Verschlafen stand ich mit meinen Schlafsachen bekleidet im Flur und wartete auf Jimi. Er musste heute schon sehr früh los und er wollte mich eigentlich weiterschlafen lassen, doch ich bestand darauf, dass ich mich noch von ihm verabschiedete. Das hatte ich jetzt davon: ich war hundemüde, gähnte in einer Tour und zitterte am ganzen Körper vor Kälte. Die Tür stand auf und ließ die kalte Winterluft rein.
Jimi kam gerade mit zwei braunen Taschen bepackt zu mir. ,,So ich müsste jetzt eigentlich alles haben." ,,Du bist doch nur eine Woche weg." Er stellte seine Taschen ab und kam zu mir. Dann nahm er mein Gesicht in seine Hände. Ich umfasste seine Hände mit meinen. ,,Ja, das stimmt schon, aber trotzdem will ich ausgestattet sein." Er zog mich zu sich und gab mir einen Kuss. Eine Ewigkeit hätte ich so verweilen können. Doch er war etwas unter Zeitdruck und deshalb blieb mir der Moment nicht so lange erhalten. Er ließ von mir ab und sagte noch immer nah meinem Gesicht: ,,Pass auf dich auf." Zum Schluss gab er mir einen Kuss auf die Stirn und wandte sich dann wieder seinen Taschen zu. Er nahm diese und lief zu seinem Auto, um die Taschen in den Kofferraum zu verfrachten. Ich stand derweil an der Haustür und zitterte immer mehr. Jimi schloss den Kofferraum und kam nochmal zu mir. ,,Tschüss mein Schatz. Wir sehen uns in einer Woche." Wir gaben uns einen Kuss und bevor ins Auto stieg sagte ich noch: ,,Fahr vorsichtig! Und schreib mir, wenn du angekommen bist." Er versicherte mir noch, dass er auf jeden Fall schreiben würde und stieg dann ins Auto. Erst nachdem das Auto von der Auffahrt und um die Ecke gefahren war, zog ich mich wieder ins Haus zurück. Ich sah auf die Uhr. 6:02. Verdammt, das war viel zu früh. Doch schlafen konnte ich jetzt bestimmt nicht mehr. Ich ging in die Küche, stellte den Wasserkocher an, holte eine Tasse aus dem Schrank, tat einen Pfefferminzteebeutel hinein und setzte mich dann an den Küchentisch. Vielleicht sollte ich gleich meine Oma anrufen. Die war immer um 5 Uhr wach.
Nach ein paar Minuten war das Wasser gekocht und ich goss es in meine Tasse. Danach musste ich fünf Minuten warten. Währenddessen machte ich mir ein Toast mit Leberwurst. Dies aß ich nebenbei. Ich wusste nicht wieso, aber ich starrte einfach an die Schränke der Küche und dachte nach. Ich dachte an Jimi und ob er auch wirklich heile ankam und an Raban, wie es ihm jetzt wohl erging obwohl es nur zwei Tage her war, dass wir uns gesehen hatten. Dann dachte ich an später, wie ich in die Schule gehen würde um mit meinem Lehrer zu sprechen. Und ich dachte daran, dass ich noch eine...eine Beerdigung organisieren musste. Davor sträubte ich mich am aller meisten und doch war es die Sache, die ich als erstes machen würde.
Nachdem ich mein Toast aufgegessen und meinen Tee ausgetrunken hatte begab ich mich ins Bad. Lustlos und irgendwie nicht gut drauf kämmte ich mir meine Haare und putzte mir die Zähne. Nach einer viertel Stunde war ich fertig. Mühevoll ging ich die Treppen hoch und bei der Vorletzten setzte ich mich hin. Ich hatte keine Erklärung dafür, warum ich das tat. Ich saß einfach da und sah hinunter. Überlegungen, ob es nicht vielleicht sinnvoll war sich fallen zu lassen oder gar zu springen schwirrten mir durch den Kopf. Daraufhin schüttelte ich mich und stand schlagartig wieder auf. Was war bloß mit mir los? Was waren das bitte für Gedanken? Schnell ging ich in das Schlafzimmer und riss mir förmlich die Kleider vom Leib, bis ich nur noch in Unterwäsche dort stand. Ich betrachtete mich im Spiegel, der an der Wand auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes stand. Diese Person die ich da sah mochte ich nicht. Sie hatte Augenringe und war blass. Sie hatte keinen Grund so auszusehen! Es ging ihr doch gut! Sie hatte einen Freund, der sich um sie kümmerte und sie hatte Essen und Trinken. Was also war daran schuld, dass sie so aussah? Es war Schwäche! Verdammt! Ich war so unglaublich schwach. Ich fing an zu heulen. Ich heulte und sah mich dabei im Spiegel. Das war das Schlimmste, was jemand sehen konnte; sich selbst, während man weinte. Bei diesem Anblick fing ich nur noch fürchterlicher an zu weinen und sank dabei zu Boden. Wie konnte ein Mensch nur so schwach sein, der dafür gar keinen Grund hatte? Ich sah den Hausschuh von Jimi neben mir. Ich wollte diese Person im Spiegel nicht mehr sehen und mit diesem Gedanken griff ich diesen Schuh und feuerte ihn mit voller Wucht gegen diesen Spiegel ohne weiter darüber nachzudenken. Natürlich zersplitterte das Glas und es gab ein lautes Klirren. Kurz sah ich zu Boden, doch dann blickte ich wieder auf. Im Spiegel war ich immer noch zu erkennen, doch nicht mehr so detailreich wie vorher. Man sah das Gesicht nicht mehr deutlich und damit auch die Tränen und die Schwäche nicht.
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Das neue Leben
FanfictionDie Fortsetzung von ,,Beziehungsstress und Familiengeheimnisse" Ronja ist nun bei ihrem Vater. Sie hatte ein neues Leben angefangen. Die ersten Tage in der neuen Schule waren nicht gerade die Besten und sie vermisste ihre Brüder und besonders Raban...