Zwischenfälle

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Wir sahen uns an. Die ganze Zeit. Keiner sagte was. Mein Vater sah so aus, als würde er mir gleich sofort an die Gurgel springen, ohne jegliche Diskussionen geführt zu haben. Luke legte seine Hände zusammen, dann umschloss er jeweils die eine mit der anderen Hand und legte sie auf den Tisch. Er räusperte sich und fragte ruhig: ,,Was hast du dir dabei gedacht?" Überhaupt nicht begeistert und abneigend entgegnete ich: ,,Wobei? Das ich abgehauen bin oder dass ich bei einem Jungen übernachtet habe, den du nicht kennst?" ,,Beides.", meinte er in einem strengeren Ton. Ich lehnte mich nach vorne. ,,Ich habe mir dabei gedacht, dass ich einfach nur weg wollte. Weg von dir!" Mein Gegenüber schüttelte fassungslos den Kopf. ,,Weißt du eigentlich, was da hätte passieren können?!" Ich nickte und gab unbegeistert zurück: ,,Ja. Ich hätte gekippnet und schlimmsten Falls getötet werden können. Vielleicht hätte ich auch von einem Auto angefahren werden können." ,,Sag mal, begreifst du eigentlich noch irgendwas? Du hättest tot sein können, Ich habe mir verdammte Sorgen gemacht!" Luke wurde schon etwas lauter. Ich blieb noch ruhig, aber sprach provokant: ,,Ja, wäre mir nämlich was passiert, hättest du das Jugendamt auf dem Hals gehabt und hättest wahrscheinlich eine Strafe bekommen, wegen Verletzung der Aufsichtspflicht." ,,Ach hör doch auf. Das ist ja lächerlich! Mir ging es um dich! Um dich verdammt nochmal!" Er wurde immer lauter. Jimi tat mir leid. Er musste das alles so mitbekommen. Es war mir schon fast peinlich, aber mit ihm fühlte ich mich einfach sicherer.

,,Nur das du es weißt; ich werde nicht hier bleiben. Ich wollte dir nur zeigen, dass ich lebe und das es mir gut geht. Ich gehe wieder mit Jimi." Luke lachte hämisch. ,,Das wirst du ganz sicher nicht. Du bleibst hier." ,,Nein werde ich nicht!" Ich wurde immer selbstsicherer. Meine Aussage hörte sich bestimmend an. Mein Vater beugte sich zu mir rüber und sagte in einem warnenden Ton: ,,Du weißt aber schon, wie alt du bist, wie alt ich bin und wer das Sorgerecht hat." Auch ich lehnte mich wieder vor. ,,Ja das weißt ich. Ich bin 15, fast 16. Du bist 39. Und das Sorgerecht hast nicht nur du, sondern auch Joachim!" Luke sprang auf und kam mir gefährlich nahe. ,,Werd nicht frech meine Liebe! Sonst kannst du was erleben!" ,,Ach, meinst du, ich hab jetzt angst vor dir oder was?!" Plötzlich ging alles schnell. Mein Vater packte mich am Kragen, zog mich halb über den Tisch und langte zu. Ich ging sofort zurück und hielt mir die Wange. Jimi kam sofort zu mir. ,,Hey, alles ok?" Er klang wieder besorgt. Ich nickte. ,,Gibg mir 5 Minuten. Ich packe meine Sachen. Dann können wir wieder verschwinden." Ich wollte an meinem Vater vorbei, in mein Zimmer, aber er hielt mich zurück. ,,Du gehst nirgendwo hin!" Er war wutentbrannt. Ich erkannte ihn gar nicht mehr wieder. Wieder erhob er seine Hand, doch diesmal konnte ich rechtzeitig handeln; ich schlug ihm in die Magengrube und Luke krümmte sich vor Schmerzen. Schnell flüchtete ich in mein Zimmer und holte mir meinen Rucksack aus der Ecke. Ich packte ein paar Kleidungsstücke, meine Waschtasche und mein Ladekabel zusammen, stopfte sie in den Rucksack, nahm mir noch meine Schultasche, packte diese zusammen, damit ich alles für die Schule hatte, und ging hastig wieder an meinem Vater vorbei. Er versuchte wieder mich zurück zu halten indem er mich am Arm packte. ,,Lass mich los!", rief ich. Er hörte nicht und zog mir an meine Haare. Ich schrie auf vor Schmerzen. ,,Du bleibst hier!" Jimi ging diesmal dazwischen. Er war stärker als Luke und befreite mich aus seinen Griffen. Luke versuchte wieder an mich ranzukommen. Das reichte Jimi. Er schubste meinen Vater zurück und schlug mit seiner Faust zu.

Ich hielt mir die Hände vors Gesicht. ,,Oh mein Gott, Jimi!" Er ging nicht weiter drauf ein. Er legte seine Hand auf meine linke Schulter. ,,Komm, wir gehen." Damit ging er vor. Ich sah nochmal zu Luke. Dieser sah uns mit bösen Blicken hinterher und versuchte das Blut seiner Nase zu stoppen. Dann ging ich dem Jungen hinterher und schloss die Tür hinter mir. Wir packten meine Sachen auf die Rückbank und stiegen vorne ins Auto. Jimi schmiss den Motor an und fuhr los.

,,Alles ok mit dir?" Jimi sah mich mit besorgten Blicken an, als er bei einer Ampel halten musste. Ich nickte nur und schaute stur geradeaus auf die Straße. Das, was da gerade passiert war, kam mir nicht real vor. Ich konnte das nicht fassen. Das kam mir vor, wie in einem schlechten Film. Warum rastete mein Vater bloß so schnell aus in letzter Zeit? Er war nicht immer so. Sonst konnte man immer in Ruhe mit ihm reden. Was war bloß geschehen, dass er jetzt so reizbar war? War ich wirklich so schwierig? Oder nervte es ihn einfach, dass er jetzt mehr Verantwortung tragen musste, als ihm lieb war? Das waren wohl Fragen, die nur er mir beantworten könnte, was er aber nie tun wird.

Das neue LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt