Ich war in meine Traumwelt eingetaucht. Die Kälte verschwand und ich fühlte mich wie in Watte gepackt. Jeglicher Schmerz war verstummt. Doch dieses Gefühl der Glückseligkeit hielt nicht lange an. Die Wölfe holten mich wieder zurück ins Hier und Jetzt. Sie stießen einen kläglichen Laut aus. Es klang wie ein verängstigtes Winseln. Sie sprangen zurück auf alle Viere. Ein erneutes winselartiges Geheul ertönte, ehe sie allesamt von dannen zogen.
Dies konnte nur eins bedeuten: Ein noch größeres uns mächtigeres Tier war im Anmarsch.
Ich drückte mich noch dichter an den Baum. Versuchte eine Einheit mit ihm zu bilden, um für den Neuankömmling unsichtbar zu werden. Der letzte Rest an Adrenalin, den mein Körper noch zur Verfügung hatte, wurde ausgestoßen und beschleunigte meinen Herzschlag.
„Louis?" Es war Harrys tiefe Stimme die an mein Ohr drang.
Ich hielt mich am Stamm fest und bog mich leicht aus dem Geäst. Meine blutenden Hände schmerzten unter dieser Anstrengung.
Harry stand am Fuße des Baumes, wo kurz zuvor noch die Scharr an Wölfen ruhte und sah zu mir hoch.
„Louis" sagte er samtig. „Du musst herunterkommen, Bitte." Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, ich war zu weit oben. Aber die Verzweiflung in seiner Stimme war kaum zu überhören. Er klang den Tränen nahe.
„I-ich k-kann nicht" stotterte ich. Die Kälte ließ meine Zähne klappern. „Ich..ich habe Angst."
„Das kann ich verstehen. Glaube mir. Aber bitte, ich flehe dich an. Lass mich dich wenigstens noch in Sicherheit bringen und dann verschwinde ich, du musst mich nie wieder sehen." Zum ersten Mal sprach Harry unglaublich schnell. Die Ruhe war verschwunden. Seine Worte sprudelten wie ein Wasserfall aus seinem Mund.
„I-ich ha-habe keine Angst vor d-dir" hörte ich mich sagen. „I-ich habe Angst z-zu fallen." Ich wurde so leise, dass die letzten Wörter selbst für mich kaum zu hören waren. Doch Harry schien mich verstanden zu haben.
„Dann komme ich zu Dir hoch." Ich bildete mir ein, so etwas wie Erleichterung in seiner Stimme zu hören.
„Nein Harry, die Äste sind viel zu dünn und porös" versuchte ich ihn aufzuhalten.
Doch kaum hatte ich es fertig ausgesprochen, war er auch schon bei mir. Leichtfüßig balancierte er auf einem Ast, der nur halb so breit war, wie der auf dem ich zusammengekauert saß. Ich nahm meine Finger von dem Baumstamm weg und versteckte sie hinter meinem Rücken. „I-ich.. ich blute."
„Ich weiß", antwortete er. „Das war unser Glück."
Ich verstand nicht was er mir sagen wollte, musste jedoch auch nicht nachfragen, da er bereits weiter sprach.
„Deine Spuren waren überall im Wald verteilt. Ich dachte ich würde dich nicht mehr rechtzeitig finden. Aber dann habe ich dein Blut gerochen."
Harry trat von seinem Ast auf meinen. Dieser bog sich keinen Millimeter unter dem weiteren Gewicht durch. Es war als würde Harry nichts wiegen. Er ging in die Hocke. Meine Augenlider flackerten, als ich versuchte ihn anzusehen.
Tiefe Risse, die schwarz schimmerten, verliefen von seiner linken Schläfe, über sein Auge, bis hin zu seiner Wange. Coroline musste ihn verwundet haben.
Schwach streckte ich meine Hand nach ihm aus, ich wollte seine Verletzungen berühren. Stoppte jedoch, als mir wieder einfiel, dass ich blutete. „Hat sie dir sehr wehgetan?" fragte ich leise. Nur noch ein schwacher Nebelhauch entstand, als ich sprach, so heruntergekühlt war mein Körper bereits.
„Nicht mehr, als sonst auch." Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen, dass seine schwarzen Augen zum Funkeln brachten. Eine Weile betrachtete er mich nur, bis er wieder zu sprechen begann. „Ich werde jetzt meine Arme nach dir ausstrecken. Bitte erschrecke dich nicht. Ich möchte dich nur nach unten tragen. Ist das in Ordnung?" Eindringlich sah er mich an. Ich nickte. Ich war zu schwach, als das meine Beine mich hätten tragen können.
Harry zog mich in seine Arme und drückte mich an seinen Oberkörper. Sie lagen kaum merklich um meinen Körper. Er schien darauf bedacht zu sein, mir keine weiteren Schmerzen zu zufügen. Seine Haut war, trotz meiner Unterkühlung, immer noch etwas kälter als die meine, aber sie brachte mich nicht zum Frösteln.
Mit Leichtigkeit erhob er sich und stieg ohne Schwierigkeiten und mit mir in seinen Armen, den Baum hinunter. Die Blätter strichen sanft über meine Arme. Die letzten Meter sprang er. Die Landung war so sanft, dass ich nahezu nichts davon mitbekam.
Ich fühlte keine Bewegung. War Harry stehen geblieben? Ich hob meinen Kopf an, welchen ich die gesamte Zeit über in seiner Halsbeuge verborgen hielt. Die Bäume, welche schnell vorüber zogen, symbolisierten mir, dass der Schein trügte und wir nicht stehen geblieben waren. Harrys Bewegungen waren so gleichmäßig, dass ich nicht das Gefühl hatte, durch den Wald getragen zu werden. Ich fühlte mich, als würde ich bereits in meinem Bett liegen. Er hielt mich so ruhig in seinen Armen, dass kein Stoß oder Dämpfer zu mir drang. Als ich kurz zu ihm aufsah, sah ich, dass sein Blick auf mich gerichtet war. Er konnte nicht sehen wo er hin trat und dennoch bewegte er sich so schnell und zielsicher über den tückischen Boden, ohne zu stolpern.
Meine Augenlider wurden wieder schwer. Meine Erschöpfung hatte mittlerweile ihr volles Ausmaß erreicht. Ich konnte nichts mehr um mich herum wahrnehmen. Alles zog an mir vorüber, ohne dass ich Notiz davon nahm.
So kam es, dass mir entging, wie Harrys sonst so leichtfüßige Bewegungen immer schwerfälliger wurden. Mühselig zog er seine Füße aus dem nassen verschlammten Boden. Seine Atmung ging nur mehr stoßweise und war schnell zu einem erstickten Keuchen mutiert. Ich fühlte jede Kontraktion seiner arbeitenden Muskeln. Der Wind war nicht mehr so schneidend, was bedeuten musste, dass wir langsamer wurden. Ich drückte mich fester an Harry. Ich fühlte seine Haut.
Seine warme Haut.
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Der Graf || Larry Stylinson
FanficSeine langen Finger umschlossen meine Handgelenke. Er drückte mich gegen den Baum. Er kam meinem Nacken immer näher. Ich fühlte seine kalten Lippen, wie sie, auf der Suche nach meiner Halsschlagader, über meine erhitzte Haut glitten.