"Das ist einfach köstlich, Miss Fraser. Wie bekommen sie das nur so knusprig hin?", Helen stopfte sich eine weitere Gabel Apple Crumble in den Mund und kaute gelassen mit einem Lächeln auf den Lippen. Das war wohl einer der Vorteile in einem sonst komplett leeren Bed and Breakfast zu wohnen, das von einer älteren Lady geführt wurde. Man wurde vollends versorgt mit vielerlei Leckereien, die es sonst nie zum Frühstück gab. Aber Miss Fraser gab sich besonders viel Mühe dabei, uns zu verwöhnen. Obwohl ich annahm, dass dieser Service eigentlich nicht im Preis enthalten war. Aber diese Tatsache störte wohl niemanden hier. Helen bekam ihren geliebten Apple Crumble und Miss Fraser konnte jemanden umsorgen. Oh, und wir profitierten natürlich auch davon. Immerhin ist Apple Crumble wirklich, wirklich lecker. Obwohl die Stimmung am Tisch so ausgelassen wirkte, stürmte in meinem Inneren ein Hurricane. Ich hatte wahnsinnige Angst, auch wenn Helen mir Mut machte und Caty mir versicherte, dass wir im äußersten Notfall sofort abhauen könnten, ohne uns zu verabschieden. Aber was konnte man schon gegen tiefe Gefühle machen? Sie waren einfach da. Und Angst war eines der stärksten Gefühle, vor allem für mich.
Während Miss Fraser in die Küche lief, um das spezielle Rezept für ihren grandiosen Apple Crumble zu holen und es Helen zu zeigen, hörte ich die Treppen knarzen. Das alte Holz war nachgiebig und heulte besonders auf, wenn man in die Mitte der Stufe trat. Henrys schlanke Silhouette betrat den Frühstücksraum, der übrigens ebenfalls komplett mit Blumen geschmückt war. Der offene Kamin präsentierte Blumentöpfe in verschiedenen Größen anstatt loderndes Feuer. Aber es war schließlich auch Sommer. Auch wenn wenn die Temperaturen hier in England meist nicht die 30 Grad erreichten, war es trotzdem ausreichend warm, um luftige Sachen zu tragen, vor allem wenn man keine anderen Temperaturen gewohnt war.
"Guten Morgen Leute", Henry strahlte als hätte er einen ganzen Tag geschlafen und nicht nur die halbe Nacht. Anscheinend war er eine Frohnatur, die immer gut gelaunt war. Aber genau das ließ ihn nur noch attraktiver wirken. Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und lächelte ihn an. Seine sturmgrauen Augen vertrieben durch den positiven Schimmer meinen inneren Sturm. Er ging auf unseren Tisch zu, berührte kurz sanft meine Schulter und setze sich dann auf den freien Stuhl neben mir.
"Habt ihr gut geschlafen?" Henry griff nach einer Tasse und der Teekanne. Sein Lächeln schmückte sein kantiges Gesicht.
Caty gähnte demonstrativ und warf mir einen amüsierten Blick zu: "Anscheinend nicht so gut wie du."
"Ach was, lange Nacht gehabt?", fragte Henry ironisch und nippte an seinem heißen Getränk.
"Nun ja. Mehr Bewegung und Tanz, würde ich sagen. Im Gegensatz zu anderen, die lieber innige Geheimnisse ausgetauscht haben, die ganze Nacht lang", erwiderte Helen schnippisch und grinste Henry an.
"Hey! Wir haben gar keine...", wollte ich einwenden, doch Miss Fraser kam glücklich wedelnd mit einem alten Buch in der Hand in den Raum gelaufen. Anscheinend hatte sie ihr geheimes Rezeptbuch gefunden, dessen Geheimnisse sie ausnahmsweise mit Helen teilen wollte. Henry fasste mein Handgelenk und zog mich vom Stuhl hoch. Er ließ meinen Arm los, ging aber weiterhin zielstrebig durch den Flur in Richtung Haustür. Ich folgte ihm und fragte mich, was er mir unter vier Augen sagen wollte. Mein Herz pochte etwas schneller als normalerweise. Henry öffnete die Tür und schloss sie hinter mir wieder. Ich schaute auf die rosa Geranien und wünschte mir, nachts in einem Feld voller bunter Blumen zu landen. Diesen Wunsch musste ich gegenüber Noah äußern. Hinter dem Nebel würde es sicherlich Blumenwiesen geben. Doch nun musste ich mich auf Henry konzentrieren, der mir besorgt in die Augen sah.
"Ist etwas?", fragte ich verwundert.
"Geht es dir gut, Emma? Du siehst müde und erschöpft aus", er strich besorgt eine blonde Haarsträhne hinter mein Ohr und blickte mich an. Ich zuckte unter seiner Berührung kurz zusammen. Solch eine Zärtlichkeit hatte ich nicht erwartet. Wir kannten uns doch kaum. Henry ließ seine Hand wieder sinken und schaute enttäuscht auf seine Schuhspitzen.

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Hinter dem Nebel
Fantasy"Ich wachte mit solch einer schrecklichen Angst auf, dass mir der Gedanke an Schlaf vollkommen verhasst war." Emma hat Albträume. Jede Nacht stellt sie sich ihren größten Ängsten und möchte ihrem Fluch entkommen, der ihr Leben bestimmt. Doch nicht n...