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Zwei Tage später steht Alerio vor Liv im Wohnzimmer. "Lass uns etwas am Strand spazieren gehen, Olivia". Sie nickt und holt sich eine Jacke, dann gehen sie nach draußen. Schweigend schlendern sie eine Weile nebeneinander her, bis er das Wort ergreift. "Ich persönlich bin ja der Meinung, dass es immer einen Grund gibt, warum man diese Bindung hat, man muss ihn vielleicht suchen, aber da ist einer. Olivia, was Leon dir angetan hat ist unverzeihlich, so geht man mit keiner Frau um, egal ob seelenverwandt oder nicht. Erzähl mal von eurer ersten Begegnung" - "Das war auf seinen Grundstück. Ich hatte Streit mit meinem Freund, den ich beim Fremdgehen erwischt hatte und bin weggelaufen. Irgendwann sass ich auf dieser Bank und fühlte mich beobachtet. Als ich aufstand und weggehen wollte, stand er plötzlich hinter mir" - "Und was verbindest du mit dieser Erinnerung?" Sie überlegt. "Macht. Er strahlte unglaubliche Macht aus. Kälte, die aber irgendwie nicht mir galt. Er jagte mir einen Schauer nach dem anderen über den Körper nur durch seine Anwesenheit. Seine Augen, die mich durchdrangen und bis auf den Grund meiner Seele blickten". Nachdenklich sieht er sie an. "Gar nichts positives?" - "Doch ... ich fühlte mich trotzdem gut aufgehoben" - " Erzähl weiter" - "Naja, er hat mich mitgenommen ins Rudelhaus, weil ich nicht wusste wohin. Am nächsten Morgen hab ich Frühstück gemacht und mich gut mit seinen Freunden verstanden. Bis er kam war es eine fröhliche Runde. Dann hat er sie weggeschickt und mir erzählt, wer oder was sie sind. Da bin ich das erste Mal geflohen, aber er hat mir Linus hinterhergeschickt, der mich zurückgeholt hat" - "Du wolltest nicht bleiben?" Liv schüttelt den Kopf. "Nein", flüstert sie. „Dann hat er mich markiert und ich fiel in Ohnmacht, tiefen Schlaf? Keine Ahnung wie man das nennt – zwei Tage lang war ich weg. Und als ich wieder da war, passierte es das erste Mal und ich wollte schon da die Bindung lösen. Aber Tino hat mit mir herausgefunden, dass ich auch zu einem kleinen Teil ein Werwolf bin und so wurde mir geraten, Leon auch zu markieren" – „Er ist, nachdem du aus dem Schlaf erwacht bist, gleich mit einer anderen ins Bett?", fragt Alerio entsetzt nach. „Ja, wir hatten Streit, weil er Menschen als weniger wert betrachtet als Wölfe und ich ja auch einer bin. Alpha Alerio, es ist noch viel passiert, und immer, wenn ich nicht bei ihm war, hat er mir weh getan, noch viel mehr halte ich nicht mehr aus. Es kostet mich unglaublich Kraft, hier zu sein und dir das zu erzählen, ihn aus meinen Gedanken herauszuhalten und trotzdem mit den anderen Kontakt zu halten. Er war von Anfang an so ... besitzergreifend. Der einzige, der mich berühren durfte, war Tino. Manchmal braucht man aber eine Umarmung. Marie war da immer für mich da, selbst bei ihr hat er sich aufgeregt. Als ich entführt wurde, hat er mich abgeblockt. Ich hätte ihn so sehr gebraucht, aber er redete sich ein, ich wäre freiwillig bei meinem Ex und als sie mich da rausgeholt hatten, hat er mich verbannt. Erst als ich in einer anderen Stadt untergetaucht bin und sein Rudel mir folgte, fing er irgendwann an nachzudenken und hat mich gesucht.Weißt du, immer wenn er da ist, geht es mir gut, aber gleichzeitig weiß ich, dass es nicht lange dauert, bis ich wieder verletzt werde. Ich habe ihm immer vertraut, obwohl er mir immer wieder Schmerzen zugefügt hat, aber er hat mir nie vertraut, er hat sich immer auf diese Matebindung verlassen. Klar, er hat gekämpft, aber sobald er sich meiner wieder sicher war, fiel er wieder in sein altes Muster – ER hat recht, ER bestimmt, ER ist unfehlbar, alle Fehler die er macht, sind durch die Schuld von anderen". Sie stockt und setzt sich in den kalten Sand, den sie durch ihre Finger rieseln lässt. Alerio lässt seinen Blick übers Meer schweifen und denkt lange nach.

„Ich denke, genau das ist deine Aufgabe, Olivia – du sollst ihm zeigen, dass er nicht unfehlbar ist, dass auch er Fehler macht und die zugeben kann und muss. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber ich würde gern noch seine Sicht der Dinge hören und ich möchte, dass ihr eine letzte Aussprache habt, bevor ich dir helfe, den letzten Schritt zu gehen, wenn du das dann immer noch willst. Als Alpha und Wolf blutet mir das Herz, wenn du das tatsächlich machst, als Mann und Mensch verstehe ich dich sehr gut. Ich sehe und spüre deine Verzweiflung, du bist eine tolle Frau und solltest nicht so leiden – aber trotzdem bitte ich dich um diesen Gefallen – rede nochmal mit ihm, ein allerletztes Mal, und dann entscheide weise, mit Kopf und Herz". Nach einer Weile steht Liv auf, klopft sich den Sand von der Hose und sieht Alerio fest in die Augen. „Okay" – „Ja?" – „Ja, ich rede nochmal mit ihm" – „Gut, das beweist, wie stark du bist, Olivia. Aber zuerst rede ich mit ihm. Darf ich ihn dann hierher bringen?" – „Warum fragst du, das ist euer Haus?" – „Du solltest entscheiden, in welcher Umgebung du ihn sehen willst – im Wald, in der Stadt, im Rudelhaus, hier oder ganz woanders". Sie überlegt kurz. „Doch, hier ist ganz gut, ich fühl mich wohl hier" – „Gut. Ich fahre jetzt gleich zu ihm. Ich werde Stefano Bescheid geben, wenn wir losfahren, dann kannst du dich mental etwas vorbereiten. Ob das allerdings heute, morgen oder später ist kann ich dir nicht sagen" – „Das ist schon in Ordnung, Alpha Alerio" – „Du bist eine unglaublich starke, empathische, herzliche und noch dazu wunderschöne Frau, Olivia. Er wäre dumm, wenn er nicht um dich kämpft. Ach – und bitte, lass das Alpha. Ich bin Alerio, nur Alerio, ja?" Liv lächelt und nickt. Gemeinsam gehen sie zurück zum Haus und Alerio verschwindet gleich wieder nach draußen, um nach Hause zu fahren.

Leon & Liv   -   Eine WerwolfgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt