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Ein paar Wochen später ...

Liv lebt mittlerweile mit Leon im Rudelhaus. Alara und Kieran tollen immer noch gern zusammen durch den Wald und Liv hatte keine Probleme mit dem Werwolfdasein. Jede freie Minute verbringen die beiden zusammen, Leon klebt förmlich an Liv - was ihr seltsamerweise nichts ausmacht - früher mochte sie nie, wenn ein Mann klammerte. Mio hatte ihr erklärt, dass das bei Mates ganz normal ist. Seit einigen Tagen arbeitet Liv bei Konstantin in der Arztpraxis, die für Menschen und Wölfe da ist.

Liv versucht sich aus Leons Umarmung zu lösen, schafft es aber nicht. "Leon, ich hab Hunger und muss zur Arbeit" - "Noch fünf Minuten" - "Nein" - "Mein Herz, lass mich nicht allein", schmollt Leon, lässt sie aber los. Er dreht sich auf den Bauch und sieht ihr zu, wie sie sich anzieht. Liv wirft ihm seine Boxer ins Gesicht. "Da, ich glaube, du musst auch arbeiten". Leon steht auf und schliesst wieder seine Arme um sie. Er legt sein Gesicht in ihren Nacken und atmet tief ein. "Ich hasse das", grummelt er. "Leon", seufzt Liv auf, wird aber gleich darauf innig geküsst, was sie zu Wachs in seinen Händen macht. "Liv, kommst du?", ruft Konstantin von unten. "Ja, wenn du nicht gestört hättest", murmelt Leon und Liv lacht laut los. "Abends bin ich wieder da, Leon. Sieh zu, dass du auch deine Arbeit erledigst und dann hast du mich das ganze Wochenende für dich". Sie gibt ihm noch einen flüchtigen Kuss, läuft nach unten, nimmt ihre Tasche und sucht Konstantin, der bereits am Auto steht. "Wird das eigentlich irgendwann mal leichter?", fragt sie ihn seufzend, doch Konstantin lacht nur. "Vielleicht ... in ein paar hundert Jahren", zwinkert er ihr zu und fährt vom Hof. "Darf ich dich was fragen?" - "Ja, klar" - "Wie alt bist du eigentlich" - "Jünger als die meisten hier. Ich bin 193 Jahre alt". Liv schweigt nachdenklich. Als sie in der Praxis ankommen, hält Konstantin sie zurück. "Was ist los, Liv?" - "Ach, ich weiß auch nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das ist ... ich mein, dass die Eltern sterben ist ja klar, aber meine Freunde, deren Kinder und so ... das ist doch deprimierend" - "Deshalb hast du ja auch dein Rudel, das mit dir gemeinsam fast unsterblich ist" - "Fast?" - "Ja, fast" - "Erklärs mir" - "Nein, Liv, das ist Leons Aufgabe" - "DU bist der Arzt und für sowas zuständig" - "Und ER ist dein Mate und der Alpha. Solche Sachen stehen mir nicht zu. Jetzt komm, die Arbeit wartet".

„Konstantin, ist Olivia bei dir?" – „Ja, ist sie – nicht bei mir im Raum, aber in der Praxis" – „Bring sie SOFORT in unser Versteck!" – „Was ist los?" – „Wir haben ein Problem an der Nordgrenze. Nimm sie und pass auf sie auf, ich komm sobald wie möglich" – „Ist gut, Alpha".
Konstantin steht auf und geht zu Liv ins Labor. „Komm, du musst hier weg" – „Aber die Patienten von heute Nachmittag ...?" – „Die sind unwichtig. Komm jetzt!". Er zieht sie von ihrem Tisch weg, wirft ihr ihre Jacke zu und geht mit festen Schritten zur Tür. „Konstantin!" – „JETZT KOMM ENDLICH!" Erschrocken sieht sie ihn an, so hat er sie noch nie angefahren. Sie huscht durch die Tür, die er ihr aufhält und wartet dann auf ihn. „Zum Auto". Konstantin ist sehr kurz angebunden, seine Blicke wandern durch die Gegend und durchforsten die ganze Umgebung, auch als er schon fährt, behält er alles im Blick. „Würdest du mir jetzt bitte mal sagen, was das soll?", fragt Olivia leicht genervt. „Ich führe nur Befehle aus" – „Ab..." – „Sei still jetzt, ich muss mich konzentrieren!" Fassungslos schaut Liv Konstantin an, dann dreht sie sich von ihm weg und sieht aus dem Fenster. Nach einiger Zeit bemerkt sie, dass aus einer Seitenstraße zwei weitere Fahrzeuge zu ihnen stoßen, von denen sich eins vor sie setzt. Sie dreht sich kurz um und sieht Mio am Steuer des Autos hinter ihnen. „Jetzt komm ich mir vor wie im Krimi", murmelt sie. „Nein, meine Liebe, das ist unser Leben", antwortet Konstantin jetzt etwas entspannter. „Kannst du mir jetzt sagen, was los ist?" – „Wenn wir in unserem Versteck sind, Luna" – „Nenn mich nicht Luna" – „Du bist meine Luna", seufzt Konstantin. „Warum nicht gleich?" – „Weil ich immer noch konzentriert bleiben muss und das geht nicht, wenn ich mit dir rede" – „Wohl nicht multitaskingfähig, Doc?", stichelt Liv und Konstantin grinst kurz. Aufmerksam betrachtet sie die Umgebung, in die er sie bringt. Sie fahren immer tiefer in ein Gebirge, das ungefähr eine Stunde von der Stadt entfernt liegt. Irgendwann biegt er ab und Liv stockt kurz der Atem, als sie vor sich ein wundervolles Panorama sieht, doch lange kann sie es nicht bewundern, weil sie sofort in einen Wald eintauchen. „Ich hoffe, ich kann dir vertrauen, das ist ja voll gruselig hier", sagt sie nach einer Weile leise. Konstantin wirft ihr kurz einen Blick zu. „Ernsthaft? Du kannst Leon jederzeit zu Hilfe rufen, das weißt du. Ich wäre nicht bei dir, wenn ER mir nicht vertrauen würde" – „Ja, ich weiß. Entschuldige. Aber das ist so ... finster hier, nur Schatten und Bäume, durch die man den Himmel nicht mal sieht". Sie zieht ihre Jacke enger um sich und beobachtet, wie das Auto vor ihnen in einen kleinen Weg abbiegt, während sie selber auf der Straße bleiben und erst nach längerer Fahrt ebenfalls von der Straße fahren. "Es dauert nicht mehr lange", sagt Konstantin leise. Und tatsächlich bleibt er nach kurzer Zeit stehen. "Jetzt musst du ein bisschen laufen, Liv". Er nimmt ihre Hand und zieht sie durch das dichte Brombeergestrüpp, das vor ihnen liegt. "Wo seid ihr?", hört er seinen Alpha. "Fast da. Ich seh den Eingang schon" - "Gut. Seid vorsichtig!" - "Liv ist nicht sehr erfreut, dass ich sie quasi entführt habe". Leon lacht auf. "Glaub ich, ich erklärs  euch später. Und jetzt sei wieder wachsam, du hast das Kostbarste bei dir, was ich besitze".

Konstantin bleibt vor einem Felsen stehen und schiebt das Gebüsch, das vor ihm liegt, zur Seite. Liv sieht eine Öffnung darin und schaut ihn entsetzt an. „Ich soll da rein?" – „Ja" – „Nein!" – „Liv, du musst ..." – „Ich muss gar nichts". Sie beginnt zu zittern und schnell zu atmen. „Scheiße", murmelt Konstantin und nimmt sie schnell in die Arme. „Alpha, hilf mir. Liv beginnt grad zu hyperventilieren. Hat sie irgendwie Probleme mit Höhlen?" – „Ich weiß nicht ... so gut kenne ich sie ja noch nicht. Ich versuch sie zu beruhigen".
„Olivia? Mein Herz", beginnt er sanft. „Du musst in diese Höhle, du bist sonst nicht sicher" – „Ich kann das nicht" – „Warum?" – „Ich weiß es nicht ... ich konnte noch nie in Höhlen atmen, bekomme Angstzustände, mein Herz klopft wie wild und ich fühle mich, als ob alles auf mich einstürzt" – „Olivia, Konstantin ist bei dir, er wird dir helfen. Lass dir die Augen verbinden und dich von ihm führen. Im Inneren ist es keine Höhle mehr, du wirst dich fühlen wie in einem Haus. Aber du musst da rein, mein Herz, bitte" – „Ich kann nicht" – „Olivia, atme! Langsam ... ein ... und aus". Konstantin, der alles mit angehört hat, legt seine Hände auf ihre Oberarme und atmet im gleichen Rhythmus mit. Langsam, sehr langsam beruhigt sie sich ein wenig, doch sie zittert immer noch und Tränen laufen ihr übers Gesicht. „Gut, meine Königin. Tino wird dir jetzt die Augen verbinden und dich hineinführen und du atmest so ruhig wie möglich weiter". Konstantin schaut ihr fragend in die angsterfüllten Augen und wartet, bis sie nickt. Dann nimmt er seinen Schal ab und verbindet ihr die Augen. „Atmen nicht vergessen, Luna", sagt er leise, greift nach ihrer Hand und führt sie Richtung Höhleneingang. Er merkt, dass sie wieder stärker beginnt zu zittern und streicht sanft mit seinem Daumen an ihrer Hand auf und ab. „Du schaffst das, mein Herz. Weißt du, dass ich Tino im Moment am liebsten den Kopf abreißen würde, weil er dich so berührt?". Dieser schnaubt kurz, macht aber unbeirrt weiter, er merkt, dass Liv immer noch mit sich zu kämpfen hat. „Als ich das erste Mal für längere Zeit in dieser Höhle war, war Winter. Damals war ich noch ein Jungwolf. Wir hatten Mühe, den Eingang freizumachen, aber meine Mutter und meine Schwester mussten da rein. Ich verstand nicht, warum ich nicht mit meinem Vater sein durfte sondern mit den Frauen mit musste. Im Inneren der Höhle war es relativ warm, ich finde es heute noch faszinierend, dass im Berginneren immer eine konstante Temperatur herrscht. Ein paar der anderen Frauen waren schon da und hatten im Hauptraum ein Feuer entfacht, an dem wir uns wärmen konnten. Damals waren die Winter noch kalt und schneereich. Wir waren fast vier Wochen in dieser Höhle, bis uns mein Vater endlich holen konnte. Er hat mir dann auch erklärt, warum ich mich verstecken musste. Eigentlich habe ich gehofft, dass wir diese Höhle nie wieder brauchen werden. Konstantin – wie weit seid ihr?" – „Wir stehen im Hauptraum, ich wollte dich nicht unterbrechen" – „Gut. Mein Herz? Bereit, dich umzusehen?" – „Nein, nicht wirklich, Leon" – „Nimm ihr den Schal ab, Tino!" Konstantin tritt hinter Liv und öffnet den Knoten. Sie hält den Schal noch vor ihren Augen fest und schüttelt den Kopf. „Meine Königin! Sieh dich um, auch das ist dein Reich!"

Leon & Liv   -   Eine WerwolfgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt