21. Kapitel

4.8K 278 11
                                    

          In meinem ganzen Leben war ich noch nie so geküsst worden. Nicht einmal Phil hatte mich mit so einer großen Leidenschaft und Begierde geküsst wir Lorcan. Immer wieder knabberte er an meiner Unterlippe. Seine Lippen bewegten sich forsch gegen meine. Ich hatte das Gefühl zu schweben. Die Luft zwischen uns knisterte. Es wurde heiß im Raum. Mit jeder Sekunde die verstrich, spürte ich, wie meine Kniee drohten nachzugeben.
         Hilflos krallte ich mich an seinen starken Arm fest, was ihn in meinen Mund keuchen ließ. Er presste mich stärker an die Wand und küsste mich noch leidenschaftlicher. Noch fordernder. Ich spürte das Kribbeln in meinem Bauch. Nein, das Kribbeln in meinem ganzen Körper. Noch nie hatte sich ein Kuss so angefühlt. Noch nie so gut. Es war ein Kuss, den ich niemals vergessen würde. Es fühlte sich viel zu gut an von ihm so geküsst zu werden.
         Die Luft um uns herum knisterte immer mehr, während er die eine Hand, die an meiner Hüfte lag, auf und ab fahren ließ. Er schien sich diese Zentimeter meiner Haut gut einprägen zu wollen. Mir wurde ganz heiß, als ich daran dachte. Und dann spürte ich es. Etwas Hartes drückte gegen meinen Bauch. Für einen Moment regte ich mich nicht mehr und es dauerte, bis mein Gehirn all diese Informationen verarbeitet hatte.
         Dann verstand ich. Röte schoss mir in die Wangen, doch Lorcan machte keine Anstalten mich auszuziehen. Als ich die Augen öffnete, erkannte ich, dass seine noch immer geschlossen waren. Im nächsten Moment knabberte er wieder an meiner Unterlippe und mir entwich ein Keuchen. Kaum war das passiert, spürte ich einen Stich in meiner Unterlippe. Ich riss die Augen auf, als ich Blut schmeckte. Meine Unterlippe brannte.
           Als Lorcan es zu schmecken schien, riss er sich von mir los. Seine Augen hatten wieder dieses komische Blau in sich. Keuchend sah er mich an. Etwas betäubt fuhr ich mir an die Lippe und zuckte zusammen, als ich spürte, wie groß die Wunde war. Es war ein ziemlich langer Riss. »Es tut mir leid, Nera. So leid«, sagte Lorcan mit rauer Stimme, bevor er zum Balkon ging. Etwas verwirrt sah ich ihm dabei zu. Ehe ich etwas sagen konnte, war er schon auf dem Balkon und sprang dann hinunter.
         Ich rief seinen Namen, doch er reagierte nicht. Mit klopfendem Herzen beeilte ich mich ihm nachzukommen. Ich sah nur noch, wie eine große Wolfsgestalt im Wald verschwand. Schwer seufzte ich. Obwohl meine Lippe wehtat, war ich nicht böse auf ihn. Von Liams Beta hatte ich erfahren, dass es schwer für Alphas sein konnte, ihre Lust und ihre Gefühle im Zaum zu halten, wenn sie ihre Gefährtin küssten. Besonders, wenn es der erste Kuss war. Ich wusste, dass Lorcan lange hierauf gewartet hatte.
           Er kannte mich länger als ich ihn und ich war nicht so naiv um zu denken, dass er mich nicht auch schon am ersten Tag hatte küssen wollen. Ich war nicht sauer auf ihn. Um ehrlich zu sein war der Kuss toll gewesen. Natürlich tat es mir weh und natürlich war es etwas komisch gewesen, als ich seine Erektion gespürt hatte, aber ich war nicht wütend auf ihn. Er war ein Werwolf und kein menschlicher Mann. Bei ihm spielten viele andere Komponenten eine Rolle. Außerdem wusste ich, dass er nie etwas tun würde, was ich nicht wollte. Selbst vorhin hatte er noch mit sich gekämpft.
         Das hatte ich gesehen. Er hatte abgewartet, was ich sagen würde. Er hatte einfach gewartet. Mir wurde ganz heiß, als ich daran zurückdachte. Doch jetzt war es wichtig, ihn zu finden und ihm das alles selbst sagen zu können. Schnell zog ich mein Kleid aus und zog mir einen Strickpulli über. Den schwarzen BH, den ich zum Kleid trug, ließ ich dabei einfach an. Dazu schnappte ich mir irgendeine Jogginghose, die ich gerade finden konnte und dann zog ich mir irgendwelche Schuhe über.
         So schnell wie ich konnte hastete ich aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Unten sahen mich alle komisch an, doch das ignorierte ich. Ich riss die Türe auf und lief einmal um das Haus herum und lief dort in den Wald, wo Lorcan es getan hatte. Ja, vielleicht war es lebensmüde. Und ja, vielleicht trug ich keine Jacke und es war verdammt kalt, aber das störte mich nicht. Ich wollte nicht, dass er sich schuldig fühlte. Dass er dachte, er hätte mir wehgetan.
         Gut, er hatte mich gebissen aber die Wunde tat jetzt schon nicht mehr sehr weh. Sie heilte bereits durch das Werwolfsblut in mir. Zwar heilte sie langsamer als bei richtigen Werwölfen, doch das störte mich nicht. Die Heilung setzte bereits ein, also war alles nicht so schlimm. Außerdem gab ich ihm keine Schuld daran. Seine Gefühle waren mit ihm durchgegangen. Ich war sicher, dass er sich lange zurückgehalten hatte. Ich wusste es einfach.
         In all der Zeit wo wir allein gewesen waren hatte er sich zurückgehalten. Seine Gefühle für mich waren stark und er hatte lange genug seine wahren Gefühle zurückgehalten. Wie konnte ich da noch sauer auf ihn sein. Dafür gab es absolut keinen Grund. Absolut keinen. Ich rannte durch den Wald, sprang über Wurzeln und sah mich um. Es war stockdunkel. Zwar sah ich durch meine Augen mehr als Menschen, aber einen dunklen Wolf in der Dunkelheit auszumachen war so viel schwerer als einen weißen zu finden.
           »Lorcan? Wo bist du?«, rief ich in die Nacht hinein, doch es folgte gespenstische Stille. Erst jetzt merkte ich, wie weit ich bereits im Wald war. Die Lichter des Hauses waren kaum noch zu erkennen. Doch wenn ich ihn finden wollte, konnte ich jetzt nicht aufgeben. Wer weiß, wann er zurückkommen würde. Vielleicht würde er sich tagelang hier im Wald verstecken. Sorge machte sich in mir breit und ich sah mich um.
           »Lorcan, bitte. Ich bin dir nicht böse. Außerdem heilt es schon wieder. Bitte komm raus«, sagte ich, doch wieder antwortete mir die Stille. Seufzend sah ich mich um. Es raschelte nichts. Ich schien allein zu sein. Doch es war einfach zu ruhig. Zudem schien ich seine Anwesenheit zu spüren. Zwar nicht so stark wie sonst, aber er schien hier irgendwo zu sein. »Ich weiß, dass du hier bist, Lorcan«, rief ich und sah mich weiter um. Es rührte sich wieder nichts. Er war sehr stur. Ich seufzte und ließ mich auf den Waldboden gleiten.
           »Ich werde hier auf dich warten. Ich will dir das persönlich sagen. Ich bin nicht sauer auf dich und es tut auch nicht mehr weh. Mir geht es gut«, sagte ich und verschränkte demonstrativ meine Beine so, dass ich in einem Scheidesitz saß. Der kalte Boden drückte durch meine Jogginghose, doch es war mir egal. Ich wusste, dass er früher oder später aus seinem Versteck kommen würde. Ich musste nur warten.
          Er wusste, dass ich mich erkälten würde und das würde er nie zulassen. Ich saß hier ein paar Minuten, bis es im Gebüsch raschelte und ein Wolf zum Vorschein kam. Er schämte sich und wollte sich nicht verwandeln. Das war okay für mich. Ich wollte es ihm nur sagen und ihn dabei sehen. Langsam tapste er zu mir heran und ließ sich vor mir auf den Boden gleiten. Mit seinem Kopf deutete er mir, dass ich mich an ihn kuscheln sollte, damit ich es warm hatte. Das nahm ich zumindest an.

Lorcan - "Sie will zu mir" ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt