Was real war und was nicht konnte nicht jeder unterscheiden. Manche Welten schienen zu verschwimmen. Egal ob es sich um Träume handelte oder um Wünsche, um die Monster, die in dunklen Schlafzimmern lauerten und sich dann doch als allbekannter Wäschestuhl entpuppten. Meine Welten konnte ich klar auseinanderhalten, aber die dunkle Seite verschwand nicht plötzlich, wenn ich das Licht anschaltete. Sie blieb, sie verfolgte mich und sie war ganz und gar nicht surreal. Ich hatte mir auf dem kurzen Rückweg in die Innenstadt mit dem Bus viele Gedanken darüber gemacht, was Noah erzählt hatte. Ich war unzufrieden mit seiner knappen Antwort. Er konnte doch nicht alles auf dieses lächerliche Phänomen schieben, das nicht einmal genau auf meine Situation zutraf. Natürlich wusste ich, dass ich träumte, aber ich konnte meine Träume nicht kontrollieren, wie ich es wollte. Ich konnte nicht selbst bestimmen, was passierte oder wo ich landete. Und vor allem erklärte dies nicht, warum ich die Wunden, die ich mir in der Traumwelt zugetragen hatte, auch mit in meine tatsächliche Welt nahm. Das alles machte für mich keinen Sinn. Ich musste Noah noch einmal sprechen. Er konnte mich doch nicht einfach so hängen lassen, auch wenn er mich gar nicht kannte. Aber wie er mich angesehen hatte, wie er so nervös und wütend auf meine bloße Anwesenheit reagierte, musste er noch etwas verbergen. Das konnte ich spüren, ebenso wie ich auch eine gewisse Verbundenheit spürte. Ich hatte das merkwürdige Gefühl, dass ich ihn schon immer kennen würde, obwohl das natürlich völliger Schwachsinn war. Ich hatte ihn zuvor noch nie gesehen, dessen war ich mir sicher.
Bevor ich mir länger darüber Gedanken machen konnte, erblickte ich auch schon die kleine Pension von Miss Fraser, die gerade vor dem Haus dabei war die zahlreichen Blumenkübel zu bewässern. Sie liebte anscheinend rosa Geranien, denn jeder einzelne Topf war voll damit. Ich musste zugeben, dass der gesamte Eingangsbereich fantastisch duftete und dafür sehr wahrscheinlich die Blumen zuständig waren. Und insgeheim hatte ich mir schon immer viele Blumen im Vorgarten gewünscht, aber mein Vater hatte einfach keine Zeit für solche Kleinigkeiten, die ihm eigentlich auch nicht wichtig vorkamen. Miss Fraser blickte auf als ich den Kiesweg betrat und die kleinen Steine unter meinen Schuhsohlen knirschten.
"Hallo Liebes, wie war dein kleiner Ausflug mit Henry? Er ist ja ohne dich zurückgekommen. Ist etwas zwischen euch vorgefallen?", fragte die alte Dame in einem besorgten Unterton, den sie wohl am besten beherrschte. Ich schüttelte lächelt den Kopf und warf einen raschen Blick auf den roten Motorroller, der hinter der Hausecke hervorschaute.
"Es ist alles in Ordnung, Miss Fraser. Henry hat mir nur einen Gefallen getan und mich zu Noah gefahren", erwiderte ich freundlich und griff nach der Türklinke.
"Ach, mein guter Junge. Ein wahrer Gentleman ist er, nicht wahr?", Miss Fraser lächelte schief, wandte sich von mir ab und schien demnach keine Antwort zu erwarten. Sie setzte ihre Gießkanne an und kümmerte sich weiterhin um ihre Geranien. Ich schüttelte kurz verwundert den Kopf und schlich schnell durch das Haus, um Henry möglichst nicht zu begegnen. Es war mir irgendwie peinlich, wie das Aufeinandertreffen mit Noah abgelaufen war. Ich konnte nicht einschätzen, was er von mir hielt. Er konnte immerhin das ganze seltsame Schauspiel beobachten und wurde anschließend hektisch von Noah rausgeschmissen. Ich huschte an der Küchentür vorbei, die einen kleinen Spalt geöffnet war. Henry stand am geöffneten Kühlschrank und konnte mich so nicht sehen. Doch wie es kommen musste, trat ich auf eine knarzende Treppenstufe. Ich hörte wie der Kühlschrank zufiel und rannte die Treppen hoch zu unserem Zimmer. Nun musste er mich wirklich für verrückt halten.
Auf dem Bett lag ausgestreckt Caty, Helen zippte mit der Fernbedienung durch die Kanäle des Kabelfernsehers. Als ich die Tür hinter mir zuknallte, schauten sie beide rasch auf.
"Wie ist es gelaufen?", rief Helen und sprang vom Sessel auf.
"Du schaust aus, als hättest du einen Geist gesehen. Was ist passiert?", fragte Caty gleichzeitig.
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Hinter dem Nebel
Fantasy"Ich wachte mit solch einer schrecklichen Angst auf, dass mir der Gedanke an Schlaf vollkommen verhasst war." Emma hat Albträume. Jede Nacht stellt sie sich ihren größten Ängsten und möchte ihrem Fluch entkommen, der ihr Leben bestimmt. Doch nicht n...