12. Kapitel

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        Immer wieder schweiften meine Gedanken zu Lorcan, mit dem ich vor einer guten Stunde noch zu Frühstück gegessen hatte. Die Art, wie er mich angesehen hatte, als ich ihn das gefragt hatte, rührte mich noch immer. Er hatte so überrascht ausgesehen. Als hätte er damit nicht gerechnet. Vielleicht hatte er das auch nicht. Er war so überrascht gewesen, dass er mir für ein paar Sekunden nicht geantwortet hatte. Dann hatte er dies schlussendlich doch getan und wir hatten zusammen gefrühstückt.
         Das Frühstück war relativ still verlaufen. Wir beide schienen es nicht gewagt zu haben, den anderen offen anzusehen. Wenn, dann hatte ich ihn nur heimlich betrachtet und immer schnell weggesehen, wenn er zu mir gesehen hatte oder bevor er das hatte tun können. Obwohl es eigentlich nur ein Frühstück gewesen war, dachte ich immer wieder an ihn. Die Art, wie er mich angesehen hatte. Die Art, wie er an mich gedacht hatte. Er schien einfach immer an mich zu denken und dafür sorgen zu wollen, dass es mir gut ging.
           Es war keine schlechte Eigenschaft, nur das war ich von Phil nicht gewohnt. Er war nie so aufmerksam gewesen. Lorcan war das komplette Gegenteil. Er brachte mir Frühstück ins Zimmer, ohne vorher selbst etwas zu essen, machte mir heiße Schokolade, da er wusste, wie sehr ich sie liebte. Ich sah es nicht als selbstverständlich an, dass er das für mich tat. Es war schön jemanden zu haben, der sich so um einen sorgte und so um einen kümmerte. Es war wirklich nett von ihm.
         Leider half es mir wenig dabei, das Cover fertigzustellen. Immer wieder glitten meine Gedanken zu ihm, was dafür sorgte, dass ich mich einfach nicht richtig konzentrieren konnte. Immer wieder dachte ich an ihn. Dabei musste ich dringend eine passende Schrift finden, die auf das Cover passte. Mit dem Hintergrund war ich soweit zufrieden. Auch mit den Farben. Nur die Schrift passte noch nicht zu dem Bild. Überhaupt nicht. Doch egal, welche ich verwendete, sie sahen beide nicht sonderlich toll aus. Im Gegenteil. Bis jetzt wirkte alles wie wollen und nicht können.
         Seufzend wählte ich die nächst meiner 150 gekauften Schriftarten aus. Manche davon waren allerdings auch frei für jegliche Art von Benutzung erhältlich gewesen. Da auch diese nicht zu passen schien, wählte ich die nächste aus und dann wieder die nächste. Es dauerte fast eine gute Stunde, bis ich endlich zufrieden war, das Cover abspeicherte und etwas später dem Autor zuschickte, damit er einen ersten Blick darauf werfen konnte.
        Dann nahm ich meinen nächsten Auftrag, den ich hatte wieder zur Hand. Ich las mir den Klappentext des Buches noch einmal durch. Damit ich das Buch besser kannte, hatte ich auch bereits in die ersten Kapitel hereinlesen dürfen. Allerdings war das schon vier Tage her und ich wollte es noch einmal widerholen. Kaum hatte ich den Klappentext wieder gelesen, sah ich bereits das Bild vor mir. Das Bild, dass sich langsam aber sicher in meinem Kopf zusammenfasste, wie ein Puzzle. Motiviert fing ich mit den ersten Entwürfen an, während ich auf die Antwort des Autors wartete. Es verging einige Zeit, in der nichts neues in meinem Postkorb ankam. Deshalb hatte ich schon das Meiste geschafft, als endlich die E-Mail eintraf.
             Zu meinem Glück wollte der Autor nur eine kleine Änderung der Farben. Es war ihm etwas zu gräulich. Er wollte nur, dass die Farben einen kleinen Ticken wärmer wurden. Also verstellte ich die Graustufen und ließ das Cover wärmer wirken. Dann schickte ich ihm dieses Exemplar zu und erhielt kurz darauf die Antwort, dass ihm das Cover so gefiel, wie es war. In seiner kurzen Mail bedankte er sich noch bei mir für meine Mühe und versprach mir, das Geld so bald wie möglich zu überweisen.
         Da das nun erledigt war und meine Inspiration nur so floss, wählte ich auf YouTube eine Playlist mit spanischen Songs aus und ließ diese abspielen. Lächelnd machte ich mich daran, weiter an dem Fantasy-Cover zu arbeiten. Hier und da verstellte ich die Farben, baute Lichteffekte ein und ließ den Drachen auf dem Cover etwas größer wirken. Das Bild, dass sich vor mir ergab war wunderschön. Besondres mit den verschiedenen Farben. Ich war so in meine Arbeit vertieft, dass ich nicht merkte, wie die Zeit verstrich. Bis ich mich umsah war es bereits kurz nach fünf Uhr am Abend. Ich legte eine Pause ein und nahm mein Handy vom Nachtisch.
         Da der Akku allerdings leer war, entschied ich mich dazu, es erst einmal anzuschließen. Gerade als ich das getan hatte, hörte ich unten, wie Lorcan seine Schwester begrüßte. Dass sie jetzt erst kam, wunderte mich zwar, doch vermutlich war sie bei Freunden gewesen oder hatte draußen noch gespielt. Ich hörte, wie sie ihm von ihrem Tag erzählte. Viel konnte ich allerdings nicht verstehen. Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich beschloss, die Arbeit für einen Moment ruhen zu lassen.
         Also stand ich auf, stellte die Musik und den Bildschirm aus, dann lief ich aus dem Zimmer. Im Gang hörte ich bereits die Stimmen der anderen. Auch Hayes Stimme hörte ich heraus. Meine Schritte musste man unten hören, denn plötzlich sprachen alle leiser oder verstummten ganz. Während ich die Treppe nach unten lief breitete sich eine komische Stille aus und alle sahen mich merkwürdig an. Außer Lucie. Diese strahlte, als sie mich sah und kam auf mich zu gerannt. Kräftig schlang sie ihre Arme um mich und presste sich an mich.
         Lächelnd erwiderte ich ihre Umarmung. »Hey kleiner Wildfang«, wisperte ich. Lucie grinste zu mir hinauf. Lorcan kam in dem Moment aus der Küche und sah uns beide mit einer Wärme in den Augen an, die meine Kniee weich werden ließ. »Ich habe eine 1 in Mathe!«, strahlte Lucie und lenkte somit meine Aufmerksamkeit von Lorcan weg. Mit großen Augen sah ich sie an. »Wirklich? Das ist ja toll, Lucie!«, meinte ich strahlend und drückte ihr einen Kuss auf den dunklen Haarschopf. Die anderen waren immer noch verdächtig still, was mich wunderte.
         Als Lucie sich von mir löste, sah ich alle an. Sie starrten mich an, sagten aber keinen Ton. »Ist was?«, fragte ich frei heraus. Scarlett und Toran wandten den Blick ab und die anderen starrten mich einfach nur an, es war Hayes, der schließlich sagte: »Die Truppen sind näher gekommen. Eine von ihnen hatte Phil als Anführer.« Meine Welt schien plötzlich stillzustehen. Nichts drehte sich mehr. Alle verschwanden für einen Moment und ich blieb allein zurück. Es fühlte sich an als würde ich allein im Wohnzimmer stehen.
         Ein kalter Schauer jagte meinen Rücken hinunter. Mich fröstelte es und ich hatte das Gefühl, mich jeden Moment übergeben zu müssen. Plötzlich schien sich die Welt wieder zu drehen. Nur schneller als zuvor. Ich hatte das Gefühl tief zu fallen. Angst breitete sich in meinem Körper aus und meine Brust hob und senkte sich in flachen Atemzügen. Immer wieder. Immer schneller. Ich hörte wie der Puls in meinen Ohren rauschte. Im nächsten Moment spürte ich einen Arm, der sich um meine Taille schlang, dann ein starker Oberkörper gegen den ich gepresst wurde. Blinzelnd kam ich wieder in er Realität an.
           Ich sah auf und erkannte Lorcan, der mich an seine Seite gezogen hatte und Hayes böse ansah. »Du weißt, dass ich es ihr später sagen wollte. Allein und vielleicht nicht ganz so dramatisch«, knurrte er. Sein ganzer Körper stand unter Strom. Hayes hob nur unbeeindruckt eine Braue. »Dieser Befehl galt für dein Rudel. Da ich aber ein eigenes Rudel habe und auch ein Alpha bin, zählt dieser Befehl für mich nicht, Lorcan. Und du kannst sie nicht immer schonend behandeln. Nera hält das schon aus. Du musst sie nicht immer beschützen. Sie ist eine starke Persönlichkeit, die in Mickymaus Hausschuhen von einem Verrückten im prasselnden Regen wegrennt, nur um ihre Freiheit zu behalten.«
           Seine letzten Worte trieben die Röte nur so in meine Wangen und ich senkte den Blick. Dennoch spürte ich, wie Lorcan sich neben mir etwas entspannte und den Blick auf mich richtete. Ich wusste, dass er es nur gut meinte und mich schützen wollte, aber irgendwie hatte Hayes recht. Ich verkraftete das schon. Ich konnte damit leben. Schließlich wusste ich, dass ich nicht allein war. Und ich wusste auch, dass es ein starkes Rudel war und dass wir vermutlich die Hilfe von Hayes bekommen würden, falls es zu einem Kampf kommen sollte.
Ich war also stark genug, diese Information zu verkraften. Natürlich hatte es mich geschockt, doch ich wusste, dass ich auf alle zählen konnte. Ich sah es ihnen an, auch wenn ich bis jetzt nicht die Zeit gefunden hatte, alle kennenzulernen. Dennoch schien ich den Halt von jedem hier zu haben. Also war es ganz gut, dass ich es jetzt schon wusste. Irgendwie jedenfalls. Das würde mir helfen, diese Information besser zu verkraften. Ein Blick zu Lorcan zeigte mir, dass er sich noch mit dieser Information anfreunden musste, er wirkte aber eigentlich so, als wäre es für ihn doch okay, dass Hayes es mir gesagt hatte. Schließlich entspannte er sich ganz.
           Seine Muskeln schienen sich zu lockern und es fühlte sich nicht mehr so an, als würde man mich gegen eine Wand pressen. Jetzt fühlte sich sein Körper wieder nach einem Körper an. Erst da viel mir auf, wie nahe ich ihm schon wieder war. Röte schoss mir in die Wangen und ich wandte den Blick ab. Stattdessen betrachtete ich den Fußboden, der mal wieder gewischt werden könnte, wie mir auffiel. »Da das ja jetzt geklärt ist, können wir ja das Abendessen machen«, hörte ich Lucie dann sagen. Als ich wieder aufblickte, sah ich das strahlende Lächeln auf ihren Lippen, was mir klarmachte, dass sie hungrig war und schon ewig darauf wartete.
           Alle stimmten ihr zu, denn auch sie schienen Hunger zu haben. In dem Moment löste sich Lorcan von mir du sah mich an. »Ich helfe meiner Schwester beim Kochen«, meine er und ich wusste, dass da noch ein unausgesprochener Satz dahinter war. Er wollte mir sagen, dass er mich somit jetzt bei den anderen allein lassen würde. Da ich aber noch Hayes hatte, sollte das kein Problem darstellten. Da war ich mir sicher.
           Also schenkte ich ihm ein Lächeln und nickte ihm zu. Er schien zu verstehen, dass ich seine versteckte Nachricht verstanden hatte, denn er lächelte mir ebenfalls zu, bevor er mit seiner Schwester in der Küche verschwand. Kurz sah ich ihnen noch nach, dann setzte ich mich zu den anderen an den Tisch. Toran und Scarlett kannte ich nun schon etwas näher, so wie Hayes. Dennoch wollte ich mehr über Hayes wissen.
         Bis jetzt wusste ich ja nicht wirklich viel. »Wo lebst du mit deinem Rudel?«, stellte ich die erste Frage, die mir in den Kopf kam. Hayes Blick schoss zu mir, da er genau wusste, dass diese Frage nur für ihn bestimmt sein konnte. »Weiter näher an Mistfall, aber noch immer im Wald. Dort können wir uns ganz entfalten und erschrecken keine kleinen Kinder«, antwortete er mir mit einem kleinen Lächeln. Auch lächelte bei seinen Worten.
           Als ich Liams Rudel kennengelernt hatte, hatte ich immer empfunden, dass es ihnen egal war, ob sie Menschen erschreckten oder nicht. Sie waren auch oft als Wölfe am Rand des Waldes gelaufen, ohne Angst, andere zu erschrecken. So waren die meisten in seinem Rudel nett gewesen, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Lorcans Rudel noch mal einen Tick anders war.

Lorcan - "Sie will zu mir" ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt