Kapitel 6

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Unnatürliche Phänomene wurden schon immer am meisten hinterfragt. Sie versetzten die Menschheit in Staunen und ließen sie alles anzweifeln, was sie bisher kannten. Es war sogar ein Zweig der Forschung, dem viele Menschen ihr gesamtes Leben widmeten. Am berühmtesten waren höchstwahrscheinlich die Ufos, die seit Jahren immer wieder gesichtet wurden. Es gab unzählige Fotos im Netz und trotzdem zweifelten die Menschen. Ihre Existenz war schlichtweg nicht zu glauben. Ich konnte das nachvollziehen, schließlich hatte ich auch nie daran geglaubt. Jetzt war ich mir allerdings nicht mehr allzu sicher, was die Existenz vieler unmöglicher Phänomene betraf. Vielleicht gab es Ufos oder Vampire oder Meerjungfrauen oder sogar den Yeti. Wer konnte das schon wissen? Wer versteckt bleiben wollte, der blieb nun mal versteckt. Alles schien möglich zu sein, denn die Welt bot eine Menge Möglichkeiten.
Was Ufos mit mir zu tun hatten?
Tja, vielleicht war ich ein Alien.

"Ich kann einfach nicht glauben, dass so etwas tatsächlich möglich ist",Caty legte ihren Bleistift nieder und unterbrach somit ihre Hausaufgaben. Seit Tagen gab es kein anderes Thema mehr als ihren Unglauben zu feststehenden Tatsachen. Immer wieder musste ich ihr erklären, dass ich selbst es nicht verstand. Ich jedoch konnte den Tatsachen ins Auge blicken, Caty konnte es anscheinend nicht. Ihre stetigen Zweifel raubten mir den Verstand, dabei hatte ich diesen schon Wochen zuvor verkleinert, denn meine Albträume blieben. Mittlerweile schrumpfte ich immer mehr. Ich wusste nicht, was ich tun konnte, um die Träume loszuwerden. Alles, was ich definitiv wusste, war, dass ich so nicht mehr länger weitermachen konnte. Diese ständige Last zerriss mich und meine Augenringe wuchsen weiterhin von Nacht zu Nacht.

"Caty, sieh endlich ein, dass Unmögliches doch möglich ist und belaste Emma nicht noch mehr!", auch Helen unterbrach die Arbeit an ihrem Aufsatz und blickte genervt auf. Sie hatte mir alles auf der Stelle geglaubt und nicht eine Sekunde gezweifelt. Mein Geständnis schien ihr eher die perfekte Erklärung für meine ständige Abwesenheit und meine neue Hingabe für gruselige Gemälde. Mein Verhalten war ihr Beweis genug dafür, dass meine Geschichte tatsächlich stimmte. Meine Erleichterung darüber war so enorm, dass ich sie nicht einmal in Worte fassen konnte. Ich hatte Angst davor, ihr alles zu erzählen. Doch ich hatte daran geglaubt, dass sie zu mir stehen würde und das tat sie auch. Alle Angst war unbegründet. Jetzt war ich froh, dass ich endlich jemandem davon erzählt hatte und die Last nicht mehr allein in mich hineinfressen musste. Helen stand mir bei, Caty eher nicht.

Helen schlug plötzlich ihr Heft zu und begann, ihre Stifte einzupacken. Ein kurzer Schreck rannte über meine Arme, wegen des lauten Knalles. Damit hatte sie sicherlich die halbe Bibliothek auf sich aufmerksam gemacht und nebenbei auch noch gegen die Vorschriften verstoßen. Ruhe war hier die höchste Regel.

"Komm, Emma. Wir sind fertig", sagte Helen dann und schaute mich eindringlich an, nachdem sie ihren Rucksack geschultert hatte.

Verwundert erwiderte ich ihren Blick: "Was ist denn los?"

"Wir haben noch etwas vor", Helen zog ihre Augenbrauen hoch, als erwartete sie von mir, dass ich zustimmte. Irgendetwas stimmte nicht und ich hatte das Gefühl, als wollte sie vor Caty fliehen. Ich blickte kurz zu Caty, die neben mir saß und abwesend auf ihr Heft starrte und mich nicht beachtete. Es sah ganz so aus, als wäre etwas zwischen den beiden vorgefallen, in das sie mich nicht eingeweiht hatten.

"Stimmt. Dann mal los!", ich stopfte mein eigenes Heft in meinen Rucksack und schmiss meine Stifte einfach so hinein. Dann sprang ich vom Stuhl auf und folgte Helen aus der Schule, nachdem ich den blau karierten Faltenrock glattgestrichen hatte, der zur Schuluniform gehörte, und mich von Caty verabschiedete. Egal was zwischen Caty und Helen vorgefallen war, ich wollte nicht so erscheinen, als würde ich sofort Partei für Helen ergreifen. Sie waren beide meine Freunde.
Da Helen gerade 18 geworden war, fuhr sie ab und zu mit dem Auto zur Schule. So auch heute. Also steuerten wir den roten Pickup ihrer Mutter an und ließen scheppernd die Türen hinter uns zufallen. Als wir saßen, fuhr Helen direkt los. An der ersten roten Ampel rückte sie mit der Sprache raus: "Ich habe Caty vorhin bei Jasons Gruppe von Vollidioten gesehen. Sie haben über dich geredet, Marc hat etwas Beschissenes gesagt und alle haben darüber gelacht, auch Caty."

Hinter dem NebelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt