Kapitel 6

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-Ben POV

Meine Augen schließend versuchte ich mich unter Kontrolle zu bringen. Im Hintergrund hörte ich Fia beruhigende Worte flüstern, welche langsam ihre Wirkung erreichten. Rhiannon war wieder da. Sie lebte. In dem Moment als ich sie sah, viel eine unglaublich schwere Last von meinem Herzen. Ich konnte etwas zusammenwachsen spüren, als würden die Risse in mir heilen. Risse, von denen ich dachte, sie für immer mit mir tragen zu müssen. Dieses Gefühl der Dankbarkeit hielt allerdings nicht lange. Mit einer Wucht von tausend Schwertern wurde mir bewusst, was das bedeutete. Mein Körper bebte. Das letzte Mal als ich mich so schwach fühlte, war als ich zusehen musste, wie ein Dämon seine Klauen in das Mädchen rammte, welches ich liebte und doch nicht lieben konnte. Heute musste ich ein weiteres Mal feststellen, dass es immer schlimmer geht. Dass Schmerz keine Grenzen hat. Ich sollte Freude darüber spüren, dass ich eine zweite Chance hatte und doch spürte ich nichts. Noch nie fühlte ich mich so betäubt. Rhiannon und Fia bedeuteten mir alles. Sooft stand ich zwischen den beiden, unwissend welche Seite die Richtige war. Heute war nicht anders. Rhiannon war das Licht nach Jahren der Dunkelheit. Ihr Lachen brachte mich dazu an das Gute zu glauben und so etwas lächerliches wie Hoffnung zu spüren. Jedes Mal, wenn sie mich aus ihren intensiven grünen Augen ansah, sprang mein Herz. Als ich sie verloren hatte, starb die Hoffnung auf ein glückliches Leben in einer Welt voller Chaos, denn das war ihr Zauber. Sie ließ vergessen, dass wir jeden Tag sterben konnten, bis sie selbst den Dämonen zu Opfer fiel. Nie würde ich vergessen wie sie mich ansah als ich ihr damals erklärte, dass das zwischen uns nicht funktionieren könnte. Am nächsten Tag war sie tot und jetzt saß sie hier in der Kapelle und ließ sich von Fia beruhigen. Fia, die was weiß ich für ihr Leben eingetauscht hatte. Fia, die ich kannte seit sie im Alter von fünf zu meiner Pflegefamilie kam. Das kleine Mädchen, welches die Zeit in der Hölle, lange bevor wir wussten das es wirklich eine Hölle gab, mit mir absaß. Die im zarten Alter von acht lernen musste, was es bedeutete der eigenen Seele beraubt zu werden. Ihre schreie würde ich niemals vergessen, sie waren auch der Grund, dass ich lernte mich zwischen sie und unseren Pflegevater zustellen. Manchmal sah ich noch immer das zwölf jährige Mädchen in ihr, die von Mitschülern beschimpft und geschlagen wurde. Fia, die mir mit fünfzehn blind vertraute als ich sie zum Bahnhof schleppte um der lebenden Hölle zu entfliehen. Ich erinnerte mich an meinen ersten Kuss, mein offiziell erstes Mal, an all die Kämpfe, die Nächte die wir gemeinsam weinten oder lachten. Ich liebte sie mehr als mich selbst, würde alles für sie geben. Auch wenn es bedeutete mich selbst aufzugeben. Als ich meine Augen öffnete und beide musterte, drohte ich zu ersticken. Fia war meine Vergangenheit und Gegenwart. Der Sturm, der mich zwang weiter zu machen. Mein größtes Geschenk. Wären wir in einer anderen Welt, anderen Zeit, dann hätte aus uns wirklich etwas werden können. Das Mädchen mit dunkelbraunem Haar, welches ihr bis zur Brust reichte und Augen so schwarz wie die Nacht war alles was ich jemals hatte. Die Erkenntnis, dass sie nicht meine Zukunft sein würde brachte mich innerlich fast um und doch wusste ich das tief in meinem Herzen, als ich die beiden ansah. Unsere Liebe war echt, doch viel zu groß für uns beide. Etwas Dunkles, was uns beide eher ins Verderben zog. Wenn ich ehrlich bin benutzen wir uns gegenseitig nur noch. Fia war die Kraft der Vergangenheit, Rhiannon die Heilung der Zukunft. Das zuzugeben fühlte sich an wie Betrug und schmeckte bitter, doch wusste ich, dass ich Rhi nicht ein zweites Mal aufgeben konnte. Aber könnte ich mich wirklich zu hundert Prozent für sie entscheiden? War es nicht Verrat an meine beste Freundin, das kleine Mädchen von damals? Brauchte sie mich nicht? Meinen Kopf schüttelnd ging ich auf den Altar zu. „Ben?" wie damals, ließ die Stimme von Rhi mein Herz hüpfen. „Hey, Kleines lang nicht mehr gesehen" versucht schwerelos zu klingen brach meine Stimme ab und hörte sich alles andere als schwerelos an. Rhi schenkte mir trotzdem ein Lächeln, es war zwar klein und doch brachte es meinen Körper zum Kribbeln. Ich dachte, dass ich mich nie wieder so fühlen würde. Für einen kurzen Zeitraum vergaß ich all meine Sorgen um Fia und dachte einzig allein an das Mädchen vor mir. Ich zog ihren gebrechlichen Körper in eine feste Umarmung als ich ihr zuflüsterte, wie sehr ich sie vermisst hatte. „I-Ich dachte ihr seid Halluzinationen gewesen. Ich dachte ihr würdet mich gleich anschreien, wie sonst immer" brachte sie wimmernd über die Lippen. Mein Herz stockte. Ich wollte gerade nachfragen, was sie meinte, als ich aufblickte und sah wie Fia den Kopf schüttelte.

Rhi schlief irgendwann in meinem Armen ein und ich beschloss sie nach oben zutragen, was sich schwerer herausstellte als gedacht. Diese Stiegen waren gefährlich steil. Es war mittlerweile früh am Morgen, weder Fia noch ich hatten bis jetzt ein Auge zugemacht. Meine beste Freundin saß draußen vor der Kapelle und zupfte gedankenverloren an ihrer Hose. „Fia, ich-." „Nicht Ben." schnitt sie mir das Wort ab und stand auf. „Damals, als du dich für mich und gegen sie entschieden hast war ein Fehler. Der größte Fehler, den du je begannen hast. Es ist okay Ben." War es das? War es wirklich okay. Auf einmal brach sie zusammen und begann zu weinen. „Hass mich einfach nicht, okay?" Meine Brust zog sich zusammen als ich die Verzweiflung in ihrer Stimme hörte. „Wie oft denn noch Fia, ich könnte dich nie hassen." „Das sagst du nur weil du nicht weißt, was ich getan habe. Das Rhi damals starb war meine Schuld, Ben." schrie meine beste Freundin aus voller Kraft. In ihrer Stimme schwang so viel Selbsthass, dass ich ihn förmlich riechen konnte. „Vergiss es Fia. Ich lass nicht zu, dass du das auf dich schiebst." Ich hatte alles erwarten aber sicher nicht, dass sie zum Lachen begann. Es war ein kaltes gefühlsloses Lachen und ließ meine Haare zu Berge steigen. Schweigend musterte ich sie, während sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. Sie sah lädiert aus, ihr ganzer Körper war gezeichnet von Kampfspuren, über dessen Herkunft ich nicht einmal nachdenken mochte. Ihr Gesicht war blass, die Wangen zusammengefallen und tiefe Augenringe hatten sich bereits gebildet. Oder waren sie schon immer hier und ich hatte sie einfach nie bemerkt? Am Schlimmsten waren allerdings ihre Augen. Augen, die mich an zuhause erinnerten und jetzt nichts als Hass spiegelten. Hass gegen sich selbst, die Welt und was weiß ich noch. Als würde ich das erste Mal klar sehen, erkenne ich, dass das die Fia ist, die seit Rhiannons Tod in ihr schlummerte. Das Mädchen, das ich damals liebte existierte so lange nicht mehr und doch versuchten wir beide verzweifelt diese Tatsache zu ignorieren. Die Person vor mir war eine Fremde, getränkt von Kummer und Wut. Das Ergebnis einer gestohlenen Zukunft, vielleicht sogar eines gestohlenen Lebens. Heute wurden mir so viele Dinge bewusst, eines von ihnen war, dass ich schon lange meine beste Freundin verloren hatte. Sie schlummerte noch in ihr und ab und zu erblickte sie auch das Tageslicht allerdings würde es nie mehr so sein wie früher. Ich liebte sie immer noch unerbittlich. Ihr gehörte ein großer Teil meines Herzens, wird es auch immer, aber es ist Zeit mich dem Licht zuwidmen. Scheiße ihre kalten Augen ließen ernsthaft den Poeten aus mir raushängen. Wie auch immer, könnte ich wirklich loslassen, jetzt wo sie mich am Meisten zu brauchen schien? Die Fragen der Fragen schoss mir erneut durch den Kopf, wehrend ich zusah wie der Wirbelsturm vor mir ohne etwas ihrem Lachen beizusteuern in die Kapelle stürmte. Es war schwer akzeptieren zu müssen, dass es nicht mehr länger ausreichen würde, zu versuchen meine beste Freundin am Leben zu halten. Vor allem, wenn sie einem die Welt bedeutete. Plötzlich viel mir etwas Grundlegendes wieder ein. Etwas verharrendes.

.. Sie hatte mir die Entscheidung um sie zu kämpfen bereits abgenommen. 

Apokalypse - BittersüßWo Geschichten leben. Entdecke jetzt