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Liv genießt die nächsten Tage mit langen Spaziergängen am Strand. Greta ist oft mit ihr unterwegs und die beiden Frauen haben sich angefreundet. Manchmal ist sie auch allein, lässt ihren Blick über das Meer gleiten, beobachtet die Möwen und denkt nach. „Olivia?", ruft Stefano von der Veranda aus nach ihr. Sie dreht sich um und winkt. „Sie fahren los". Liv weiß, was das bedeutet. Langsam macht sie sich auf den Weg zum Haus. Ist sie überhaupt bereit für eine Aussprache? Wie wird es ihr gehen, wenn Leon vor ihr steht - der Mann, der alles für sie ist, der Mann, der sie mehr verletzt hat als sie ertragen kann? Sie holt sich eine Decke und setzt sich darin eingewickelt in einen Stuhl auf der Terrasse. Sie will nicht im Haus sein mit ihm. Greta bringt ihr eine große Tasse Tee und bleibt bei ihr. „Wie geht es dir?" - „Ich weiß nicht ... einerseits beschissen - ich möchte ihn eigentlich gar nicht sehen - andererseits sehne ich mich so sehr nach ihm". Greta sieht sie wissend an. "Diese Bindung hat schon was teuflisches an sich, oder? Ich bin ja ein Mensch, Liv, ich habe lang dagegen angekämpft, aber sobald ich mich von Stefano mitreissen ließ war alles gut. Ich wollte das nicht, die Markierung und so, und er hat mir Zeit gelassen. Er war wirklich sehr geduldig mit mir. Vielleicht solltest du dich tatsächlich nochmal darauf einlassen, dich fallenlassen und abwarten, wie er dich auffängt. Sei einfach mal der schwache Part und lass Leon zeigen, was in ihm steckt wenn er kämpfen muss! Ich geh jetzt wieder rein, aber Alerio, Stefano und ich sind für dich da, wenn du uns brauchst, ja?" Sie nimmt Liv kurz in die Arme und geht ins Haus.

Liv spürt die Anwesenheit Leons schon, bevor er auf die Veranda tritt. Er geht langsam zu ihr und zieht sich einen Stuhl vor sie. Er will nach ihrer Hand greifen, doch sie zuckt zurück. "Okay ... das hab ich wohl verdient", murmelt er und fährt sich durch die Haare. "Olivia? Schau mich bitte an". Sie zögert lange, doch als sie in seine Augen sieht, trifft sie seine Liebe mit voller Wucht, während er nur Schmerz erkennen kann. "Scheiße! Olivia, bitte, es tut mir leid, es tut mir unglaublich weh, dass du so leidest wegen mir. Ich ... ach Mist, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Du bist meine Königin und sollst auch so behandelt werden. Ich hab keine Ahnung, was da in mich gefahren ist, aber ich schäme mich dafür, abgrundtief. Ich würde das so gern ungeschehen machen. Ich weiß, dass du mir das wahrscheinlich nicht glauben kannst, aber du fehlst mir so sehr. Ich vermisse dein Lachen, deine Berührungen, deine Gedanken, deinen Duft, dich. Ich wünsche mir nichts mehr, als dich wieder an meiner Seite zu haben, Olivia". Liv senkt den Kopf, sie hat Tränen in den Augen und hat gesehen, dass auch seine Augen wässrig sind. "Warum?" - "Ich weiß es nicht, Olivia. Ich hab wirklich keinen blassen Schimmer, was mich da geritten hat. Ich mein, mir war ja bewusst, dass ich dich jedes Mal verletze, aber ich kann es nicht erklären, weil ich es selbst nicht verstehe. Jedem anderen hätte ich vermutlich den Kopf abgerissen, aber bei mir hat sich das Hirn ausgeschaltet". Sie schweigen sich an, Liv spürt seinen Blick, der sie warm einhüllt. "Olivia ... bitte, red mit mir", flüstert er irgendwann. Sie zuckt mit den Schultern. "Was soll ich denn sagen?" - "Keine Ahnung - schrei mich an, wirf mir Wörter an den Kopf - irgendwas. Alles ist besser als dein Schweigen" - "Lass uns ein bisschen gehen" - "Okay".

Sie schlendern nebeneinander am Strand, Liv hält immer etwas Abstand zu Leon, was ihm zu schaffen macht. Sie ist so nah bei ihm, aber doch ferner als jemals zuvor. Plötzlich bleibt sie stehen. "Leon?"- "Ja" - "Du hattest mir schon mal versprochen, mich nie mehr wegzustossen, weißt du noch? Aber du hast es wieder getan. Ich weiß nicht, ob ich dir glauben kann, ob ich dir vertrauen kann, ob ich deine Nähe wieder zulassen kann" - "Ich hatte auch gesagt, dass ich dir nicht versprechen kann, dass wir nie streiten" - "Leon! Das ist nicht nur ein Streit, du bist fremdgegangen, nicht nur einmal, du hast mich bewusst verletzt und betrogen, dir war völlig egal wie ich mich fühlte. Jeden verdammten Abend, manchmal auch tagsüber, hast du andere Frauen gevögelt, trotz meiner Vergangenheit hast du genau das Gleiche gemacht! Marco - bei ihm wusste ich lange nichts, ich war dumm und hab es nicht gemerkt ... aber bei dir - jeder Fick war wie ein Dolchstoß und ich dumme Kuh konnte mich nicht mal von anderen Männern in den Arm nehmen lassen, die mich trösten wollten, weil es sich einfach nicht richtig angefühlt hat. Ich hatte immer dich im Hinterkopf, Leon, jeden Tag und jede Nacht, und es hat mich kaputt gemacht". Ihre Stimme bricht und sie schüttelt den Kopf. "Nein, ich kann nicht mehr. Ich will lieben und geliebt werden, mit Höhen und Tiefen, aber immer auf Augenhöhe, mit beidseitigem Nehmen und Geben" - "Das will ich doch auch", sagt Leon leise, "mit dir, mein Herz" - "Ich glaube, du bist nicht fähig zu lieben, Leon. Du ziehst nur deinen Nutzen aus den Personen um dich herum". Nachdenklich geht Liv weiter, Leon bleibt noch kurz stehen, dann läuft er ihr nach. Er greift nach ihrem Handgelenk und dreht sie zu sich. Bevor sie sich wehren kann, presst er seine Lippen auf ihre. "Ich werde dir zeigen, wie sehr ich liebe, mein Herz. Bitte, lass es zu! Wenn ich dir nochmal Schmerz zufüge, helfe ich dir dabei, die Bindung zu lösen - aber, bitte, gib mir diese Chance, Olivia. Bitte". Er legt seine Stirn an ihre und schließt sie langsam in die Arme. "Bitte", haucht er, entfernt sich etwas von ihr und will ihr in die Augen sehen. Blass steht sie vor ihm, zitternd, die Augen geschlossen, mit Tränen auf den Wimpern. Er hebt die Hand und streicht ihr zärtlich über die Wange. "Ich brauche dich, mein Herz, ohne dich ist alles sinnlos". Jetzt bricht Liv weinend zusammen, er fängt sie auf und gemeinsam gleiten sie in den Sand. Er hält sie fest, wiegt sie sanft in seinen Armen und murmelt immer wieder in ihr Haar. "Ich liebe dich, Olivia, ich liebe dich so sehr". Nach langer Zeit hebt er sie hoch und trägt sie zurück ins Haus, wo er sie auf das Sofa legt, zudeckt und sich vor ihr auf den Boden setzt. Er hält ihre Hand fest und spielt mit ihren Fingern. "Ich bin so bescheuert. Wie kann man seiner Frau nur so wehtun", sagt er leise und schaut ihr fest in die Augen. Liv zweifelt immer noch, das sieht er, aber er glaubt, auch einen Hauch Hoffnung zu spüren.

Leon & Liv   -   Eine WerwolfgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt