Kapitel 3

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Dean, ein alter griesgrämiger Mann und zu meinem Übel mein Boss, kam wie immer, als ich das Diner betrat, schlecht gelaunt auf mich zu und warf mir meine Schürze entgegen, während er irgendetwas unverständliches murmelte. Seufzend trat ich hinter den Tresen und band sie mir über. Es war bereits neun Uhr und recht viel los. Toll und ich kam ganze drei Stunden zu spät. „Du übernimmst die Schicht von Trudy," stellte Dean fest während er den Tresen abwischte. „Ist sie schon wieder krank?" Ich wusste, dass ich mich jetzt nicht beschweren konnte, immerhin war ich viel zu spät. Allerdings war es jetzt schon das dritte Mal in einem Monat, dass ich ihre Schicht an meine hängen musste. Unbezahlt versteht sich. Ich mochte sie wirklich. Trudy war 34 Jahre und kam von einem Dorf, welches heute nicht mehr existierte. Sie hatte einen recht seltsamen Stil und erinnerte mich an Tracy Turnbald von Hairspray. „Tot." Mein Chef sah mich an, zuckte mit den Schultern und ging in die Küche. Ich wünschte es würde mich das kalte Entsetzen packen. Dass ich irgendeine Art von Schock verspüre, doch die traurige Wahrheit war, dass das einfach vorhersehbar war. Sie lebte, wie viele, noch immer in der Stadt und mit ihrem geschwächten Immunsystem schaffte sie es nicht immer in die große Stadtkirche oder den Friedhof. Es sind Zeiten wo der Tod nichts schockierendes mehr ist. Jeder Tag kann dein letzter sein. Bitter mussten Ben und ich lernen, dass es keine Ausnahme gibt. Meine Hände zitterten als ich das Geschirr abwusch. Ich kann mich an jedes Detail ihres Gesichtes erinnern. Schock, Trauer, Wut, panische Angst, Schmerz und Erkenntnis. In meinem Kopf hallt noch immer ihre zitternde Stimme. Ihr Todesschrei ist eine lästige Melodie, die wohl für immer in mir spuken wird. Nein, ich darf mich diesen Gedanken nicht widmen. Nicht jetzt. Ich konzentrierte mich auf meine Arbeit, unterhielt mich ab und an mit manchen Gästen. Gerade schenkte ich Mrs. Gibson eine Tasse Kaffee ein als drei Männer das Diner betraten. Kalt lief es mir den Rücken hinunter, als ich erkannte was sie waren. VT Soldaten. Als wäre der Tag nicht schon beschissen genug. „Schätzchen, wie geht es dir?" fragte mich die gebrechlich wirkende Frau. Mrs. Loren Gibson arbeitete in der Kirche, hatte ein unglaublich großes Herz und war mit ihren stolzen 70 Jahren fit wie ein Turnschuh. Sie könnte mich locker fertig machen. „Mir geht es gut und Ihnen?" fragte ich sie versucht fröhlich. Mrs. Gibson sah mich skeptisch an, ignorierte die offensichtliche Lüge und erklärte, dass es ihr blendend geht. Ich sah kurz zu den Soldaten, welche sich in die hinterste Nische des Diners gesetzt hatten und diskutierten. „Mrs. Gibson, ich würde gerne noch etwas mit Ihnen plaudern, leider ist heute viel los." „Das macht nichts, obwohl ich der Meinung bin, dass diese Männer noch etwas warten können. Eine kostenlose Trainingseinheit für Geduld." Ihre Tasse zum Mund führend, zwinkerte sie mir zu. Lachend schüttelte ich den Kopf und wollte mich gerade in die Richtung besagter Männer begeben als sie mich zurückhielt. „Bevor du gehst, wie geht es deinem Ben?" „Mrs. Gibson, er ist nicht mein Ben." lächelte ich falsch. „Er lebt, wie lange noch steht allerdings in den Sternen. Er hat sich fürs VT rekrutieren lassen." erklärte ich und ging ohne auf ihre Antwort zu warten. Die Soldaten hörten auf zu sprechen als ich in Hörweite war. Sie waren alle unterschiedlich alt. Der älteste, wahrscheinlich Ende 30, hatte dunkles Haar und einen Dreitagebart. Auf seiner Uniform hingen unglaublich viele Marken, was seine autoritäre Haltung erklärte. Ihm Gegenüber saßen ein asiatisch angehauchter circa Mitte zwanzig jähriger und ein wahrscheinlich nicht mal Volljähriger rothaariger Typ. Zum Teufel, Rotkopf sieht aus als wäre er höchstens 16. „Was darf es sein?" Ich versuchte nicht einmal auch nur etwas höflich zu klingen. Bald würde auch Ben bei so einer Gruppe sitzen. Es war für mich immer noch unbegreifbar, dass er sich dazu entschieden hatte. Früher hatte er genauso schlecht von ihnen gesprochen und jetzt gehörte er in ihre Reihen.

In meiner Pause konnte ich erfolgreich mein Handy anstecken und Ben schreiben, dass ich heute länger arbeiten würde. Er war überhaupt nicht glücklich damit. Das Rickson's schloss sehr spät zu. Jedes Mal, wenn jemand versuchte Dean zu erklären wie gefährlich das war kam er mit „Dämonen können genauso am Tag angreifen" und „Sollen sie kommen, ich mach die Platt." oder „Dich, Fia würden sie sowieso nicht wollen, viel zur dürr." Es war bereits Dämmerung als ich mich auf den Weg machte. Ich würde es nicht Rechtzeitig heim schaffen. Himmel sei Dank, konnte ich Ben ausreden mich abzuholen. Entschlossen wählte ich seine Nummer und er ging auch schon nach den zweiten läuten ran. „Wo bist du?" hörte ich seine gehetzte Stimme. „Auf dem Weg. Eine Frage hast du die Bücher aus dem Loch auch mitgenommen?" „Ja, wenn du mich fragst sind das Recht seltsame Lektüren. Wieso?" „Nur so." Ich blieb bei der Abzweigung stehen. Ich sollte mich eigentlich auf dem Weg zur Kapelle begeben und das so schnell wie möglich. Anderseits gibt es in der Bibliothek der verlassenen Schule zwei Bücher, die ich gut versteckt hatte. „Es könnte noch etwas dauern," sagte ich und ging entschlossen am Waldeingang vorbei und in die Richtung der alten High School. „Wieso? Ich komm dir entgegen." „Nein! Versprich mir, dass du bleibst wo du bist." „Das kann ich nicht." „Doch!" zischte ich. Als kleine Kinder hatten Ben und ich geschworen niemals ein Versprechen zu brechen und bis jetzt hielten wir uns daran. Als er widerwillig versprach in der Kapelle zu bleiben legte ich auf. Im Notfall würde ich die Nacht im Loch verbringen. Ziemlich gefährlich, da Dämonen es einfach betreten konnten aber bis jetzt konnten wir uns immer gut verstecken. Nach weiteren 10 Minuten und dem Untergang der Sonne sah ich auch schon die High School. Home Sweet Home. Leise schlenderte ich in die Bibliothek. Hier hatte ich mich schon immer am Wohlsten gefühlt. Versteck von den aufgeblasenen Idioten und in glückseliger Ruhe. In der Fremdsprachenabteilung angekommen, kletterte ich auf ein Bücherregal und drückte dann über mir auf die Dachplatte. Wie erwartet, wurde sie nach innen gedrückt. Ich zog zwei alte Bücher hinaus, legte sie neben mir ab und schob die Dachplatte wieder richtig. Als ich die Bücher in meinen Rucksack verstaut hatte und vom Regal herabgeklettert bin, bekam ich ein merkwürdiges Gefühl. Als würde man mich beobachten. Ich sah mich in der dunklen Bibliothek um, meine einzige Lichtquelle war die Taschenlampe meines Handys. Sehr effektiv. Ich schüttelte den Kopf. Hier war nichts, doch das Gefühl verließ mich auch nicht. Ohne richtig wahrzunehmen was ich tat, ging ich zu unseren alten Spinten. Vor Rhiannons blieb ich stehen. Ich hob meine Hand und strich über die kleine Delle in der Mitte des Spints. Wir waren Juniors bei „der Ankunft" vor vier Jahren. Die Delle entstand Tage zuvor, als Rhi total sauer auf Ben dagegen schlug. Er hatte mit Betty Groom in der Besenkammer rumgemacht. Mein Herz zog sich krampfend zusammen. Ben und ich lernten sie im ersten Jahr kennen. Wir waren gerade hergezogen als wir im Biologieunterricht bemerkten, dass Rhi von Mitschülern wegen ihrer Mutter geärgert wurde. Sofort hatten wir uns entschlossen sie in unsere Gruppe der Verkorksten Eltern aufzunehmen. Rhiannon hatte schon damals leichte Gefühle für ihn, welche im Laufe der Zeit immer stärker wurden. Ich war ihr immer im Weg. Seufzend rüttelte ich solange an ihrem Spint bis er sich öffnete. Als wir „das Loch" als unser zuhause ernannten, entschied sie sich ihren Spint weiterhin zu verwenden. Auf der Innenseite klebte noch immer ein Bild von uns drei. Es entstand zwei Wochen vor der Ankunft und zeigte einen breitgrinsenden Ben in der Mitte, links von ihm eine schüchtern lächelnde Rhi und rechts eine mürrisch dreinblickende Fia. Ich hasste es Fotos zumachen und fand es an diesem Tag besonders lächerlich. Ich riss das Bild ab und steckte es mir in meine Hosentasche. „Hab dich, kleine Maus" riss mich eine tiefe Stimme aus meinen Gedanken. 

Apokalypse - BittersüßWo Geschichten leben. Entdecke jetzt