Kapitel 13

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Die Traumwelt fühlte sich absolut real an.  Ich konnte sehen, riechen, fühlen, schmecken- alles genauso wie im echten Leben auch. Nur wusste ich, dass ich träumte. Das war der einzige Unterschied. Vielen Menschen passierte so etwas. Sie träumten und hatten plötzlich die Erkenntnis, dachten sich: "Hey, das ist ein Traum, ich träume gerade". Und dann wurde alles intensiver, das ganze Wahrnehmungsvermögen. Der entscheidende Punkt hierbei war jedoch, dass man seine Entscheidungsfähigkeit zurückbekam. Man konnte tun, was man wollte. Dabei gab es keine Limitierung. Wenn man es wollte, konnte man durch Wände gehen oder sich in eine völlig unrealistische Sci-Fi-Welt katapultieren. Unzählige Online-Anleitungen, wie man luzid träumen konnte, versprachen großartige Abenteuer. Ein Klartraum war toll. Zumindest hörte es sich danach an, wenn man Google befragte. Entweder bekam ich lediglich Falschinformationen oder Noah sagte tatsächlich die Wahrheit und ich war verflucht, denn ich konnte nicht einfach so in eine schöne andere Welt, nicht ohne Noah. Das erste kam wohl leider nicht in Frage. Google hatte doch immer recht. Also lag ein Fluch auf mir. Es klang so lächerlich, dass ich es niemals laut aussprechen könnte. Jeder würde mich auslachen und fragen, aus welchem Fantasy-Roman ich wohl entsprungen sei. Vermutlich würde ich mich auch für verrückt erklären, wenn ich nicht selbst im Schattenland gewesen wäre. Aber ich war nun mal da und hatte die Wahrheit gesehen. Alles war möglich, außer alleine von dort zu entkommen. Ein anderes Wort als "Fluch" konnte meine Situation nicht besser beschreiben. Und dieser Fluch holte mich immer und immer wieder ein.

Ich öffnete meine Augen, was mich große Mühe kostete. Am liebsten hätte ich Augentropfen dabei gehabt, obwohl ich die schon mein ganzes Leben lang verabscheute. Aber noch nie zuvor fühlten sich meine Augen so trocken an, wie jetzt. Schleierhaft konnte ich trockenen Boden erkennen, der in einem orangen Ton leuchtete und von Rissen durchzogen war. Meine Lippen waren spröde und rissig. Alles in mir schrie nach Feuchtigkeit. Mit großem Kraftaufwand versuchte ich mich vom Boden aufzustemmen. Bevor ich aber stand, spürte ich schon einen vertrauten Sog, der mich wie eine Achterbahn durch die Gegend schleuderte und einen gewaltigen Druck erzeugte. Erleichterung machte sich in mir breit, als ich weiches Gras unter meinen Fingern spürte. Immer noch brannten meine Augen, doch ich hielt sie qualvoll offen, blinzelte angestrengt. Ich sah seine alten Turnschuhe und fragte mich, ob er aus einer armen Familie stammte und sich keine neuen Schuhe leisten konnte. Augenblicklich schämte ich mich für diesen Gedanken und schloss kurz die Augen.

"Bist du hier?", seine Stimme klang leise in meinen Ohren. Langsam richtete ich mich auf, um ihn ansehen zu können. Wieder war ich erstaunt, dass es ihn gab. Er kam mir so unendlich bekannt vor, als hätte ich ihn nicht gerade erst kennengelernt, sondern schon viel früher.

"Emma, bist du hier?", Noah wurde lauter. Ich konnte hören, wie dringend er eine sofortige Antwort haben wollte.

"Ich sehe dich", gab ich zurück und schaute ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Seine Stirn war gerunzelt und seine Augen blickten mich eindringlich an. Er war wütend.

"Das meine ich nicht", er schüttelte mit dem Kopf und machte einen Schritt auf mich zu, "Bist du in York?"

"Woher willst du das wissen?", fragte ich erschrocken nach und wich einen Schritt zurück.

"Ich habe dich viel zu schnell im Schattenland gefunden. Also, bist du hier?", hakte er weiter nach und durchbohrte mich mit seinem Blick.

"Ich muss dich sehen!", ich hörte mich verzweifelt an, wie ein weinerliches Kind. So wollte ich nie sein, doch ich konnte dem Druck nicht standhalten.

"Du machst einen großen Fehler", ich konnte Noah verstehen, laut und deutlich. Panik machte sich in mir breit, während ich in sein Gesicht sah. Er war ganz und gar nicht begeistert und ließ mich das deutlich spüren. Wieder spürte ich den Sog und hatte Angst, er würde mich einfach so aus der Welt hinter dem Nebel werfen, zurück in das Schattenland. Seinem Gesichtsausdruck nach, traute ich es ihm gerade zu. Doch er war es nicht. Es war Helen, die mich in diesem Moment aus dem Schlaf riss.

Hinter dem NebelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt