20. Kapitel

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          Das Haus war voll, als wir ankamen. Es standen zwar keine Autos vor der Tür, doch sie waren vermutlich alle als Werwölfe hier angekommen. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich durch das Fenster blickte und die ganzen Gestalten erkannte, die sich im Wohnzimmer tummelten. Es waren einfach etwas viele. »Keine Sorge. Das wird schon«, versuchte Lorcan mich aufzumuntern, was nur halbwegs klappte.
          Ich war einfach noch immer kein Fan von vielen Menschen auf einem Haufen. Das würde ich vermutlich nie sein. Dennoch nickte ich ihm lächelnd zu und stieg dann aus dem Wagen aus. Er machte es mir nach und trat zu mir. Er trug die Tüten mit meinem ganzen Zeug. »Du kannst eh erstmal nach oben verschwinden, Nera. Falls es dir zu viel wird, kannst du immer noch nach oben gehen. Keiner würde dich verurteilen«, sagte er zu mir.
         Ich wusste, dass er mich damit erleichtern wollte. Ich wusste es. Und doch... wie wirkte das bitte, wenn die Luna einfach abhaute? Nicht, dass ich offiziell eine Luna war, aber dennoch. Wie würde es aussahen, wenn ich einfach ging? Lorcan meinte zwar, dass das kein Problem sei, doch ich wusste einfach, dass getuschelt werden würde. So war es immer. Außerdem wirkte ich doch dann sehr egoistisch, oder nicht? All diese Fragen beschäftigten mich, während wir auf das Haus zuliefen.
         Bevor Lorcan aufsperren konnte, wurde die Tür aufgerissen und für einen Moment erstarrte ich und wusste nicht genau, wer es war. Nach ein paar Sekunden fiel mir aber auf, dass es Lucie war. Sie trug den Hexenhut von heute Morgen. Sie schien lila Kontaktlinsen zu tragen und es sah so aus, als würde eine Spinne über ihrem Augen sitzen, dabei war es nur Make-Up. Hoffte ich zumindest. Sie trug ein dunkles Kleid und an ihren Beinen trug sie netzartige Strümpfe.
»Auch schon da. Ich dachte, ihr kommt heute nicht mehr. Milan ist vor einer guten halben Stunde hier angekommen«, sagte sie. Lorcan sah seine kleine Schwester an. »Ich bin halt nicht gerast wie ein Dummer«, erwiderte er nur. Lucie rollte mit den Augen. »Los, zieht euch um. Ist ja schrecklich, wenn ihr so normal ausseht.« Ich kicherte leise, während ich an beiden vorbei nach drinnen lief. Sofort hörte ich die Gespräche der anderen.
           Einige unterhielten sich darüber, was sie morgen machen würden, andere unterhielten sich über ihre Kostüme. Milan schien sich mit Hayes zu unterhalten. Ich zog meine Schuhe und meine Jacke aus und brachte beides an den gewohnten Platz, bevor ich in das Wohnzimmer lief. Sofort verstummten einige Gespräche und alle Blicke richteten sich auf. Eigentlich sollte ich es gewohnt sein. Doch heute waren es viel mehr Leute und alle starrten mich an. Ich wusste ja auch warum.
         Nur das machte die Sache dennoch nicht besser. Verlegen hob ich die Hand. »Hallo.« Sie grüßten mich alle zurück, starrten mich aber dennoch an. In dem Moment kam Lucie, meine Rettung. »Jetzt starrt doch nicht so. Ja, sie ist Lorcans Seelenverwandte. Nein, sie haben noch nicht weiter darüber gesprochen ob Nera bei ihm bleiben wird und nein, sie trägt noch kein Kostüm. Jegliche anderen Fragen bitte persönlich an sie oder an Lorcan. Nur bitte starrt sie nicht mehr so an. Das ist ja schrecklich. Wie ein rohes Stück Fleisch.«
           Sofort wandten alle den Blick ab und ich war mehr als froh, dass Lucie so war, wie sie war. Obwohl sie noch jung war, hatte sie ein großes Mundwerk und schämte sich nicht, vor anderen viel zu sprechen. Im Gegensatz zu mir. Als ich mich umdrehte, sah ich Lorcan, der mich musterte. Fragend sah ich ihn an, doch er nahm nur meine Hand in seine und zog mich sanft nach oben. Mir war bewusst, dass das für weiteres Getuschel sorgte, doch es war mir egal. Ich war eigentlich nur froh, jetzt nach oben zu kommen.
           Erleichtert atmete ich oben aus, was Lorcan leise lachen ließ. »Man gewöhnt sich daran. Sie sind alle sehr nett, nur auch sehr neugierig. Da Hayes seine Seelenverwandte noch nicht gefunden hat, brauchten sie natürlich jemand anderen über den sie reden können.« Ich rollte mit den Augen. »Wie praktisch, dass ich gerade da bin. Ich hoffe, die Aufmerksamkeit wird von mir abgelenkt, wenn Hayes seine Gefährtin findet.«
         Lorcan lächelte mich an. »Bestimmt. Es ist nur alles sehr aufregend für sie«, versuchte er zu erklären. Ich nickte. »Das verstehe ich ja, aber es wäre mir lieber, wenn sie nicht so starren würden. Da kommt man sich wirklich wie ein Stück rohes Fleisch vor.« Lorcan grinste, dann öffnete er die Tür zu meinem Zimmer und gab mir die Tüte. »Wenn du Hilfe brauchst, sag bescheid.« Ich nickte und schenkte ihm ein Lächeln, bevor ich im Zimmer verschwand und die Tür hinter mir schloss.
         Ich hörte, wie sich seine Schritte entfernten. Mein Herz schlug noch immer viel zu schnell. Wenn er mich anlächelte, setzte bei mir irgendetwas aus. Ich wusste nicht so ganz, woran das lag. Vielleicht daran, dass ich sein Lächeln liebte. Schnell schüttelte ich diese Gedanken ab und machte mich daran, die Maske zu bemalen, die mir zum Glück perfekt gepasst hatte. Die Zeit, mir selbst eine zu machen, hatte ich einfach nicht gehabt.
           Ich gestalte die halbe Maske so, dass sie Venoms Aussehen glich. Auch mit dem Auge, dass ich aufmalte und dann mit den winzigen Papierrollen umrandete, dass es so aussah, als würde die schwarze Haut um das Auge herum sein. Dann malte ich es noch so an, dass es so aussah, als würde sich in dem weißen Auge etwas spiegeln. So wie im Film eben. Während das alles trocknete, malte ich meinen Hals schwarz an und auch den Teil, den das Oberteil nicht überdecken würde. Dann malte ich natürlich noch diese, na ja Adern, damit ich wie Venom aussah.
           Als ich damit zufrieden war, ließ ich auch das einziehen. Kurz darauf zog ich ganz vorsichtig das schwarze Kleid an, dass mir bis zu den Knieen ging. Meine Arme malte ich nicht schwarz, dafür malte ich diese feinen Adern in schwarz auf, dass es so aussah, als würde Venom auch langsam diesen Teil meines Körpers übernehmen. Bevor ich die Maske aufsetzte, steckte ich meine wilde Haarpracht in ein Netz. Kurz darauf klebte ich die Maske mit Hautkleber fest, der später wieder ganz leicht abgehen würde.
           Ein Bick in den Spiegel verriet mir, dass ich schon ganz schön aussah, für Halloween. Dennoch fand ich, dass die Seite, die nicht vom Kostüm verdeckt wurde, so komisch aussah. Also malte ich einen schwarzen Liedstrich und machte mir ein Smokeyeye. Passend zum Kleid, was ich nicht heute gekauft hatte, zog ich mir dafür Schuhe an, die ich heute gekauft hatte.
Sie waren ziemlich schlicht und einfach nur schwarze Ballerinas. Sie passten gut dazu. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich eine gute Dreiviertelstunde dafür gebraucht hatte. Gerade als ich aufstehen wollte, klopfte es zweimal an meiner Tür. Auch ohne hinzusehen oder auch ohne die Tür aufzumachen, wusste ich, wer da klopfte. Ich war gespannt darauf, sein Kostüm zu sehen.      »Herein!«, rief ich lauter als nötig.
         Im nächsten Moment ging die Tür auf und Lorcan trat ins Zimmer. Mir blieb die Spucke weg, als ich ihn sah. Sein Drei-Tage-Bart schien er abrasiert zu haben. So sah es zumindest aus. Aus seinem Mund schienen Spinnen zu kommen und er hatte es so aussehen lassen, als hätte er eine klaffende Wunde auf der Wange, wo man Knochen sehen konnte. Und er trug weiße Kontaktlinsen. Mir blieb der Mund offen stehen, als ich ihn so betrachtete. Auf Instagram sah man ja immer sehr viele Make-Up-Ideen.

Lorcan - "Sie will zu mir" ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt