„Vollmond."
Die Art und Weise wie sie dieses Wort aussprach, ließ mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
„O-okay, und?" fragte ich sie.
„Der Vollmond hat etwas majestätisches, findest du nicht?"
„Kann schon sein." Ich steckte meine Hände in die Hosentaschen und zuckte mit den Schultern. Ihre Faszination schien für mich unergründlich.
„Von hier, kann man ihn leider fast nicht sehen. Aber in der Stadt gibt es ein Motel. Ein einziges Zimmer besitzt einen Balkon. Dort ist man dem Mond so nahe, das man das Gefühl hat, man könnte ihn zu fassen bekommen, wenn man seine Hand in den Himmel streckt." Sie streckte ihren Arm in die Luft, als könnte sie es bildlich vor sich sehen.
Ein Lächeln umspielte meine Lippen. Es war beinahe unglaublich, wie sehr sie sich für solch belanglos wirkende Dinge begeistern konnte.
„Und du hast das Glück, dass du dort hin darfst." Ihre Worte lösten Verwunderung in mir aus.
„Wie, ich darf dort hin?"
Sie antwortete nicht gleich. Sie drehte ihren Kopf, als hätte sie etwas gehört, oder als wäre sie auf der Suche nach etwas. Oder jemanden. „Harold meinte, er möchte dir etwas Gutes tun. Damit du auch mal wieder etwas anderes siehst, als die Bäume des Morienwaldes."
„Es geht mir gut. Ich brauche das nicht. Der Mond ist mir herzlich egal."
„Es ist ein Geschenk von Harold. Du musst gehen."
Ich überlegte. Harry hatte mir bereits klar gemacht, dass alles nach seiner Pfeife zu tanzen hatte.
„Er mag dich sehr und ich weiß, dass du ihn auch magst." Ein breites Lächeln trat auf ihre Lippen. „Verärgere ihn nicht."
„Wann reiten wir los?"
„Am besten noch vor der Dämmerung. Also schon bald. Aber Louis...ich komme nicht mit dir."
Ausdruckslos sah ich sie an. „Warum nicht? Auf dem Balkon ist sicher Platz für zwei."
Sie zog ihre Lippen zu einer schmalen Linie. „Es ist ein Geschenk an dich und nicht an mich."
Ich war verwirrt, doch Coroline gab mir nicht die Chance weiter mit ihr darüber zu sprechen, denn mit einem Mal drehte sie sich um und war verschwunden.
Die Dämmerung brach langsam herein und ich war noch immer nicht aufgebrochen.
„Du bist noch hier?" Ich schauderte. Die plötzliche emotionale Kälte schien sich auf die Raumtemperatur zu übertragen.
Ich drehte mich um. Harry stand regungslos vor mir. Er wirkte anders, als heute Morgen. Er sah müde aus. Seine Wangen waren leicht eingefallen und ein blauer Schatten lag unter seinen Augen.
„Ich wollte gerade aufbrechen."
Er nickte schwach und drehte sich von mir weg. Meine nächsten Worte ließen ihn inne halten. „Ich werde zu Fuß gehen."
Er wirbelte einen kalten Windhauch auf, als er sich rasend schnell wieder umdrehte. „Ich möchte nicht, dass dir etwas passiert, Louis." Seine Stimme wurde weicher und lieblicher. Ein Ausdruck echter Besorgnis lag in seinem Gesicht.
„Wird es nicht", lächelte ich.
Finster sah er mich an. Der Lockenkopf trat auf mich zu. Seine, von den Durchblutungsstörungen, kalten Finger, legte er an meine Wange. „Sei vorsichtig" hauchte er. Es fühlte sich so an, als hätte er gerade federleicht meine Stirn geküsst. Doch noch bevor ich mir wirklich sicher sein konnte, befreite er mich aus seinem Griff und war verschwunden. Ich fasste mir an meine Stirn. Sie war deutlich kühler als sonst.
Es waren weitere Stunden vergangen, bis ich mich endlich auf den Weg machte. Nur langsam trugen mich meine Beine vorwärts. Leichte Nebelschwaden krochen über den Boden. Ich blieb stehen und richtete meinen Kopf dem Himmel entgegen. Es war eine kühle, aber sternenklare Nacht. Der Mond stand bereits fast an seinem höchsten Punkt. Er schien unglaublich hell. So hell, dass ich in seinem Licht, einen Schatten warf.
Ich war noch nicht weit gekommen. Noch immer konnte ich das Schloss deutlich hinter mir erkennen.
Vor mir, der Wald.
Düster und drohend ragte er in die Nacht.
Vielleicht war es doch keine sonderlich gute Idee, zu Fuß zu gehen. Aber so hatte ich genügend Zeit und Ruhe, um meine Gedanken zu sortieren.
Ich nahm meinen Weg wieder auf.
Ich stapfte gemächlich vor mich hin, als der Wind einen langen schrillen Schrei zu mir trug. Während ich in meiner Bewegung erstarrte, drang ein zweiter Schrei bis an mein Ohr. Dieser war noch lauter und kräftiger als der erste. Dann trat Stille ein. Nur mehr das Rascheln der Blätter über mir war zu hören.
Ich war mir sicher, dass eine Frau diesem Schrei seinen Klang verlieh.
Panik machte sich in mir breit. Ohne weiter darüber nachzudenken setzte ich mich in Bewegung. Der Wind war schneidend, als ich mit schnellen Schritten zurück zum Schloss rannte. Meine Gedanken drehten sich um Coroline. Sie war in Gefahr, dessen war ich mir sicher.
Schwungvoll stieß ich die Tür auf. Ich trat nicht über die Türschwelle. Mein Selbsterhaltungstrieb kämpfte gegen meinen Willen ihr zu helfen. Doch ich musste. Sie würde dasselbe für mich auch tun.
Ich stand im großen Eingangsbereich. Es war niemand zu sehen oder zu hören.
Dong.
Dong.
Dong.
Die schwere Pendeluhr schlug Mitternacht.
Ich biss die Zähne zusammen und lief zur Treppe. Ich nahm immer gleich zwei Stufen auf einmal, um so schnell wie möglich zu Corolines Zimmer zu gelangen.
Die Tür war nur angelehnt. Ich drückte mit meiner Hand dagegen. Mit einem Knarren öffnete sie sich.
Mein Atem stockte. Ich schlug mir die Hand vor den Mund, um einen aufkommenden Schrei zu unterdrücken.
Die Wände waren von riesigen Furchen überseht, die wie Kratzspuren aussahen. Zersplittertes Mobiliar lag zerstreut auf dem Fußboden. Die Vorhänge hingen nur noch in Fetzten von der Decke. Sonst war der Raum leer.
Es machte den Eindruck, als hätte hier drin ein gnadenloser Kampf stattgefunden. Oder als wäre in diesem Raum irgendetwas eingesperrt gewesen, dass um jeden Preis hinaus wollte. Tränen kamen mir bei dem Gedanken an die kleine zierliche Coroline, wie sie versucht, sich gegen Harry zur Wehr zu setzen. „Oh Harry, was hast du nur getan?" wisperte ich tränenerstickt. Ich entdeckte kein Blut, was mich hoffen ließ.
Ich drehte mich um, um den grausamen Schauplatz zu verlassen. Da traf mein Blick auf ein wütend aufgerissenes Augenpaar.
Doch dieses Augenpaar war nicht schwarz, sondern scharlachrot.
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Der Graf || Larry Stylinson
FanfictionSeine langen Finger umschlossen meine Handgelenke. Er drückte mich gegen den Baum. Er kam meinem Nacken immer näher. Ich fühlte seine kalten Lippen, wie sie, auf der Suche nach meiner Halsschlagader, über meine erhitzte Haut glitten.