21.| Zwölf

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Steve

Sie schreit. Immer mehr. Ich sehe die Wunde am Kopf, das Messer im Bein. Mir wird schlecht und ich werde immer wütender. Eine Hand legt sich auf meine Schulter und ich sehe Danny an. Ihm stehen Tränen in den Augen. Denkt er an Grace?

,,Wir können nichts machen, Steve. Die Ortung schlägt fehl, sie haben einen Störsender drin." Ich schüttele den Kopf. Will nicht aufgeben. Ich schalte uns auf stumm, sehe weiter auf den Bildschirm, in das schmerzverzerrte Gesicht von Emely. Meiner Tochter. Ich kann kein Vater sein. Das ist unmöglich. Aber alle Aussagen sprechen dafür. Was bin ich für ein Mensch?

Jetzt fällt es mir ein. Hier irgendwo auf Honolulu ist meine Tochter gefangen. MEINE TOCHTER. Und wird gefoltert. Was mache ich hier für eine Scheiße? Warum tue ich nichts?!

,,Denkt nach, wo könnte Rico sein. Ich meine...-"
Ich sehe auf. Emely liegt schwach da. ,,Eine Lagerhalle vielleicht? Nein, zu auffällig. Danny, welche Orte könnte es noch geben?"

,,Ich denke nicht, dass sich Rico viele Gedanken über einen Aufenthaltsort gemacht hat. Denk mal nach Steve, die wissen, dass wir an eine Lagerhalle denken und sie für zu auffällig halten. Deshalb sind sie ja auch in einer!" Ich greife nach meinem Handy und rufe Kono an.

,,Was gibt's, Boss?"- ,,Klappert alle Lagerhallen hier ab. Die Zeit zwischen Entführung und Anruf beträgt eine Stunde. Ich will, dass ihr alles in dieser Entfernung absucht! Bevor wir Isabella nicht haben, geht keiner Schlafen!"- ,,Alles klar"

Danny sieht mich besorgt an. ,,Krass oder? Man hat etwas mit Menschen zu tun und erfährt auf einmal, dass man sie anders hätte kennenlernen sollen. So ging es mir mit Charlie. Hör zu, Steve. Gib Emely oder Isabella oder wie auch immer jetzt ihr Name lautet, keine Schuld. Niemand hätte es einfacher gehabt. Besonders sie hatte es am schwersten. Fakt ist, dass du jetzt keine Schwäche zeigen darfst. Wir brauchen Lieutnant Commander Steve McGarrett und kein verwirrtes, emotionales Wrack. Wir schaffen das und kriegen sie da raus- lebend!"

Noch nie war ich Danny so dankbar. Ich nicke und sammle mich wieder. ,,Chin, hast du schon etwas gefunden?"- ,,Nein, tut mir leid, Steve." Ich schließe für einen Moment die Augen und atme tief ein und aus. ,,Ganz ruhig, Steve", versucht mich Chin wieder runterzubringen.

,,RUHIG?! Chin, Emely, das Mädchen, das meine Tochter sein soll, wird gerade ohne Erbarmen gefoltert! Wie soll ich da ruhig bleiben?!", schreie ich los und entschuldige mich direkt wider. Chin winkt ab und ich bin ihm für seinen ruhigen Charakter in diesem Moment sehr dankbar.

Ich schaue wieder auf den Bildschirm und stelle uns wieder auf laut. ,,Rico, hören Sie auf damit, das hat keinen Sinn!"- ,,Natürlich hat das einen Sinn. Meine Befriedigung!" Ich beobachte, wie er auf Emely zugeht. ,,Nein, Emilio, tun Sie das nicht!", doch er hört nicht, nimmt das Messer, das noch in uhrem Bein steckt und zieht es in einem Ruck heraus. Blut quillt unaufhörlich aus ihrem Bein und sie stöhnt laut und schmerzvoll auf. Rico nimmt sich derweil ihren linken Arm und ritzt etwas hinein. Emely stöhnt immer wieder auf, zischt, beißt sich die Lippen blutig, doch gibt dem Mann nicht die Genugtuung und schreit. Als er nach wenigen Sekunden fertig ist, steht er auf und holt das Handy zu sich. Er grinst in die Kamera und gibt uns eine Aussicht auf Emelys Wunden.

Er hat die Zahl 'zwölf' hineingeritzt. Ich sehe meine Partner fragend an. ,,Euer kleines Mädchen hier ist mein zwölftes Opfer und das soll sie für immer wissen! Vorausgesehen, sie lebt dann noch" Rico lacht hässlich auf und stellt das Handy in einem anderen Winkel wieder auf.

Jetzt können wir alles noch besser sehen und ich bin mir nicht sicher, ob ich das wirklich will. Er zückt wieder das Messer und schneidet Emely viele kleine Schnitte ins Gesicht. Sie stöhnt nicht mehr. Ihr Schmerz an anderen Stellen muss zu groß sein. Als Rico die Kamera wieder in die Hand nimmt und uns alles nochmal zeigt, klingelt mein Handy. Ich stelle wieder auf Stumm und gehe ran.
,,Kono, was gibt's?"- ,,Wir habe sie"

Ich sehe auf in den Bildschirm. ,,Wir sind gleich da", antworte ich und ziehe das Telefonat auf mein Handy. Danny und ich fahren zu dem Ort, den uns Kono gegeben hat. Chin fährt hinterher.

Wir fahren etwa zwanzig Minuten über viele Waldwege und durch die Pampa, bis wir an einer kleinen, klobigen Halle ankommen. Das SWAT-Team ist schon da.

,,Sie warten auf deinen Befehl", erzählt Lou. Ich nicke, hole mein Handy hervor und setze mich ins Auto, um nicht unseren Aufenthaltsort zu zeigen. Emilio hat eine Waffe in der Hand. ,,Emilio, lassen Sie das!" Doch er lacht nur hässlig und richtet die Waffe auf sie. Drückt ab. Ein dumpfes Stöhnen. Emely hat eine Kugel im Bauch. Geschockt starre ich auf meinen Handybildschirm. Ich beobachte ihr Gesicht, wie es von geschockt zu emotionslos wechselt, wie ihr jegliche Farbe herausweicht, wie sich ihr Mund leicht öffnet, sie zu Seite sinkt.

Alles dreht sich, doch ich fange mich wieder. Ich gebe mein Zeichen, und das SWAT-Team stürmt die Halle. Ich ziehe mein Maschinengewehr und Stürze dazu. Blind vor Wut schieße ich einfach auf die Leute, die sich darin tümmeln und an der Scheiße beteiligt sind. Dann sehe ich sie.

In der Ecke liegt jemand zusammengekauert da. Ein Arm ist angekettet und hängt leblos darin. Der Rest des Körpers liegt auf dem Boden. ,,Emely!", schreie ich und Stürze zu ihr. Ich schieße auf die Ketten, welche sofort aufspringen und Emely's Arm freigeben. Ich ziehe meine Schutzweste und das T-Shirt aus, welches ich zerreiße und dem blassen, leblosen Mädchen vor mir um den Bauch und um das Bein wickle, um die Blutungen zu stoppen. Emely atmet flach und nurnoch sehr wenig.

,,Holt die Sanitäter!", schreie ich und kurz darauf kommen in Weiß gekleidete Männer, um Emely zu versorgen. Ich bleibe auf dem Boden sitzen, streiche ihr über die wirren Haare und bete zu allen erdenklichen Göttern für Emely. Isabella. Meine Tochter.

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