Kapitel 36: Hometown Road

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Mit dem Gesicht in meinen Händen vergraben, saß ich auf meinem Bett im Internat. Es war einige Zeit her, seitdem ich hier drin gelegen hatte und so fühlte es sich auch an. Auch, wenn meine Gedanken eigentlich nicht darum kreisten, wie hart und säuberlich gemacht dieses Bett gewesen war. Sondern wohl eher darum, dass Jungkook mir immer noch nicht geantwortet hatte. Geschweige denn die letzten Nachrichten überhaupt empfangen hatte. Vermutlich war sein Handy ausgegangen oder er hatte es mutwillig .. einfach abgeschaltet. 

Die drei Stunden, die ich bereits hier saß, fühlten sich an wie Tage, wenn nicht sogar Wochen. Alle Ereignisse spielten sich noch einmal in meinem Kopf ab und am liebsten wollte ich mich in meinem Bett verkriechen und nie wieder hervorkommen. Aber das war wohl keine Möglichkeit für mich gewesen. 

Mit schwerem Körper und Blei in den Beinen stemmte ich mich vom Bett auf und verließ mein Zimmer. Während mich meine Beine und Füße durch den langen Flur trugen, spielte ich immer wieder mit dem Schlüssel meiner Zimmertür in den Händen, bis ich vor Seokjins Raum angekommen war, den ich langsam angesteuert hatte. Vorsichtig klopfte ich gegen das Eichenholz und wartete auf eine Antwort. Nach einigen Sekunden öffnete sich die Tür ganz langsam und ein hart arbeitender Seokjin schaute mich an. Er war bereits dabei gewesen seinen Koffer auszuräumen und die Wäsche zum waschen zu sortieren. Vermutlich sollte ich das im Moment auch tun. Aber nachdem ich alle meine Kraft am Flughafen verbrauchen musste, um meinen Eltern vorzulügen, dass der Urlaub der beste meines Lebens war, kam auspacken des Koffers heute wohl nicht mehr in die Tüte.

"Hey, Seokjin", nuschelte ich leise, bevor ich eine kurze Pause einlegte und dann fortfuhr, "ist Yoongi da?"

Seokjin öffnete die Tür ein wenig weiter und schaute zu mir hinunter mit neutralem Blick. Eine Zeit lang sagte er nichts und ich fasste es bereits als ein Nein auf, doch bevor ich gehen konnte, hielt Jin mich nochmals an.

"Yoongi wohnt hier nicht mehr. Er hat sich ein Einzelzimmer im Westflügel besorgt", Jin ließ mich ins Zimmer hinein schauen. Er sagte die Wahrheit. Yoongis ehemaliges Bett war abgezogen und seine Sachen standen auch nicht mehr auf dem Schreibtisch. Damit hatte ich nicht gerechnet und ich konnte mir auch keinen Grund aus der Nase ziehen, wieso und so plötzlich Yoongi hier weg wollte. 

"Danke für die Auskunft, Seokjin", ich nickte dem großen braunhaarigen Jungen zu und schlug dann wieder den Rückweg zu meinem Zimmer ein. Mir wollte nicht in den Kopf gehen, wieso Yoongi nun auch noch Abstand zu Seokjin suchte. Die beiden waren doch so gut miteinander befreundet gewesen. 

Einige Minuten lang stand ich vor der Tür meines Zimmers und hatte bereits den Knauf in der Hand gehabt, öffnete aber dennoch nicht. Ich wollte nicht wieder in diesen engen Raum. Immer wieder auf mein Handy starrend und auf eine Antwort von Jungkook wartend. Oder den Koffer anschauend und die bedrückende Situation am Flughafen erneut durchleben. Deswegen entschied ich mich spontan eine Pause einzulegen. Zielstrebig machte ich mich also los zum Stall, damit Hades mir die Entspannung geben konnte, nach der ich so sehnlichst suchte. 

Bereits das Rascheln der Blätter der Bäume unter denen ich zum Stall hindurch schlenderte, waren unglaublich beruhigend. In Seoul vergaß ich, wie es sein kann in der unberührten und ruhigen Natur unterwegs zu sein. Dazu noch das Zwitschern der Vögel und mein Stresslevel hatte sich bereits um einiges reduziert. Als ich dann auch endlich das Wiehern der Pferde und den Duft vom Stall vernahm, überkam mich die Freude und alle schlechten Gedanken wurden kurzzeitig hinweggespült. 

Strengen Schrittes lief ich an der Reithalle vorbei in die Stallgasse und direkt zu den hinteren Boxen mit Paddock, um nach Hades zu suchen. Es schien so, als wären alle Pferde über den Mittag hier drinnen gewesen, damit sie in der prallen Sonne nicht auf der Weide ohne Unterstand stehen mussten. Vorsichtig öffnete ich die Tür und trat hinein; durch die Reihen an Pferde schleichend. 

Es dauerte seine Zeit, bis mir zumindest Meg entgegen stiefelte und ich begrüßte sie mit einer kleinen Streicheleinheit am Kopf: "Na Süße, hast du Hades vielleicht gesehen? Ich sehe ihn nirgends.."

"Natürlich ist er nicht hier. Und hättest du meine Nachrichten gelesen, dann wüsstest du das auch", ertönte es plötzlich hinter mir und nicht nur ich, sondern auch Meg schauten auf. An der Stalltür stand Nala mit verschränkten Armen und zusammengezogenen Augenbrauen. Ich ließ von ihrem Pferd ab und ging auf sie zu.

"Du bist also wieder im Lande. Erzähl, gibt's in Südkorea kein Netz für Telefone oder warum warst du von der Bildfläche verschwunden?"

Ich ließ mir ihre Sätze noch einmal genau durch den Kopf und auf der Zunge zergehen, ehe ich schlucken musste. Während ich in Seoul war, hatte ich eigentlich nie jemandem geantwortet oder gar die Nachrichten gelesen, außer bei meiner Familie. Alles, was einen anderen Absender besaß, klickte ich unweigerlich weg. Im Urlaub war es eine nette Entspannung gewesen, jetzt bereute ich es, dass ich es getan hatte.

"Nala, entschuldige.. Ich hab' einfach nur an den Urlaub gedacht..", kratzte ich mich peinlich berührt im Nacken, doch Nala verzog keine Mine. 

"Das kannst du ja Hades erzählen, der gerade in der Tierklinik unter dem Messer liegt", grummelte das zierliche Mädchen mich an und der Schock stand mir ins Gesicht geschrieben. Im gleichen Moment verschlug es mir die Sprache.

"Ja, du hast richtig gehört. Er wird operiert. Zeus hat ihm bei spielen das Hinterbein aufgerissen. Und ich bin mir sicher, das Hades sich gewünscht hätte, dass du an seiner Seite bist.. Aber du hast es ja nicht einmal für nötig gehalten, am Abend mal auf dein Telefon zu schauen!"

Ich hatte mich noch nie so schlecht gefühlt. Nicht nur Hades, sondern auch Nala tat mir unglaublich leid. Auch, wenn ich ebenso ein wenig enttäuscht war, dass Nala nicht einmal danach fragte, wie es mir in diesem Moment erging. 

"Es tut mir wirklich leid.. Ich hätte auf mein Handy schauen sollen.. Du hast ja recht", murmelte ich weiter und seufzte leicht aus.

"Natürlich hab' ich recht! Wie kann man nur so unverantwortlich sein?", Nala war in Rage und das war nicht unverständlich.. trotzdem musste sie wissen, dass nun auch nichts mehr zu retten war. Ich hatte nicht auf mein Handy geschaut und das war blöd von mir gewesen. Aber ändern konnte ich die Vergangenheit nun auch nicht mehr, was Nala verstehen musste.

"Ja, Nala! Ich weiß es! Du musst mich nicht noch drei Mal daran erinnern!", brabbelte ich nun zurück und krallte mich mit meinen zittrigen Fingern in der Hose fest. Ich gestand mir doch schon ein, einen Fehler gemacht zu haben. Warum musste man nun auch noch darauf herum trampeln?..

"Kein Grund mich von der Seite anzufauchen!", kam es sofort zurück geschellt und ich schluckte tief, bevor ich aus meinem Inneren heraus zu explodieren begann.

"Verdammt noch eins! Du musst mich nicht so zur Sau machen! Ich hab's kapiert! Tut mir leid, wenn deine Ferien nicht nach Plan verlaufen sind, aber das sind meine auch nicht! Aber danke, dass du danach gefragt hast, wie es mir geht, bevor du mich in Grund und Boden stampfst", bellte ich los und sah dabei zu, wie Nala immer kleiner vor meiner Nase wurde, "Ich wünsche dir noch einen schönen Tag."

Und weg war ich. Das Widerhallen der Schritte in der riesigen Stallgasse übertönten mein schweres Atmen, während ich die Flucht in mein Zimmer antrat. Die ganze Zeit über warf ich mir vor, dass es die dümmste Idee aller Zeiten gewesen war, mich hier zu verpissen und die Ferien woanders zu "genießen". Wäre ich einfach hier geblieben, wäre kein Chaos ausgebrochen, welches sich wie eine Epidemie verbreitet. Yoongi hätte sich nicht mit Lillian eingelassen und mich aus seinem Leben geworfen, Seokjin hätte meine Eltern nicht anlügen und immer ein Auge auf mich haben müssen, Chaeyoung hätte die Ferien in Ruhe alleine mit Jin genießen können, ich hätte mich um Hades gekümmert und die freien Wochen mit Nala genossen. Und Jungkook hätte nicht mit mir schlafen müssen und mein Herz wäre noch ein Ganzes und nicht in tausend kleine Teile zerbrochen. 

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