28. Kapitel

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          »Lauf, lauf, lauf!«, rief Lucie und saß ganz gespannt auf Hayes Schoß. Sie rief so laut, dass Hayes und Lorcan sich die Ohren zuhalten mussten. Alvin Kamara rannte gerade über den Bildschirm, mit dem Ball in der Hand. Immer schneller und schneller. Die gegnerischen Spieler schienen ihn nicht aufhalten zu können. Im Gegenteil. Er brach Tackle und sprang auch einmal über einen Spieler. Mein Herz klopfte vor Aufregung ganz wild, da ich natürlich wollte, dass wir einen Touchdown bekamen.
           Diesen bekamen wir dann auch. Lucie jubelte so laut, dass ich sicher war, dass es auch die Toten gehört hatten. Und die Tiere im Wald. Ich hielt mich beim Jubeln eher zurück. Es war nicht meine Art so wie Lucie aufzuspringen und laut zu rufen. Überhaupt nicht. Ich freute mich dafür in meinem Inneren. Das war meine Art. Lucie war da offener. Sie war in diesem Punkt so voller Energie. Das bewunderte ich sehr. Dann richtete ich den Blick wieder auf den Bildschirm. Alle feierten den Touchdown.
           Hayes gab einen komischen Laut von sich, als Lucie einen Freudentanz vollführte. Dafür streckte diese ihm die Zunge raus. »Du bist ja nur neidisch.« Hayes rollte mit den Augen. »Neidisch? Ich? Wie kommst du denn darauf?«, fragte er. Nun war es Lucie, die mit den Augen rollte. »Du bist ja nur neidisch, weil du nie so gut in deinen Highschooljahren warst. Und du bist neidisch, weil ihn ja alle mögen«, sagte sie. Ungläubig hob Hayes eine Braue.
         »Das glaubst du ja wohl selber nicht.« Lucie setzte sich wieder zu ihm, diesmal aber nicht auf seinen Schoß, sondern neben ihn, auf den freien Platz. »Doch und jetzt bitte Ruhe, ich möchte mir das Spiel weiter ansehen und Nera sicher auch.« Leise kicherte ich. Lucie war ein Mädchen für sich. Ein Mädchen, dass ich sehr mochte. Jeder mag sie, schoss es mir durch den Kopf. Jeder musste sie mögen. Es war unmöglich, dass Leute ihrem Charme nicht verfallen konnten. Das dachte ich jedenfalls.
         »Aber wir sind noch nicht fertig mit dieser-«, fing Hayes an, doch Lucie unterbrach ihn. »Und ob wir das sind. Die Sache ist gegessen.« Etwas fragend sah ich die beiden an. Doch Lucie ignorierte Hayes bereits und hatte ihren Blick auf den Bildschirm geheftet. Hayes schien noch etwas sagen zu wollen, ließ es dann aber bleiben, als er merkte, dass er nicht sonderlich weit kommen würde. Also blieb er lieber still und ließ Lucie in Ruhe das Spiel ansehen.
         Bis zum Schluss blieb es relativ spannend, was zeigte, dass unsere gegnerische Mannschaft nicht ohne war. Sie war gut, das musste man ihnen lassen. Allerdings gewannen wir das Spiel dann doch am Ende. Lucie sprang auf und jubelte, Lorcan lächelte leicht und Hayes schien eingeschlafen zu sein. Ich fragte mich, ob es wirklich so langweilig für ihn gewesen war oder ob er die Saints einfach nicht ausstehen konnte. Bevor ich aber näher darüber nachdenken konnte, spürte ich Lorcans Blick auf mir.
         Fragend sah ich ihn an. Er lächelte mich an. »Möchtest du nicht auch so jubeln wie meine Schwester?« Schnell schüttelte ich den Kopf. »Wir wollen doch die Toten nicht wecken.« Ein amüsiertes Funkeln blitzte in seinen Augen auf, dann sah er zu seiner Schwester, die durch das ganze Wohnzimmer tanzte. Er ließ sie noch ein paar Minuten diese pure Freude empfinden, dann sagte er: »Zeit für dich, ins Bett zu gehen. Morgen ist wieder Schule.«
         Sofort stoppte sie mit ihrem Tanz und sah ihn traurig an. Ihr Blick fiel auf die Uhr. »Es ist doch erst kurz nach neun.« Dann sah sie ihren Bruder wieder an und schob eine Schmolllippe vor. »Du musst morgen ausgeschlafen sein, Lucie. Das weißt du auch.« So schmollte noch immer und wirkte nicht begeistert. »Ich bin nur so voller Energie und Adrenalin. Ich kann jetzt nicht schlafen.« Lorcan seufzte. »Dann geh wenigstens schon nach oben und mach dich soweit bettfertig. Du kannst dann ja in einer halben Stunde ins Bett.«
         Zwar schien ihr dieses Angebot auch nicht zuzusagen, doch sie schien das zu nehmen, was sie kriegen konnte. Also lächelte sie nur leicht, verabschiedete sich dann von uns allen und verschwand nach oben. Ich verstand, dass es ihr nicht so passte. Mir hatte es auch nie gepasst so früh ins Bett zu gehen. Man hatte immer das Gefühl unter Zwang zu stehen und keine Freiheit zu haben. Lorcan war da allerdings sehr kulant.
           Ich hatte immer um 20:00 Uhr ins Bett gehen müssen, nur damit sie mich nicht mehr sehen mussten. Da war ich mir einfach sicher. Einmal hatte ich sie auch darüber reden gehört. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich daran zurückdachte. Dann jedoch rief ich mir in Erinnerung, dass alles gut war und das alles Vergangenheit war. Ich hatte diese schrecklichen Tage überlebt und musste mich nicht mehr damit herumschlagen. Mein Blick glitt zurück zu Lorcan, der mich musterte.
         »Alles in Ordnung?«, hakte er nach. Schnell nickte ich. »Ja, alles gut.« Loran musterte mich weiterhin und schien sich nicht ganz sicher zu sein, ob er mir glauben sollte. Schließlich schien er mir dann doch glauben zu wollen. »Musst du noch weiter arbeiten oder hast du noch ein bisschen Zeit?«, fragte er mich und klang dabei ehrlich interessiert. Etwas fragend sah ich ihn an. »Zeit? Wofür?« Er grinste mich an. »Zeit für mich natürlich.« Röte schoss mir in die Wangen und ich sah betreten zu Boden.
       »Oh...«, murmelte ich. Damit hatte ich nicht gerechnet. Überhaupt nicht. Obwohl es eigentlich hätte klar sein sollen. Das Ganze war mir einfach peinlich. Hayes verschwand leise und schien Lucie zu folgen, die bereits nach oben gelaufen war. Kurz darauf hob Lorcan sanft meinen Kopf und lächelte mich an. »Das muss dir nicht peinlich sein. Ist doch alles in Ordnung.« Ich wünschte, dass es so wäre. Doch es war nicht so. Jedenfalls nicht ganz. Ich hätte von selbst darauf kommen sollen.
         Doch das war ich nicht. Überhaupt nicht. Ich hatte nicht einmal daran gedacht. Das trieb mir einfach die Schamesröte ins Gesicht. Lorcan schenkte mir dieses warme Lächeln, was noch alles verschlimmerte. Ich fühlte mich mies, während er mich so anlächelte wie immer. »Aber ich hät-«, fing ich an, doch er erstickte Worte mit einem kurzen Kuss. Der Kuss dauerte nur eine Sekunde, doch das reichte aus, um meinen ganzen Gedankenströme zu unterbrechen. Jedenfalls für den Moment.
           Das konnte nur Lorcan. Nur Lorcan konnte mich dazu bringen, die Welt um mich herum für einen Moment zu vergessen. »Nicht darüber nachdenken. Lass uns einfach nach oben gehen«, hauchte er, als er sich wieder von mir löste und meine Hand nahm. Gerade im richtigen Moment hatte er sich von mir gelöst, denn kurz darauf traten schon ein paar Rudelmitglieder durch die Tür. Sie senkten den Blick. Vermutlich war die Stimmung immer noch etwas eisig. Es war eine Schande.
           Nur wegen Alaric. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und ihn dazu bringen, diese Worte nicht zu sagen. Sie waren gelogen. Nur aus reiner Angst gesprochen worden und somit hatte er allen hier Angst gemacht. Nicht nur Lucie. Das störte mich am meisten. Ich wollte nicht, dass sie alle Zweifel hatten. So würden wir nicht siegen. Nicht mit Zweifel. Doch was konnte ich dagegen schon groß tun? Vermutlich eher weniger. Also seufzte ich nur und wandte den Blick ab, während Lorcan mich sanft mit sich zog.
         »Ignorier das einfach, Nera. Bitte. Sie werden schon zur Vernunft kommen. Irgendwann.« Ich wollte ihm ja glauben. Das wollte ich wirklich. Nur wusste ich auch, dass Alaric ständig bei ihnen war und sie alle zusammen trainierten. Wo sie nur konnten. Das bedeutete, dass er ihnen auch dort Zweifel ins Ohr reden konnte. »Und wenn er ihnen weiter Zweifel einredet?«, fragte ich leise, als wir die Treppe erreichten. Kurz glitt sein Blick zu mir, dann seufzte er. »Dann muss mir wohl etwas einfallen. Aber sie sollten gut wissen, dass Hayes und ich alles dafür tun würden, sie zu schützen.«
           Das wusste ich nur zu gut. Beide waren wie darauf besessen alle zu schützen. Bei Lorcan lag es vielleicht daran, dass er seine Eltern nicht hatte schützen können. Bei Hayes lag es vielleicht an Lucie. Er mochte sie sehr und würde alles für sie tun. Das bedeutete auch die zu schützen, die sie liebte. Sicher wusste ich das nicht. Jedenfalls nicht ganz. Im nächsten Moment liefen Lorcan und ich auch schon die Treppe nach oben.
             Die Blicke der anderen brannten auf uns, doch es war mir egal. Ich wusste, dass sie wussten, dass unsere Bindung stärker war und dass er mich gebissen hatte. Das musste mittlerweile jeder hier wissen. Lorcan hatte mir auch mal gesagt, dass sie seinen Geruch nun stärker an mir rochen. Zwar nicht so stark, wie wenn die Bindung ganz vollzogen wäre, aber schon stark. Ich wollte gar nicht nachfragen, wie stark es für andere riechen würde, wenn die Bindung ganz vollzogen war. Überhaupt nicht.

Lorcan - "Sie will zu mir" ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt