts mit Liebe zu tun, er ließ uns spüren, dass wir lebten. Bewies, dass wir fühlen konnten, dass wir tatsächlich nicht allein waren. Nicht nur er brauchte mich. Ich war genauso angewiesen auf ihn. Manchmal, da droht die Schuld mich zu ertränken und ich wünschte mir nichts mehr als alles Rückgängig machen zu können. Manchmal tauchte ihr Gesicht vor meinen auf, genauso wie jetzt, und dann wusste ich, dass es mich für immer verfolgen würde. Ihre aufgerissenen braungrünen Augen, das blasse Gesicht entsetzt verzerrt und ihr Schluchzen. Es hatte sich in meine Netzhaut gebrannt. In diesen Momenten war er alles, woran ich denken wollte. 

Apokalypse - BittersüßWo Geschichten leben. Entdecke jetzt