Alte Heimat

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Mittlerweile waren wir bei Leon Zuhause angekommen. Joachim hatte mich ganz erfreut begrüßt und trotz allem, war er wie ein Vater für mich. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie Leon mich ihm vorgestellt hatte und er einfach kurzerhand beschlossen hatte mich bei sich aufzunehmen. Joachim war ein liebenswürdiger Mann und nur durch ihn bin ich die geworden, die ich heute war. Ich hatte dieser Familie so viel zu verdanken.

Marlon war bei seiner Freundin, Leon jedoch war von seiner getrennt. Die beiden hatten sich zuletzt nur gestritten und sie fing an ihn anzuschreien. Das erzählte mir Leon auch einfach mal so nebenbei, als hätte es ja sonst auch keine Bedeutung. Als wir uns etwas zu Trinken geholt hatten gingen wir in sein Zimmer um in Ruhe reden zu können. ,,Warum hast du mir nichts davon erzählt?", fragte ich ihn dann als ich hinter mir die Tür geschlossen hatte. Er setzte sich auf sein Bett mit seinem Glas in der Hand und ich setzte mich an seinen Schreibtisch und stellte mein Glas Cola ab. ,,Weil selbst mein Vater noch nichts davon weiß. Wir sind erst seit ein paar Tagen getrennt." Ich nahm einen Schluck und fragte dann: ,,Wie lange ward ihr zusammen?" ,,Über ein Jahr.", meinte er dann. ,,Und wie geht es dir damit?" Er trank einen Schluck und sah mich dann an. ,,Es geht. Man hat zum Ende hin schon gemerkt, dass es eigentlich keinen Sinn mehr hatte aber es schmerzt trotzdem." Ich nickte. ,,Wenn sie nochmal bei dir ankommen würde, würdest du sie dann zurück nehmen?" Leon sah mich etwas verdutzt an. ,,Warum fragst du mich das?" ,,Nur so.", antwortete ich schnell. Ich hatte zwar eigentlich einen Hintergedanken dabei, doch der konnte nicht richtig sein. Ich dachte an Raban. Seit Jimi weg war hatte ich mich immer mehr in meinen Gedanken mit Raban beschäftigt und hatte mir auch genau die Frage gestellt: Würde ich es nochmal mit ihm versuchen? Ich war überrascht von mir selber: ich konnte mir selbst keine Antwort geben. Es ging einfach nicht. Dafür war ich mir zu unsicher. Dabei war das schon beinahe eine Ewigkeit mit Raban und mir vorbei und er hatte mir so weh getan.

Leon schluckte und meinte dann: ,,Um ehrlich zu sein glaub ich, dass einfach zu viel passiert ist, als das wir nochmal eine vernünftige Beziehung führen könnten. Dafür sind einfach zu viele üble Dinge gesagt worden, die mit Sicherheit aus der Situation heraus gesagt wurden, doch ich denke genau das sind die Wahrheiten gewesen." Ich nickte. Wenn man danach ging hatten Raban und ich definitiv keine Zukunft. Aber warum dachte ich da überhaupt drüber nach? Ich war mit Jimi zusammen! Glücklich! Wieso dachte man dann an seinen Ex?

,,Und wie läuft es bei dir und Jimi?", riss mich die Stimme von Leon wieder aus meinen Gedanken. ,,Äh, ganz gut. Das Zusammenwohnen klappt gut und wir verstehen uns. Streitereien gibt es eigentlich kaum welche, nur..." Ich machte eine kurz Pause. ,,Nur ich hätte mir mehr Beistand von ihm gewünscht als das mit Luke war." Leon nahm sein Glas. ,,War er denn nicht für dich da?" Er nahm einen Schluck aus seinem Glas. Ich schaute auf meine Hände. ,,Nein. Er hat mich ignoriert in der Zeit und mir nur vorgehalten, dass er mich ja gewarnt hätte." Erst jetzt sah ich meinen Adoptivbruder an. Sein Blick drückte Fassungslosigkeit aus. ,,Bitte? Warum hast du nichts gesagt? Wir wären sofort für dich da gewesen." Ich nickte leicht. ,,Das weiß ich. Aber es ging mir sowieso nicht gut und ich wollte einfach allein sein und damit klar kommen." ,,Wie geht es dir jetzt?" Ich antwortete nicht sofort. Was sollte ich ihm nun erzählen? Die Wahrheit? Dass ich selbst nicht wusste was mit mir los war, dass ich heute Morgen zu ausgerastet war und einen Spiegel zersplittern lassen hatte? Dass ich in den Spiegel geschaut hatte und mich nicht mehr leiden konnte?

,,Hey, du schaust so nachdenklich aus." Ich sah meinen Bruder an. Mit Tränen in den Augen. Verflixt, was sollte das? Immer dieses sentimentale...Ich hasste es an mir! Ständig musste ich heulen und konnte die Tränen nicht zurück halten. ,,Was ist mit dir? Komm her." Leon zog mich an meinem Arm zu sich. Ich setzte mich widerwillig neben ihn aufs Bett. ,,Leon, ich weiß nicht was zurzeit mit mir los ist. Heute morgen war ich total apathisch. Ich saß auf der Treppenstufe und hab einfach...nichts getan. Ich hab überlegt was wohl passiert, wenn ich die Treppen runter springe und ob es einen Unterschied macht wenn ich springe oder mich einfach fallen lasse." Leon sah mich total perplex an. ,,Was geht da oben in deinem Kopf vor?" Ich zuckte mit den Schultern. ,,Danach bin ich ins Schlafzimmer gerannt. Ich saß vorm Spiegel und hab mich angesehen. Mich von oben bis unten gemustert und bei dem Anblick in das verheulte Gesicht von mir bin ich total wütend geworden. Ich wollte mich nicht mehr in dem Spiegel sehen und hab einen Hausschuh geworfen. Das Glas ist dabei kaputt gegangen und ich weiß noch nicht wie ich das Jimi erklären soll." Eine Weile sagte Leon nichts. Mir liefen die Tränen mittlerweile an den Wangen hinunter. Selbst Leon fand dafür keine Worte und hielt mich einfach in seinem Arm. Er wiegte mich hin und her und ich vergrub mein Gesicht in seine Schulter. Endlich konnte ich mich einer Person anvertrauen. Warum gelang mir das nicht bei Jimi? So offen redete ich nur mit Leon. Irgendwann fand dann auch der Blonde seine Sprache wieder: ,,Ich glaube, du hast einfach zu viel durchgemacht in letzter Zeit. Das hast du nicht vernünftig verarbeiten können und nun macht dich das total fertig." ,,Aber Leon, mir geht es doch eigentlich gut. Ich habe einen Freund der sich um mich kümmert, ich habe eine eigene Wohnung mit diesem Freund, ich habe Essen und Trinken und ich kann eventuell bald wieder zur Schule gehen und einen vernünftigen Abschluss machen. Was will ich denn mehr? Ich habe gar keinen Grund so komisch zu sein." Sanft strich er mir über den Kopf. ,,Du musstest dafür einen geliebten Menschen verabschieden. Das kann eine Menge ausmachen." Leon wusste ebenfalls nichts von Monika. Vielleicht war es an der Zeit auch endlich mal darüber zu reden. Leon dachte, dass ich zu viel Stoff verpasst hatte weil ich irgendwann als die Sache mit Luke war so oft geschwänzt hatte. Ich seufzte. ,,Leon, da ist noch was." Ich erzählte ihm alles von den Drohbriefen, die ich am Anfang bekommen hatte und wie mich dann Monikas Clique und sie selbst mich fertig gemacht hatten. Dass öfter meine Reifen vom Fahrrad aufgeschlitzt worden sind und auch das mit Nicholas. Auch das mit Raban erzählte ich ihm. Sowohl das in der Schule, als auch das von den letzten Tagen. Natürlich gehörte auch die Geschichte damit zu, wie ich dann in der Klasse ausgerastet war und Monika verletzt hatte und weshalb ich dann wirklich nicht mehr zur Schule gegangen war. ,,Nur deshalb war ich heute da. Mir wurde ein Schulverweis erteilt, doch ich habe meinem Direktor alles erzählt und ihm die Beweise für meine Aussage gegeben. Jetzt kann ich nur abwarten was bei der Konferenz rauskommt.", beendete ich meine Erzählung dann. Leon nahm sein Glas und trank aus. Dann stand er auf.

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