„Die Männer in Weiß?" fragte ich ihn atemlos.
Harry zog seine vollen Lippen zu einer schmalen Linie und nickte schwach.
Ohne weiter darüber nachzudenken stand ich auf und ging zu ihm. Ich ließ mich neben ihm nieder und strich beruhigend über seinen Rücken. Unter meiner Berührung schloss Harry seine Augen.
„Die Nummer, die du gesehen hast..." setzte der Lockenkopf wieder an.
„Du wusstest, dass ich sie gesehen hatte?"
Ein schwaches Lächeln, das seine Augen nicht erreichte, trat auf seine Lippen. „Natürlich."
Ich schluckte. „Was hat sie zu bedeuten?"
„Ich war Gefangener Nummer 289. Gleich nachdem sie mich in Ketten gelegt hatten, haben sie mir diese Nummer eingebrannt."
Die Nacht in der Coroline bei mir geschlafen hatte, kam mir in den Sinn. Aber warum? Ich durchforstete meinen Kopf nach Informationen. Meine Suche blieb vergebens.
„W-wer sind die Männer in Weiß?"
„Sie gehören einer Institution an. Hoch oben im Norden Englands. Sie haben vor Jahrzenten diese Mutation entdeckt und es sich als Aufgabe gemacht, uns vor den Menschen geheim zu halten. Anfangs haben sie uns einfach vernichtet. Sie haben uns bei vollem Bewusstsein verbrannt. Doch irgendwann hatten sie eine Heilmethode entdeckt."
„Eine Heilmethode? Wie darf ich mir das vorstellen?" fragte ich Harry.
„Sie haben mir monatelang Quecksilber intravenös verabreicht. Es hemmt die Mutation."
Vor Entsetzten öffnete ich meinen Mund. Doch ich fand keine Worte, mit denen ich meine Wut hätte bekleiden können. Ich ballte meine Hand, die auf Harrys Rücken lag zu einer Faust. Ein Zittern konnte ich nicht unterdrücken. Mir war nicht kalt. Ich war wütend. Harry schien mein Frösteln falsch zu deuten. Er nahm die Decke und wickelte mich noch stärker darin ein. Er rutschte ein Stück weg, um mich durch seine niedrige Körpertemperatur nicht noch zusätzlich zum Frieren zu bringen.
Er sah mich mitleidig an. „Das reicht vermutlich fürs Erste." Harry wollte sich schon erheben, doch ich hielt ihn zurück. „Bitte sprich weiter."
Er sah mich aus seinen dunklen Augen an und schien zu überlegen. Es war unsagbar leise geworden. Das Knistern des Holzes war verstummt. Harry nahm seine Erzählung nicht wieder auf. Also bog ich mich zu ihm und nahm seine kalten Hände in meine.
„Für dich gab es keine Heilung mehr, oder?"
Harry nahm seine Unterlippe zwischen seine Zähne. „Anfangs hatte die Behandlung angeschlagen..." er entzog mir seine Hände. „...doch irgendwann hat mein Körper damit begonnen das Quecksilber zu absorbieren. Als ich es bemerkte, versuchte ich ihnen vorzuspielen, dass die Behandlung weiter anschlägt. Aber es hat nicht lange gedauert und sie hatten meine List durchschaut." Harrys Hand begann zu zucken, weshalb ich sie wieder in die meine nahm und sanft Druck ausübte. „Sie waren schon dabei mich in den Raum mit den Brennöfen zu zerren, da gelang mir, in meinem Moment der Unachtsamkeit, die Flucht." Ich atmete erleichtert aus. Obwohl es Schwachsinn war, ich wusste, dass Harry es überlebt hatte, immerhin saß er direkt vor mir. Doch sein verletzter Gesichtsausdruck, gepaart mit dem Bild der, in seiner Haut eingebrannten, Nummer, rissen mich mit sich, als wäre ich ein Teil dieser Geschichte gewesen. Ich konnte ihn deutlich vor mir sehen. Schwach, verängstigt, gefesselt wie ein Tier und unzählige Nadeln in seinen Venen, wie er um sein Leben fleht. Welches ihm sein Vater bereits vor Jahren genommen hatte.
Ich fühlte Harrys Hand an meinem Gesicht, wie sie kaum merklich eine Träne wegstrich. „Und seitdem stecke ich zwischen beiden Welten fest. Dem menschlichen und der der lebenden Toten."

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Der Graf || Larry Stylinson
Fiksi PenggemarSeine langen Finger umschlossen meine Handgelenke. Er drückte mich gegen den Baum. Er kam meinem Nacken immer näher. Ich fühlte seine kalten Lippen, wie sie, auf der Suche nach meiner Halsschlagader, über meine erhitzte Haut glitten.