1. Kapitel

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      »Heirate mich, Nera.« Phils Worte lösten bei mir nicht den gewünschten Effekt aus. Vor einem Jahr hatte ich mir noch genau das gewünscht. Diese Worte. Ich hatte jede Nacht davon geträumt, wie er vor mir kniete, mir einen Ring hinhielt und mich fragte, ob ich seine Frau werden wollte. Doch jetzt... jetzt blieb dieses Gefühl der Freude aus. Mir schossen keine Tränen in die Augen und ich wollte nicht ja sagen. Ich konnte nicht ja sagen. So sehr ich es mir vor einem Jahr noch gewünscht hatte, jetzt wollte ich es nicht mehr. Phil sah mich so erwartungsvoll und voller Hoffnung an, doch es mir egal.
          Ich konnte nicht ja sagen. Ich wollte auch nicht ja sagen. Ich wollte es einfach nicht. Er war mir nicht so wichtig, wie er sein sollte. Nicht mehr. Das war mir schon in den letzten Wochen aufgefallen. Meine Liebe für ihn war irgendwie verschwunden und geschwächt. Ich wollte ihn nicht mehr heiraten. Seine Berührungen lösten nicht mehr die angenehmen Schauer aus, die sie vor zwei Jahren ausgelöst hatten. Nein, nicht mehr. Das Gefühl war anders. Phil war in den letzten Wochen eher ein guter Freund für mich gewesen, als mein Freund, mit dem ich zwei Jahre lang zusammen gewesen bin.
         Noch immer sah er mich erwartungsvoll an, doch ich brachte kein Wort heraus. Im Gengenteil. Ich starrte ihn einfach nur an und wusste nicht, wie ich meine Gedanken in Worte packen konnte. Allein die Vorstellung ihm wehzutun, sorgte dafür, dass sich mein Herz schmerzhaft zusammenzog. Ich wollte ihm nicht wehtun, doch ich wusste, dass mir nichts anders übrig blieb, wenn ich ehrlich mit ihm sein wollte. Also räusperte ich mich und holte einen Moment tief Luft. Phil musterte mich lange und ich sah, wie nervös er wurde.
»Ich kann dich nicht heiraten, Phil. Tut mir leid.«
         Meine Worte schienen etwas in ihm auszulösen. Ich sah, wie er kurz zusammenzuckte, bevor sich sein Gesichtsausdruck von hoffnungsvoll zu undurchdringlich veränderte. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Phil hatte sich schon immer bei den größten Schmerzen vor anderen verschlossen. Nur diesmal schien es noch heftiger zu sein als sonst. Mir wurde ganz übel. Es war nicht normal für Phil, mich so anzusehen. Deswegen ging ich aus Vorsicht bereits einen kleinen, kaum merklichen Schritt zurück.
       »Gibt es einen anderen, Nera?«, fragte er mich, frei heraus. Doch die Kälte in seiner Stimme zeigte mir, dass er es so meinte. Dass er diese Frage für berechtig hielt. Ungläubig starrte ich den jungen Mann an, mit dem ich die letzten zwei Jahre meines 22 jährigen Lebens verbracht hatte. Ich konnte nicht glauben, dass er mich das gerade fragte. Dass er in Erwägung zog, dass es einen anderen für mich gab. Ich war alles, aber keine Betrügerin. Ich konnte nicht mit einem anderen ausgehen, wenn ich bereits einen Freund hatte. So war ich nicht.
       So würde ich auch nie sein. Das war strickt gegen meine Moral. Wenn ich einen Freund hatte, würde ich keinen anderen küssen oder daten. Deswegen konnte ich nicht glauben, dass er mich das gerade fragte. Er wusste ganz genau, dass ich nicht so war. Dass ich solche Leute hasste. Genau aus diesem Grund hatte ich After Passion nie gelesen. Das wusste er. »Du weißt, dass ich nicht so ein Mensch bin«, brachte ich dann schließlich irgendwie heraus. Meine Stimme war kratzig und ich musste mich räuspern. Phil legte den Kopf schief. In seinen sonst so lebhaften, blauen Augen herrschte nichts als Emotionslosigkeit.
       Er blieb still. Erst jetzt nahm ich langsam wieder den prasselnden Regen wahr, der gegen das Fenster trommelte und auf das Dach. In Strömen rann das Wasser an den Scheiben hinab, so schnell, dass man alles nur verschwommen erkennen konnte. Da mir diese Stille zu unangenehm war, konzentrierte ich mich auf dieses stetige Geräusch und spielte mit dem Saum meines Stickpullis, der sich sanft an meine Haut schmiegte und mir die nötige Wärme spendete, die ich in diesem Moment brauchte. Ich betete, dass er verstehen würde.
       Dass ihm klar werden würde, dass es mit uns nie etwas geworden wäre. Die letzten zwei Jahren waren schön gewesen, doch jetzt waren wir nur noch Freunde. So kam es mir jedenfalls vor. Er war damit beschäftigt die Firma seines Vaters zu übernehmen und ich war damit beschäftigt, Coveraufträge und Banneraufträge anzunehmen. Während ich in unserer Wohnung arbeitete, verließ er jeden Tag das Haus und kam meist erst spät abends wieder, wenn ich schon wieder müde war und mir gemütlich einen Film ansehen wollte.
       Zu dem kam, dass unser Sexleben schon lange in einer Flaute war. Nicht, dass es mir nur darum ging, aber er war kaum da und am Wochenende war er immer so müde, dass er mich sogar nach fünf Monaten noch abgewiesen hatte. Ich fragte mich, warum er mich jetzt so kalt und emotionslos ansah. Fragte mich, ob er diesen Unterschied in den letzten fünf Monaten einfach nicht bemerkt hatte, oder ob er es einfach nicht wahrhaben wollte, weil seine Eltern ihm immer wieder sagten, dass ich die perfekte Wahl sei. Nur für mich war er nicht mehr die perfekte Wahl.
       Dass ich das einmal sagen würde, hätte ich vor einem Jahr noch nicht erwartet. Diese Worte ließen einen kalten Schauer meinen Rücken hinablaufen. Schließlich räusperte ich mich, um die Stille zu durchbrechen. »Es gibt keinen anderen, Phil. Nur du musst selbst zu geben, dass wir in den letzten fünf Monaten kaum etwas zusammen gemacht haben. Wir waren nicht mal auf einem Date. Zudem interessierst du dich nicht für meine Arbeiten. Du siehst sie dir nicht einmal an. Ich will mich ja nicht beschweren, aber es kommt mir eher so vor, als würden wir uns auseinanderleben.«
       Phil sah mich lange an. Nur das Zwinkern seiner Wimpern verriet mir, dass er mich gehört hatte. Sonst könnte man nämlich annehmen, dass er mit offenen Augen schlafen würde, so reglos stand er vor mir. »Du weißt, dass ich die Firma übernehmen soll. Da kann ich nicht einfach um fünf Uhr gehen, nur weil es dir so passen könnte. Und ich bin einfach zu müde, um mir deine Arbeiten anzusehen. Außerdem interessierst du dich ja auch nicht für meine Arbeit.« Diese Kälte in seiner Stimme sorgte dafür, dass ich die Arme wie einen Schutzschild um meinen Körper schlang. So hatte er noch nie mit mir gesprochen. Dementsprechend war das vollkommen neu für mich, dass er so mit mir sprach. Ich war es nicht gewohnt. Wollte es auch gar nicht gewohnt sein.
       »Ich interessiere mich doch für deine Arbeit. Ich habe jeden Abend gefragt, wie es voran geht«, hielt ich schließlich gegen sein Argument. Phil rollte nur mit den Augen. Zum ersten Mal seit zwei Jahren erkannte ich den Mann vor mir nicht mehr. Es war zwar Phil, aber doch wieder nicht. Im Raum wurde es mit jeder Sekunde schlagartig kälter. So kalt, dass ich sogar glaubte einen kalten Luftzug in meinem Nacken zu spüren. Sein Kiefer spannte sich an und ein Muskel schien dort zu zucken. Auch etwas, was ich noch nie gesehen hatte. Der Kloß in meinem Hals wurde größer.
      »Du hast doch nur gefragt, um höflich zu sein.« Seine Stimme glich einem Knurren. Instinktiv wich ich wieder einen Schritt zurück. Diesmal einen größeren und offensichtlicheren. Phil beobachtete meine Bewegungen genau. Etwas blitzte in seinen Augen auf. Etwas, was ich nicht deuten konnte, da ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Der Raum schien noch einmal kälter zu werden und eine Stimme in meinem Kopf sagte mir, dass es Zeit wurde, von hier wegzukommen. Sofort. Ich wusste nicht, was mit Phil los war, aber der emotionslose Blick in seinen Augen sagte mir, dass ich mich so schnell wie möglich davonmachen sollte. Und zwar bald.
       »Das stimmt nicht. Ich meinte es ernst«, hielt ich wieder dagegen. Phil rollte nur mit den Augen. Mal wieder. Auch eine Geste, die ich nicht gewohnt war. Phil war sonst immer sehr freundlich gewesen und immer zuvorkommend. Man hatte mit ihm über alles reden können. Doch dieser Phil, der gerade vor mir stand, schien anders zu sein. Nicht mehr verständnisvoll. Nicht mehr freundlich. »Meintest du nicht. Ich bezweifle sogar, dass du unsere Beziehung ernst gemeint hast«, zischte er und trat näher an mich heran. Mein Herz setze einen Schlag aus. Angst machte sich in meinem Körper breit.
       Noch nie in meinem Leben hatte ich Angst vor Phil haben müssen, doch gerade hatte ich Angst. Angst um mein Leben. »Ich meinte unsere Beziehung ernst, Phil. Nur irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns auseinandergelebt haben«, versuchte ich es noch einmal. In dem Moment lachte Phil kalt. Es erinnerte mich an einen Horrorfilm, den ich einmal gesehen habe. Dort hatte der Mann auch so gelacht, bevor er auf das Mädchen eingeschlagen hatte. »Auseinandergelebt. So nett man Fremdgehen heutzutage also«, sagte er, nachdem sein grausiges Lachen verklungen war. Wieder einmal stellte ich fest, dass das nicht mehr Phil war. Der Phil, in den ich mich verliebt hatte, würde so etwas nicht sagen.
       »Ich habe dich nicht betrogen!«, zischte ich nun, wütend über diesen Vorwurf. Dass ich meine Stimme ihm gegenüber erhob, erwies sich als Fehler, denn er trat wieder näher an mich heran. Immer noch diesen kalten Ausdruck auf seinen markanten Zügen. »Und warum willst du mich dann nicht heiraten? Das war doch immer dein Traum. Eine Familie, eine Hochzeit.« Seine Stimme war gefährlich leise. Ängstlich wich ich wieder einen Schritt zurück und suchte mit den Augen nach etwas, was ich im Notfall benutzen konnte. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Das Blut rauschte in meinen Ohren.
       »Das versuche ich dir doch... zu... zu erklären. Wir haben uns auseinandergelebt. Du bist nicht mehr so zärtlich zu mir, wie vor zwei Jahren noch und wir reden kaum noch. Mehr will ich damit doch gar nicht sagen. Nur in letzter Zeit hast du dich eher wie ein guter... Freund angefühlt, als wie mein Freund«, versuchte ich es erneut. Phil kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Das Blau in seinen Augen schien mit jeder Sekunde um Nuance zu Nuance dunkler zu werden. Seine Augen wurden von einem hellen, strahlenden Blau, was mich die letzten Monate immer an der Meer erinnert hatte, zu einem dunklen Blau, was an eine düstere Nacht erinnerte.
       Keine warme, wohlige Nacht. Eine schaurige Nacht, in der einem Gestalten über den Weg liefen, denen man besser nicht begegnen wollte. Panik und Angst breitete sich immer weiter in meinem Körper aus. Übelkeit stieg in mir auf und ich hatte das Bedürfnis, zu fliehen. So bald wie möglich. Am besten jetzt. »Ich fühle mich für dich also nur wie ein Freund an und nicht mehr wie dein Freund. Dann verrate mir mal, warum ein Kumpel weiß, wie deine Lippen schmecken?«, raunte er mir zu, die Augen immer noch zu Schlitzen gekniffen.
        »Du weißt doch, wie ich das meinte, Phil!«, fauchte ich wütend. So sehr ich auch Angst hatte, so sehr konnte ich das alles nicht auf mir sitzen lassen. Er besaß kein Recht, so etwas zu sagen. Nicht, wenn er mich doch eigentlich kannte. Also eigentlich hatte ich gedacht, dass er mich kennen würde. Anscheinend hatte ich mich in dieser Annahme geirrt. »Ach weiß ich das, ja? Wer hat vor einem guten Jahr noch davon geträumt eine Familie zu haben?«, zischte er zurück. Er war mir jetzt so nahe, dass sein Atem gegen mein Gesicht prallte. Eine Geste, die mich sonst nicht gestört hatte.
      

Lorcan - "Sie will zu mir" ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt