Obwohl die beiden anfangs dagegen gewesen waren, dass ich nach ihm suche, da man auch noch immer nach mir suchte, hatte ich die beiden überzeugen können, mich in den Wald zu lassen. Lorcan würde sicher nicht weit weg sein, hatte ich ihnen versucht klar zu machen. Das hatte irgendwie funktioniert. Wie genau, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass ich mich jetzt im Wald befand, der kalte Wind sich durch den dünnen Stoff meines grauen Strichpullis fraß, der überall kleine Löcher hatte.
Eigentlich war der Pulli warm, doch wenn Wind herrschte, schien dieser sich durch die kleinen Löcher zu fressen. Immer und immer wieder. Fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Körper und wünschte mir, dass ich mir eine Jacke mitgenommen hätte, doch in aller Sorge hatte ich genau diese vergessen. Meine Beine trugen mich durch den Wald, der nur spärlich beleuchtet war. Die Sonne schien nicht stark genug und nur ab und an schaffte das Licht es, zwischen den Baumkronen hindurchzukommen.
Der Wald bestand mehr aus Kiefern und Tannenbäumen, als aus Laubbäumen. Zwar lag bereits erstes Laub am Boden, doch die Tannen verhinderten einen größeren Lichteinfall. Seufzend wich ich Ästen aus und stieg über Wurzeln, die meinen Weg kreuzen wollten. Erst nach einer Weile sich der Wald heller zu werden. Ich schien an eine kleine, weitere Lichtung gekommen zu sein. Als ich schon nach Lorcan rufen wollte, hielt ich mich gerade noch davon ab. Stattdessen versicherte ich mich, dass niemand zu hören war.
Heute fuhren keine Quadts durch den Wald, wie es sich anhörte. Oder sie waren so weit weg, dass man sie nicht hörte. Also rief ich nach Lorcan. Es kam keine Reaktion. Nicht mal eine kleine Bewegung im Wald. Verwirrt sah ich mich um. Diese Stille war merkwürdig. Sonst gab es im Wald immer irgendwelche Geräusche. Doch in diesem Moment hörte ich nur meine Atmung und sah diese in kleinen Wolken zum Himmel emporsteigen, so kalt war es bereits. Nervös sah ich mich um. Entweder Lorcan war ganz in der Nähe und verhielt sich mit Absicht ruhig, oder etwas stimmte nicht. Mein Herz schlug mir wild in der Brust, während ich mir ausmalte, was alles passiert sein könnte. Lorcan könnte sich verletzt haben und Phil hatte ihn gefunden.
Werwolfjäger könnten im Wald sein und hätten ihn gefangen nehmen können. Mein Herz schlug wild in meiner Brust und ich spürte, wie mein Puls in die Höhe schoss. Zudem spürte ich, wie mein Magen rumorte. Ich wusste nicht, wo er war oder wie es ihm ging. Auf einmal hatte ich schreckliche Angst um ihm. Ich wusste nicht, wo er war. Ob es ihm gut ging. Diese plötzliche Angst war tief in mir. So tief, dass sie meinen Kopf benebelte. Gerade als ich mich wieder umdrehen wollte, um woanders weiter zu suchen, hörte ich ein Knacken in einem Busch.
Sofort stand ich stocksteif an Ort und Stelle, dann drehte ich mich langsam um. Der Busch raschelte weiter und die Blätter bewegten sich. Dann kam eine dunkle, große Gestalt heraus. Ein Wolf. Ein riesiger Wolf. Ich musste nicht zweimal hinsehen, um ihn zu erkennen. Warum genau ich Lorcan in seiner Wolfsgestalt erkannte, konnte ich in diesem Moment nicht sagen. Er kam mir schrecklich bekannt vor. So, wie er aussah. Er war schwarz. Sein Fell glänzte im schwachen Licht, dass durch die Baumkronen fiel.
Sein rechtes Auge war vom braunen Fell umrandet und auch manche Stellen seines Felles schienen braun zu sein. Doch das Braun um sein Auge herum war ein helles Braun. Fast sandfarben. Aber eben nur fast. Sein linkes Ohr war ebenfalls braun. Zumindest die Spitze davon. Sein Anblick kam mir verdammt vertraut vor. Lorcan blieb in einigen Metern Entfernung von mir stehen und neigte den Kopf. Er musterte mich, kam aber nicht näher. Als würde er diesen Abstand zwischen uns wahren wollen.
Allerdings wollte ich das nicht. Also lief ich auf Lorcan zu. Er bleckte die Zähne und trat zurück. Dabei bewunderte ich das Spiel seiner Muskeln in seinen hinteren Beinen. Seine hinteren Beine waren muskulös. Viel muskulöser als die eines normalen Wolfes. Auch sein Körper schien von Natur aus mehr Muskeln zu haben. Selbst in Wolfsgestalt war er größer als ich. Zwar war er hier etwas kleiner, war aber dennoch so groß wie ein Pferd. Er bleckte noch immer die Nähe, doch es war mir egal.
Stur lief ich auf ihn zu, dann ließ ich mich vor ihm einfach in das saftige, grüne Gras sinken und sah ihn an. Lorcan legte den Kopf schief und musterte mich von oben herab. In seinem Kopf schienen die Gedanken Achterbahn zu fahren. Immer schneller und schneller. Dann legte er sich schließlich vor mich hin, wie ein Hund, der Platz machte. Seinen Kopf bettete er auf seine Vorderpfoten. Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen, denn das Ganze sah schon süß aus. Wie ein großer Hund. Nur mit schärferen Zähnen.
Für eine Weile sahen wir uns einfach nur an. Er verwandelte sich nicht zurück, was für mich okay war. Wenn er nicht reden wollte, musste er das auch nicht. Schließlich konnte noch immer ich reden. Doch fürs Erste wollte ich ihm mit dieser Geste einfach zeigen, dass ich ihm vertraute und keine Angst vor ihm hatte. Dass er mir nicht wehgetan hatte, auch wenn er das dachte. Er hatte mir nicht wehgetan. Das war eine vollkommen falsche Annahme gewesen, die er sofort vergessen wollte. Am besten jetzt. Obwohl ein Teil in mir ihm noch immer nicht ganz traute, wollte ich ihm klar machen, dass er mich nicht verletzt hatte. Schließlich hatte er das nicht.
Zwar wusste ich noch immer nicht, wie ich mit dem Allem umgehen sollte, doch irgendwie würde ich das schon hinbekommen. Es würde auch keinen Sinn machen, ihm ewig nicht zu vertrauen, wenn er mir keinen Grund dafür gab. Lorcan war nett zu mir und kümmerte sich um mich. Er ließ mich nicht allein und versuchte mir zu helfen, damit umzugehen. Nicht wie Phil. Phil schien mich eh nie wirklich geliebt zu haben. Er brauchte mich nur für seine dumme Familie. Lorcan hingegen schien es ernst mit mir zu meinen. Immer, wenn er mich ansah, war da diese Wärme in seinem Blick.
Diese Wärme, die mir sagte, dass er sich um mich sorgte und seine Sorge ernstgemeint war. Zögerlich streckte ich nun meine Hand nach ihm aus. Lorcans Kopf zuckte nach oben und er schien sich aufrichten zu wollen, blieb dann aber doch liegen, als ich ihn eindringlich ansah. Dennoch knurrte er mich an. Wütend starrte ich zurück. Ich wollte ihn ja nur streicheln. Nur streicheln. Dennoch knurrte er weiter und zeigte seine scharfen Reißzähne, die erstaunlich groß zu sein scheinen.
Dennoch starrte ich ihn wütend an. »Mein Gott, jetzt komm mal runter. Ich will dich doch nur streicheln. Meine Güte. Bist ja schlimmer als eine Diva«, meinte ich und sah ihn weiterhin eindringlich an. Er starrte wütend zurück. Wenn wir uns ansahen, war es fast, als würden wir miteinander sprechen. Wir beide schienen uns ohne Worte zu verstehen. Dann hörte er auf, mich anzuknurren und ließ mich meine Hand auf seinen Kopf zubewegen. Langsam legte ich meine Hand auf seinen großen Kopf, der nun wieder auf seinen Vorderpfoten lag.
Lächelnd strich ich über sein dunkles Fell, was schön weich war und sanft über meine raue Handfläche strich, die ich jetzt, da die kalte Zeit wieder anbrach, unbedingt wieder einschmieren musste. Ein kleines Brummen schien von Lorcan zu kommen und er schien seinen Kopf meinen Bewegungen entgegen zu strecken. In der einen Sekunde waren seine Augen noch offen, dann schloss er sie und gab sich ganz meiner kleinen Streicheleinheit hin.
Er schien es zu genießen, wie ich ihn streichelte. Ab und an kraulte ich ihm hinterm Ohr, was ihn zufrieden brummen ließ. Lorcan lag nun ganz entspannt vor mir und schien sich gleiten zu lassen. Er war die Ruhe selbst. Erst, als er etwas zu hören schien, öffnete der die Augen und hob den Kopf. Seine Ohren zuckten. Er schien etwas zu hören, was ich noch nicht hörte. Kurz befürchtete ich, der Moment, den wir gerade hatten, könnte vorbei sein.
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Lorcan - "Sie will zu mir" ✔
Manusia SerigalaAls Phil, Neras Freund, ihr einen Antrag macht, kann sie nicht ja sagen. Etwas hindert sie daran. Sie weiß nur nicht genau was. Kaum hat sie sich versehen, läuft sie weg und folgt einem inneren Trieb, den sie sich nicht erklären kann. Kurz darauf fi...