Kapitel 8

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Mein Leben war wie eine Schüssel voll Salat. Alles, was nicht schmeckte, wurde zusammengeschmissen und kräftig umgerührt. Das trostlose Grünzeug überwog natürlich gegenüber den winzigen Käsewürfeln, die man gerne herauspickte. Und warf man dann auch noch Oliven hinzu, war das ganze Durcheinander endgültig versaut und niemand wollte es mehr essen. Zum krönenden Abschluss kippte man dann trotzdem die Salatsoße über das Ganze, um alles abzurunden. Die Salatsoße war selbstverständlich das dicke American Dressing, das alle angewidert betrachteten, weil es der Killer für jede Traumfigur war. Aß man dieses Dressing zum Salat, hätte man auch gleich den XXL-Burger wählen können, der vor Fett nur so triefte. Es zerstörte alles, was zuvor noch gesund war, zwar nicht lecker, aber gesund. Und was sagte mir das alles? Tja, dieser Tag war definitiv meine persönliche Salatsoße.

"Ich habe meinen Vater gefragt", presste ich trocken hervor, während ich neben Helen in dem roten Truck ihrer Mutter saß, auf direktem Weg zur Schule und somit auch in einen weiteren Tag in der Hölle.

"Was hast du ihn gefragt?", hakte Caty nach. Ihr Kopf tauchte zwischen unseren beiden Rückenlehnen auf, da sie auf der Rückbank saß. Obwohl Helen immer noch ihren Groll gegen Caty hegte, nahm sie sie im Auto mit, einfach weil sie es immer tat.

"Ich habe ihn nach meiner Mutter gefragt", erwiderte ich leise, als würde ich mich schämen. Vielleicht tat ich das auch. Ich schämte mich, weil ich Helen beschimpft hatte und im Nachhinein trotzdem ihren Rat befolgt hatte.

"Tatsächlich? Was hat er gesagt?", rief Helen euphorisch aus und richtete ihren Blick kurz von der Straße und stattdessen zu mir. Sie vergaß einfach, was ich zu ihr gesagt hatte. Und auch aus diesem weiteren Grund war sie die beste Freundin, die man haben konnte. Trotzdem fühlte ich mich schlecht bei der ganzen Sache. Ich hatte das Gefühl, sie gab mir alles und ich gab ihr nichts dafür zurück. Machte mich das nicht wiederum zu einer schlechten Freundin?

"Er weiß nicht, wo sie ist. Sie hat meine Geburt alleine durchgestanden, mich dann ins Krankenhaus gebracht und ist einfach verschwunden. Sie wollte mich also nicht. Nicht mich und auch nicht meinen Vater. Es war ihre Entscheidung", gab ich trocken Preis. Für einen Moment war alles still. Die Beiden waren wohl zu geschockt, um etwas zu erwidern. Ich konnte es verstehen. Wäre es nicht meine eigene Geschichte, würde ich sie wahrscheinlich nicht einmal glauben. Welche Mutter konnte so etwas schon tun? Anscheinend lag der Irrsinn in der Familie.

"Das tut mir wahnsinnig Leid, Emma!", unterbrach Helen die Stille mit sanfter Stimme, aus der das Bedauern deutlich herauszuhören war. Ich brauchte dieses Mitleid nicht. Ich hatte mein ganzes Leben ohne Mutter gelebt und hegte keinerlei Sympathie für diese Frau, die ich nicht kannte. Sie war vielleicht meine Mutter, aber ich würde sie nie als solche ansehen. Ich nahm es ihr mehr als übel, dass sie meinen Vater und mich einfach so verlassen hatte. Aber konnte man eine Person hassen, die man gar nicht kannte? In diesem Fall würde ich das Gefühl nämlich als zutreffend empfinden. Doch all dieser Hass änderte nichts an meiner Situation. Ich brauchte sie, wenn auch für selbstsüchtige Zwecke. Wurde ich diese Albträume nicht los, würde ich in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr mit solchen Wunden aufwachen. Es war gut möglich, dass ich dann gar nicht mehr aufwachte.

Ich trennte mich von Helen und Caty direkt nachdem wir das Schulgebäude betreten hatten. Ich fühlte mich schuldig Helen gegenüber, wütend meiner Mutter gegenüber und mir gegenüber hin und hergerissen. Am liebsten wollte ich gar nichts mehr fühlen, doch das war unmöglich. Seit langem hatten meine Gefühle von mir Besitz ergriffen wie ein Dämon. Da sie jedoch nicht sehr positiv waren, machte ich auch auf meine Mitmenschen keinen guten Eindruck. Ich war nie der große Star an der Schule gewesen, wie es einem in jedem amerikanischen Kitschfilm gezeigt wurde. Ich war ein normales Mädchen, das typische Mädchendinge mit ihren besten Freundinnen tat und nebenbei noch die perfekte hübsche Freundin für den beliebten Justin spielte. Es war mir immer schon ein Rätsel, wie ich Justins Freundin wurde, doch zu unserer gemeinsamen Zeit war mir das völlig egal. Ich hatte alles, was sich jedes Mädchen erträumen konnte. Freunde, Ansehen und Spaß. Ich wurde von allen akzeptiert und sofort aufgenommen. Wenn ich nun auf mich zurück blickte, konnte ich erkennen, wie blind ich doch war. Ich war geblendet von der Sicherheit, die mir Justin gab. Als seine Freundin war es klar, dass ich überall dabei war. Doch das alles war keinesfalls echt. Alle anderen spielten mir vor etwas zu sein, das sie nicht waren, nämlich meine Freunde. Sie taten dies mit dem Gewissen, das auch ich hatte, während ich mit Justin zusammen war. Er war beliebt, gutaussehend und von allen umworben. Jedes Mädchen wollte mit ihm zusammen sein, doch ich bekam die Chance. Ich ergriff sie, ohne auch nur darüber nachzudenken, ob ich es eigentlich auch wollte. Alle anderen wollten es, also musste ich es auch wollen. Daran gab es keinen Zweifel. Und schon wurde ich beliebt, auch wenn dies eher Schein war als eine Tatsache.
Wäre ich zu dieser Erkenntnis früher gekommen, wäre mir einiges an Ärger erspart geblieben. Mir wurde früh klar, dass Justin lieber anderen Mädchen hinterherstarrte, die freizügiger herumliefen als ich. Doch auch das versuchte ich zu ignorieren, schließlich war ich seine Freundin. Unsere Beziehung war wohl eher eine Art Statement. Gab es nicht immer dieses eine perfekte Paar? Der beliebte Schulstar und seine schüchterne, aber wunderschöne Freundin. Wir hatten es uns wohl beide zur Aufgabe gemacht, dieses Klischee zu erfüllen und uns somit etwas vorgespielt. Irgendwann wurde es mir jedoch zu viel. Ich öffnete meine Augen zum ersten Mal seit Monaten richtig und sah, wie verlogen dieses ganze Spiel doch war. Also machte ich Schluss und zerstörte mich somit mein Leben selbst. War es richtig, dass ein unbedeutendes Mädchen mit dem beliebten Justin Schluss machte, einfach so aus heiterem Himmel? In dieser Schulgesellschaft war es der größte Fehler, den man machen konnte. Seine Freunde hielten zu ihm und machten mich runter. Immerhin bedeutete ich nichts. Ich war nur ein unbedeutendes Mädchen. Zu dieser Zeit fingen meine Albträume an. Ich veränderte mich und wurde somit zur Zielscheibe aller. Justins Freunde nahmen dies als Anstoß, mich endlich als verrückt abzustempeln. Und hier war ich nun, der Psycho. Dabei hatten sie alle ja keine Ahnung.

Hinter dem NebelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt