Kapitel 35 - Die 4. Runde

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Wie jedes Mal, wenn ich vor dem riesigen, aber doch irgendwie unspektakulären Gebäude stand, begann mein Herz zu rasen. Es war schon als Zuschauer aufregend genug, doch der Gedanke, dass ich hier heute auf der Bühne stehen würde, ließ meinen Adrenalinspiegel in die Höhe schnellen, obwohl ich es noch nicht einmal richtig realisieren konnte. Es fühlte sich an, wie ein Traum.

„Wo bleibst du denn?" Lux hielt mir die Türe auf.

Ich hatte nicht bemerkt, dass ich aufgehört hatte zu gehen, als ich in meine Gedanken versunken war. Schnell eilte ich zu ihr und ich konnte spüren, wie sich mein Herzschlag nochmal verschnellerte, als ich durch die Türe trat und die Bühne direkt vor mir sah. Mit einem tiefen Atemzug folgte ich der Gang in Richtung der Kabinen. Auf dem Weg gingen wir an Freddy vorbei, der alle Mitglieder nacheinander begrüßte.

„Na?", fragte er. „Großer Tag, was?"

Ich brachte nicht mehr als ein Nicken zustande, die Aufregung schien mir die Sprache verschlagen zu haben. „Aufgeregt?", wollte er wissen. Wieder nickte ich nur. Er klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und deutete mir den anderen zu folgen, die nicht auf mich gewartet hatten und somit schon einige Meter vor mir waren. Ich hatte Angst sie aus den Augen zu verlieren und stresste mich, so schnell wie möglich bei ihnen zu sein, dass ich beim ersten Schritt erstmal über meine eigenen Füße stolperte und mich beinahe bäuchlings auf den Boden legte, was ich Gott sei Dank noch rechtzeitig verhindern konnte. Das Lachen von Freddy, der ziemlich sicher über mich lachte, ignorierte ich. ‚Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen', wie es so schön hieß.

Ich eilte zu Cameron, der geduldig auf mich wartete und mir die Türe zu den Kabinen aufhielt. Mit einem dankbaren Lächeln schob ich mich an ihm vorbei. Lux winkte mich zu sich. Auf halben Weg warf sie mir das Gewand zu, welches sie für mich eingepackt hatte.

„Beeil dich, wir müssen auf die Bühne."

„Jetzt schon? Wie spät ist es?" Etwas verwirrt sah ich Lux an. Ich wurde umgehend nervös.

„Die Generalprobe, Dummerchen." Sie lachte. Ich atmete erleichtert auf und begann mich umzuziehen.

Die Gang bitte auf die Bühne!", hallte Freddy's Stimme durch die große Halle. Obwohl mir bewusst war, dass es bloß die Generalprobe war, wurde ich mit jedem Schritt den ich auf die Bühne zu machte nervöser und ich fragte mich, wie es mir dann am Abend gehen würde, wenn ich tatsächlich auf die Bühne musste, wenn es wirklich um etwas ging. Ich folgte meinen Freunden auf die Bühne. Die Halle war noch nicht einmal bis zu einem Viertel voll, obwohl der Wettbewerb selber erst in knapp zwei Stunden begann. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich sah mich um. Die anderen schienen komplett entspannt zu sein. Es wunderte mich nicht, immerhin standen sie nicht zum ersten Mal auf dieser Bühne. Ginger fand meinen Blick und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, das ich gezwungen erwiderte. Mit ein paar Atemzügen versuchte ich meinen Puls wieder auf ein Normaltempo zu bringen, was mir nur mittelmäßig gelang. Die ersten Töne unseres Songs erklangen. Bei den ersten Bewegungen hatte ich das Gefühl, ich wäre aus Wackelpudding, doch es legte sich schnell wieder. Die Lust und die Freunde am Tanzen übermannte mich so schnell und ich war erleichtert, als ich merkte, dass die Aufregung und Nervosität verflog. Spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem Cameron meine Hand nahm, mich zu sich zog und wir unser Duett begannen, beruhigte sich mein Herzschlag. Es war, als würde seine Ruhe und Gelassenheit in mich überfließen. Jeder Blick in seine dunkelbraunen Augen schien mich mehr zu beruhigen. Ich fühlte mich wohl in seiner Nähe. Wieder einmal bemerkte ich die Harmonie zwischen uns. Es war tatsächlich so, als würden wir seit Ewigkeiten miteinander tanzen.

Im Hintergrund nahmen die anderen ihre Posen ein, ehe sie kurzzeitig mit in den Tanz einstiegen und unser Duett im Vordergrund unterstrichen. Und dann kam der Moment. Die letzte Drehung, die letzte Pose, bei der Cameron seinen Arm um meine Taille gelegt hatte und dieser eine letzte intensive Blick in die Augen des anderen. Wir entfernten uns voneinander. Die Generalprobe war also ein voller Erfolg.

Nachdem wir uns verbeugt hatten verschwanden wir so schnell wie möglich von der Bühne, um den nächsten Platz zu machen. Von hinten klopfte mir JJ auf die Schulter. „Du warst großartig." Ich lächelte ihm dankbar zu. Die Erleichterung überkam mich, als wir in der Kabine standen und auch der Rest von uns mit Komplimenten um sich warf. Und als Cam dann auch noch stolz einen Arm um meine Schultern legte, machte mein Herz einen kleinen Sprung. Lux grinste mich von der Seite, wie sie es immer tat, wenn Cameron und ich uns näherkamen. Zum ersten Mal verdrehte ich nicht die Augen, wenn sie das tat, sondern grinste mindestens genauso breit zurück. Cam winkte die anderen zu uns. Gegenseitig legten wir uns im Kreis die Arme um die Schultern und steckten in der Mitte die Köpfe zusammen.

„Bald ist es soweit", sagte er. „Seid ihr bereit?"

„Sowas von", grinste Brian.

„Und wie", sagte Sammy.

„Na sicher." Lux war Feuer und Flamme.

„Und was ist mit dir?" Er sah mich an.

„Klar." Ich nickte. „Ich bin bereit."

Er ließ seinen Blick durch die Runde schweifen, ehe er den Kreis auflöste. „Na dann, Leute. Auf geht's."

Die Stunde des Auftritts kam mir viel zu schnell. Aufgeregt tänzelte ich auf der Stelle. Nur keine Panik. Ich konnte mich kaum auf die anderen Tänzer und Tänzerinnen konzentrieren, ich war viel zu nervös.

Wir wurden aufgerufen. Mein Magen zog sich zusammen und meine Lunge fühlte sich an, als wäre sie auf die Hälfte geschrumpft, sie war wie zugeschnürt. Egal wie sehr ich mich auch bemühte, es gelang mir nicht, tief ein- und aus zu atmen. Mein Herz raste. Automatisch wurde mir übel. Ich schaffte es nicht einmal das Lächeln von Lux zu erwidern. Die Aufregung hatte mich wie gelähmt. Erst der leichte Stoß von Ginger hinter mir, ermutigte mich den anderen vor mir auf die Bühne zu folgen und mich nicht einfach umzudrehen und zu kneifen. Als wir in das Licht der Scheinwerfer traten und Freddy von der Moderatorenkabine noch einmal ein paar Worte zu der Gang äußerte, tobte das Publikum. Vorsichtig richtete ich meinen Blick gerade aus. Mir blieb für einen Moment die Luft weg. Ich sah in gefühlt hunderttausend Gesichter, die alle darauf warteten uns tanzen zu sehen. Ich konnte es nicht glauben. Ich hatte es geschafft. Ich stand tatsächlich hier oben, auf der Bühne des bekanntesten Tanzwettbewerbs New Yorks, mit einer Tanzgruppe, die die ganze Stadt kannte. Erst jetzt bemerkte ich wie feucht meine Hände waren. Das Herzklopfen in meine Brust ließ nicht nach, auch nicht, als die Musik anfing zu spielen. Jetzt gab es kein zurück mehr. Ich konnte nur hoffen, dass meine ersten Bewegungen nicht so wackelig aussahen, wie sie sich anfühlten. Die Aufregung legte sich nicht so schnell wie bei der Probe, aber doch, wodurch ich mich gleich lockerer fühlte. Ich machte eine Drehung in die Mitte der Bühne, als Cam mir schon seinen Arm entgegenstreckte und meine Hand nahm. Das Kreischen und Klatschen des Publikums war plötzlich wie ausgelöscht, als hätte jemand die Lautstärke auf null zurückgedreht. Es gab nur noch den Moment. Cameron und mich. Unser Duett. Die Harmonie. Und diese Ruhe, die ich mit jeder Berührung von ihm immer mehr in meinem Körper spüren konnte. Es war einer dieser Momente, an denen ich mir wünschte, ich könnte ihn in Dauerschleife erleben und nie wieder etwas anderes tun. Doch leider verging genau dieser Moment viel zu schnell. Die letzte Drehung, die letzte Pose, bei der er mich ungewöhnlich nah zu sich zog, der letzte Blick in die Augen des anderen. Intensiver als sonst.

Erst nachdem die Musik verstummt und das Kreischen und Klatschen wieder eingesetzt hatte, entfernten wir uns voneinander. Langsam. Es war vorbei. Dabei hatte ich gerade angefangen mich auf der Bühne wohlzufühlen. Ich ergriff Camerons linke und Lux' rechte Hand. Wir verbeugten uns tief, ehe wir unseren Blick nach hinten richteten, wo nun die Jury von den Scheinwerfern beleuchtet wurden, sich berieten und langsam ihre Entscheidung trafen. Ich war kurz davor wegzusehen, als ein Jurymitglied ein Schild hervorsuchte und die Dame neben ihm skeptisch eine Augenbraue hob. Doch als sie sich dann zunickten und ihre Schilder hochhielten, fiel mir ein Stein vom Herzen. Zwei achten, ein sechser und einmal leider nur eine vier. Machten trotzdem stolze 26 Punkte. Wir waren weiter. Für einen Moment beschleunigte sich mein Herzschlag wieder, ehe sich die pure Erleichterung in mir breitmachte. Ich genoss noch einen kurzen Moment den Applaus, dann verließen wir die Bühne, wo die nächste Gruppe schon auf ihren Auftritt wartete.

Kaum waren wir in der Kabine, zog mich Lux in eine Umarmung. „Du warst großartig!" Sie sah zwischen Cameron und mir hin und her. „Ihr wart großartig!"

Ich warf ihm einen stolzen Blick zu, ehe ich ihm meine Hand entgegenstreckte. „Ein Hoch auf die beste Tanzpartnerin, die ich je hatte", sagte er, bevor er einklatschte. Er wandte sich an die anderen und grinste stolz. „Ich denke, das muss gefeiert werden."

Because I Dance (Fortsetzung von Born to Dance)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt